1. Ausgangsthese
Die zentrale Frage der Zukunft zielt auf die Fähigkeit des Menschen, mit sich, seinen Mitmenschen und mit seiner Umwelt so umzugehen, daß er überlebt.
Kultur
Gelingt es einzelnen oder Bevölkerungsgruppen Lebensinhalte und Lebensziele zu artikulieren, dann entsteht eine kulturelle Dimension. Mit der Entfaltung zur sozialkulturellen Persönlichkeit entwickelt sich soziokulturelle Qualität.
Identität
Mit der Antwort auf die Frage nach dem Woher, Wo und Wohin beginnt Identität an Profil zu gewinnen.
Nachhaltigkeit
Es geht künftig darum, nicht mehr zu gebrauchen und zu verbrauchen als sich wieder erneuert oder nachwachsen kann.
Ökonomische Tragfähigkeit
Gesetze des Marktes bestimmen die Tragfähigkeit einer Wirtschaft. Man kann nur verwirklichen, was man auch bezahlen kann.
Soziale Balance
Einschränkungen in der kulturellen Entfaltungsmöglichkeit, Störungen der Identität und Einbrüche in der wirtschaftlichen Tragfähigkeit haben Folgen für die Sozialstruktur der Gesellschaft. Wir stehen in einem Umbau der Gesellschaft, der die soziale Balance im Blick behalten muß.
Seelische Komponente
Ausschließliche Fixierung auf Kategorien der Vernunft führt nicht nur beim einzelnen, sondern auch in der Gesellschaft zu Brüchen mit schwerwiegenden Konse-quenzen.
Neue Dimension des Raumes
Die Welt wird kleiner, das Kleine gewinnt an Bedeutung. Regionalisierung greift um sich.
Ende der Systeme, Zukunft dynamischer Entwicklung
Gesellschaftssysteme jeder Art haben abgewirtschaftet, geschlossene Systeme nicht überlebt.
Konsens erfordert Transparenz
Eine demokratische Gesellschaft lebt von der Zustimmungsbereitschaft der sie tragenden Menschen. Zustimmung kann von mündigen Bürgern nur erwartet werden, wenn diese in der Lage sind, Zusammenhänge und Sachverhalte zu erkennen und zu bewerten. Deshalb müssen Entscheidungsprozesse in Demokratien nachvollziehbar bleiben, auch bei zunehmender Komplexität der Probleme.
Partizipation
Zustimmungsfähigkeit und Tragfähigkeit ihrer Entscheidung sind in einer demokratischen Gesellschaft gefährdet, wenn die Beteiligung Betroffener und Beteiligter vernachlässigt wird. Emanzipation als partnerschaftliche Beteiligung Benachteiligter ist künftig Bestandteil jedes Partizipationsprozesses.
2. Ausgangsthese
Wachstum verliert seine zentrale Bedeutung, an seine Stelle tritt ein dynamisches Gleichgewicht. Nicht immer „Mehr“ von allem, sondern immer mehr „Nachhaltigkeit“ von Wichtigem ist gefragt. Entsprechend verlagern sich die Wertmaßstäbe.
Von der Quantität zur Qualität
Wir fragen künftig weniger nach dem Wieviel und mehr nach der Güte dessen, was wir brauchen.
Vom Verbrauch zum Gebrauch
Die Gesellschaft der Zukunft wird ihren Konsum drastisch senken und langfristige Nutzungen anstreben.
Von der Oberflächenbrillanz zur Tiefenschärfe
Lebensqualität zielt auf Gehalt.
Von der Zeitverschwendung zur Zeitverwendung
Zeit wird ein kostbares Gut.
Über die Individualität zur Solidarität
Der einzelne verliert seine gesellschaftsprägende Kraft als Subjekt und wird über seine soziale Funktion wirksam.
Vom Nutzen zur Verträglichkeit
Ökonomisches Handeln verliert die reine Profitorientierung und öffnet sich Fragen der ökologischen und sozialen Verträglichkeit seiner Entscheidungen.
Von der Isolierung zur Vernetzung
Die gesellschaftlichen Lasten können nur gemeinsam getragen werden.
Raum - ein Netz von Teilräumen
Globale Räume verlieren ihre Eindeutigkeit.
Von der Stabilität zur Flexibilität
Statische Betrachtungsweisen verlieren ihre Aussagekraft, bewegliche Reaktionen auf neue Entwicklungen sind gefragt.
Nischen als Entwicklungschancen
Nicht nur die Opfer gesellschaftlicher Entwicklung, auch die bewußt alternativ Lebenden suchen nach Freiräumen zur Gestaltung ihres Lebens.
3. Ausgangsthese
Dieser Wertewandel in der Gesellschaft führt zur Verlagerung auch in der Wahl von Instrumenten für die Bewertung. Neue Kategorien gewinnen an Bedeutung.
Von der Simulation zum Szenario
Umfassende Simulationsmodelle werden zunehmend ergänzt durch Konzeptionen, in denen nicht die Wirklichkeit abgebildet und zur Grundlage von Rechenoperationen gemacht wird, sondern eine angemessene Auswahl qualitativer Merkmale ausreicht, um künftige Entwicklungen mit hinreichender Genauigkeit abzuschätzen.
Vom System zum Anwenderprogramm
Geschlossene Systeme haben ihre Faszination verloren. Nicht das System, sondern die Anwendungsmöglichkeiten sind gefordert.
Vom Einzelprojekt zum Pool
Künftig lohnt sich der Aufwand der Bewertung für ein einzelnes Projekt immer seltener. Pool-Lösungen sind gefragt.
Von der Selektiv- zur Strukturbetrachtung
Ganzheitliche Betrachtungsweisen lösen die Einzelbetrachtung ab.
Von der Aktualität zur Kontinuität
Nicht mehr die jüngsten Daten interessieren, sondern diejenigen, die Bestand haben.
Vom Ordnungssystem zum kontrollierten Chaos mit System
Chaos wird als Element einer Funktion verstanden.
Von der Deskription zur Analyse
Qualität braucht Analyse.
Von der Faktenbewertung zur Meinungsanalyse
In wachsendem Umfang gewinnen Meinungsumfrage und -bewertung an Bedeutung.
Von der Priorisierung zur Differenzialbetrachtung
Komplexität wirkt sich aus auf die Bewertungskategorien. Eindeutige solitäre Entscheidungen sind immer weniger möglich - und damit einfache Rangfolgen.
Vom Teilraum zum Raumnetz
Es reicht nicht mehr die Betrachtung des Raumes allein. Seine Bezüge sowohl nach außen wie nach innen gewinnen an Bedeutung.
4. Ausgangsthese
Abkehr von geschlossenen Systemen - Hinwendung zu offenen Netzwerken: inhaltlich, formal, temporal, horizontal und vertikal öffnen den Weg in die Zukunft. Lebensfähige Systeme sind immer nach außen offen, von außen zugänglich (Vester).
Kooperative Koordinierung
Verstärkte Zusammenarbeit gewinnt kooperative Züge und erzielt erhöhte Koordi-nation.
Etablierung von Raum und Zeit
Eine neue Dimension des Raumes und eine neue Kategorie von Zeit werden eingeführt und gewinnen an Bedeutung.
Neubewertung der Bestände
Alles Bestehende muß nach den neuen Wertmaßstäben überprüft werden.
Neue Maßstäbe
Etablierung und Integration neuer Maßstäbe nach Raum und Zeit werden notwendig.
Bündelung und Aggregation
Um der Überfülle an Informationen Herr zu werden, ist Bündelung nötig. Synergieeffekte werden gezielt angestrebt.
Diese Thesen werden im folgenden Beitrag erläutert.
Freitag, 26. Dezember 2008
Wege zur Bewertung komplexer Sachverhalte in der Stadtentwicklungsplanung mit den Schwerpunkten Kultur und Bildung
- Überlegungen aus der Praxis -
Helmut Böhme, Leverkusen
Anmerkungen zum Thema
Wer bewerten will, benötigt einen Maßstab. Ihn gibt es in vielerlei Varianten für verschiedene Sachverhalte. Was geschieht, wenn Erscheinungen und Wechselwirkungen der Sachverhalte miteinander so verzahnt und verflochten sind, daß sie mit ihrem jeweiligen Maßstab nicht mehr sachgerecht und aussagekräftig genug gemessen werden können? Antwort auf diese Frage suchen Evaluierungsforscher. Für sie ist deshalb wichtig, nach Methoden zu suchen, die Maßstäbe auch für komplexe Sachverhalte bereitstellen. Damit verbunden ist die Suche nach Möglichkeiten, Schwerpunkte zu bilden, ja am besten, eindeutige Prioritäten zu setzen. Die jüngsten Arbeiten liegen etwa sechs Jahre zurück 1). Das Thema ist seither kein Schwerpunkt der aktuellen Diskussion.
In den 90er Jahren stellt sich eine ganz andere Frage. Reichen die bisherigen Maßstäbe aus? Müssen die „Längenmaße“ auf unserer Meßlatte nicht um neue Dimensionen ergänzt werden? Schließlich ändern sich die Werte der überlieferten Maßeinheiten. Wonach und womit sollen wir künftig bewerten?
Das ist eine der zentralen Fragen, vor denen unter anderem auch die verhältnismäßig junge Disziplin der Stadtentwicklungsplanung steht, die als eine Querschnittsaufgabe von Städten und Gemeinden zu Beginn der 70er Jahre zunehmend an Bedeutung gewann - nach gut zehn Jahren aber in den Hintergrund geriet 2). Sie wollte gewissermaßen den Generalschlüssel bereitstellen für solche Planungsentscheidungen, die Auswirkungen auf die künftige Entwicklung haben und sie auf kommunaler Ebene auf diese Weise mit hinreichender Sicherheit begründen. An diesem Anspruch ist die Stadtentwicklungsplanung gescheitert. Seit Mitte der 80er Jahre wird gewissermaßen Schadensbegrenzung geübt und statt des Generalschlüssels wieder eine größere Zahl von Einzelschlüsseln verwendet 3).
Ronald Inglehard dürfte mit seinem Buch über den kulturellen Umbruch das umfassendste und jetzt auch aktuellste Werk zur Diskussion über die Veränderung der Werte in unserer Zeit vorgelegt haben 4). Die volkstümlichste und griffigste Formel des Themas fand der Journalist Ulrich Wickert mit seinem jüngsten Buch „Der Ehrliche ist immer der Dumme“ 5). Doch reicht die Rückkehr zu alten und bewährten Wertmustern nicht aus.
Deshalb beginnt die vorliegende Arbeit mit einer schwerpunktartigen Betrachtung der gegenwärtigen Gesellschaft mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft (AUSGANGSLAGE).
Sie fährt fort mit der Beschreibung von Funktionen, die Kultur und Bildung in diesem Zusammenhang zufallen (HANDLUNGSFELDER).
Danach benennt sie Schwerpunkte, auf die hin sich bestehende Wertmaßstäbe im Blick auf künftige Herausforderungen voraussichtlich verändern werden (BEWERTUNGEN).
Es folgen Hinweise, wie aus dem allen praktisches Handeln hervorgehen könnte (INSTRUMENTE).
Aus der Anwendung dieser Instrumente ergeben sich in der Konsequenz einige Vorschläge für künftiges Vorgehen (HANDLUNGSVORSCHLÄGE).
In einem abschließenden Teil wird der Versuch gewagt, beispielhaft die Ergebnisse dieser Arbeit den bereits erkennbaren Entwicklungen in der Zukunft gegenüberzustellen und ihre Wirksamkeit in einem ersten Diskurs zu überprüfen (AUSBLICK).
„Überlegungen aus der Praxis“ enthalten keine empirischen Erhebungen, keine differenzierten Analysen und ebensowenig ausgearbeitete Konzeptionen. Sie verzichten auch nicht auf grundsätzliche Erörterungen und auf einen umfassenden, systematischen Denkansatz. Andererseits liefern sie auch keinen Kommentar aus der Praxis zum heutigen Geschehen oder zur wissenschaftlichen Diskussion der Gegenwart.
„Überlegungen aus der Praxis“ suchen dagegen nach eigenen, anderweitig nicht vorgegebenen Wegen, Zugänge zur Lösung praktischer Probleme. Die grundsätzliche Frage dieser Arbeit zielt auf die Komplexität kommunaler Stadtentwicklungsplanung in den 90er Jahren unseres Jahrhunderts. Am Beispiel der zentralen Kategorien von Kultur und Bildung werden einige Hinweise zur Bewertung einschlägiger Sachverhalte gegeben.
Dabei bin ich mir bewußt, daß ich mit diesen Überlegungen nur Fragen stellen und Themen anreißen kann. Dennoch hoffe ich, daß mein Ansatz weit genug greift und hinreichend konkrete Aussagen enthält, um im Zusammenspiel mit anderen nicht nur die Grundsatzdiskussion zum Thema, sondern auch die tägliche Praxis zu fördern.
Die der Arbeit als Anlage beigefügten Thesen sollen den Inhalt zusammenfassen und den Zugang zum Gegenstand etwas erleichtern.
1. Ausgangslage
Mit dem Jahr 1995 beginnt endgültig der Abschied vom 20. Jahrhundert. Beschrieb Jules Verne mit „Der erste Mann auf dem Mond“ (1901) noch eine Utopie, ist dies knapp siebzig Jahre später Realität und eine Meldung der Tagesnachrichten. Damit ist angedeutet, daß das Zeitalter des technisches Fortschritts von einem neuen abgelöst wird., das in den Weltraum vorstößt.
Zeit ist heute ein epocheprägendes Element. Es gibt nur eine einzige Zeitordnung und die ist ökonomisch bestimmt. In dieser Welt übt Macht aus, wer dank seiner ökonomischen Potenz die Uhr der Weltzeit stellt, der ökonomischen Zeit. Katastrophen unserer Zeit sind der Tod der Literatur, das Ende der Industriegesellschaft, die atomare Apokalypse, der drohenden Kollaps der Erdatmosphäre und der Zusammenbruch der Finanzmärkte. Nach-dem wir dies alles überlebt haben, geht das Leben weiter - es ist aber ein anderes als das Leben zuvor. Das Leben war eingebettet in einen diesseitigen Glauben an den Fortschritt und an die Heilskraft der Moderne. Nun wird ein neues Ziel gesucht - die Entwicklung? Ihr Element ist die Zeit. Doch ist das Bewußtsein immer noch so sehr der Tradition territorialen Denkens verhaftet, daß ihm die Dimension der Zeit verschlossen bleibt, in der sich die Macht der herrschenden industriellen und postindustriellen Zivilisation entfaltet. Deshalb kann es keinen Zusammenhang zwischen dem Konkurrenzkampf um die führende Position in der Weltzeit und der fortschreitenden Entmachtung der aus der Zeitkonkurrenz ausgeschlossenen Weltteile erkennen. Aus dem „Hunger nach Raum“ zu Beginn des Jahrhunderts ist die „Gier nach Zeit“ geworden, besonders anschaulich zu beobachten am Prozeß der deutschen Einigung in den Jahren von 1989 bis 1995. Für Lothar Baier 6) bedeutet die Priorität der Geschwindigkeit die Zerstörung der Demokratie, weil sie dem einzelnen keine Wahl läßt. Die Zivilisation der Zeit bringt keine Sprache hervor, die ihr in ihren eigenen Kategorien begegnen kann 7).
Zu dieser Sicht unserer Situation gehört auch der beachtliche Erfolg von Sten Nadolnys Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ 8). Es handelt sich hier um eine verfremdete Darstellung der Biographie des englischen Seeoffiziers und Nordpolfahrers Sir John Franklin (1786 - 1847). Die Verfremdung wird dadurch erreicht, daß Nadolny Franklin mit der Eigenschaft versieht, extrem langsam zu denken.
Die Schwierigkeiten des Kindes werden beschrieben und die Methoden, mit denen der junge Mann lernt, sich in der Welt der „Normalen“ durchzusetzen. In unserem Zusammenhang interessieren zwei Feststellungen. Die erste trifft der junge Schiffskommandant Franklin: „Ich bin der Kommandant ... Meiner Geschwindigkeit müssen sich, weil sie die langsamste ist, alle anderen anpassen. ... Ich nehme ernst, was ich denke und empfinde. Die Zeit, die ich dafür brauche, ist nie vertan. Dasselbe gestehe ich auch den anderen zu ... Die langsamere Arbeit ist die wichtigere. Alle normalen, schnellen Entscheidungen trifft der Erste Offizier.“ 9). Mit der zweiten Feststellung greift der britische Premierminister eine Arbeit des späten Franklin über die Gründung einer Schule auf und äußert sich über die dort vorgeschlagenen Bildungsgrundsätze: „... Langsamer Blick, starrer Blick, Panoramablick, ausgezeichnet! Der Gedanke der Toleranz, aufgebaut auf der Verschiedenheit der individuellen Geschwindigkeiten oder Geschwindigkeits-Phasen - sehr einleuchtend!“ 10). Wir werden später sehen, welche Bedeutung Zeit für Planung haben kann - für Kultur und für Bildung.
Vor zehn Jahren stellte die amerikanische Historikerin und Journalistin Barbara Tuchman fest, die gesamte Geschichte durchziehe unabhängig von Zeit und Ort das Phänomen, daß Regierungen und Regierte eine Politik betreiben, die den eigenen Interessen zuwiderläuft 11). Am Beginn der 90er Jahre geht der französische Philosoph André Glucksmann weiter. Er stellt fest: Das falsche Denken ging dem katastrophalen Handeln voraus. Das „Ende des Tunnels“, das wir in den 90er Jahren erreichen und das das Ende jeder Bewahrung des Menschen vor der ihm unerträglichen Wirklichkeit ankündigt, wird für mich anschaulich in dem Bild der Katastrophe von Tschernobyl. Am 26.04.1986 kommt es im ukrainischen Tschernobyl zur bisher größten Reaktorkatastrophe der zivilen Kernkraftnutzung. Aus dem Leck des beschädigten Reaktorkerns entweicht eine radioaktive Wolke, deren Ausläufer bis nach Skandinavien und Westeuropa reichen. Erst am 14.05.1986 äußert sich Gorbatschow öffentlich zu dem Unfall. Bereits am 03. und 04. Mai beschließt die deutsche Bundesregierung Vorsorgemaßnahmen auf Vorschlag der Strahlenschutzkommission. Die Bevölkerung geht auf die Straßen. Städte wechseln den Sand auf den Spielplätzen aus, insbesondere in den Kindergärten. Doch in Frankreich bleibt alles ruhig. Erst unter dem Eindruck der Diskussionen im westlichen Ausland setzt mit 14-tägiger Verzögerung auch hier die öffentliche Diskussion ein 12). Der „Tunnel“ endete damals an der Westgrenze Deutschlands zu Frankreich. Jenseits war die Welt noch in Ordnung und gesichert. Diesseits der Grenze suchten informierte Menschen nach Wegen in eine bedrohte Zukunft.
Glucksmann spricht von einem „elften Gebot“: Nichts Unmenschliches soll dir fremd sein! Er stellt fest, dies Gebot fordere nicht „Tu!“, sondern: „Nimm das Böse zur Kenntnis!“. Die Dissidentenforderung, das „Leben in der Lüge“ aufzugeben, heißt für Glucksmann, daß sich der Status des Intellektuellen entschieden ändert. Er hat nicht mehr die Aufgabe, die Leute zu schützen und die Erfahrung des Unmenschlichen, das uns umgibt und das sie selbst verüben, unter Zensur zu stellen. Er willigt ein in das athenische Durcheinander von Bürger und Ausländer, Mann und Frau, Herr und Diener, die alle - Kinder eingeschlossen - dem tragischen Spiel der Fehler der Großen und der Ohnmacht der Mächtigen beiwohnten. Man muß wie bei einer Wette alles auf das elfte Gebot setzen. Dabei geht es um den vergänglichen, dem Zweifel unterworfenen, freischwebenden, aber jederzeit möglichen philosophischen Bürger 13).
Im Bild vom „Tunnel“ begegnen wir der Erkenntnis, daß wir weder uns selbst noch andere vor der Wirklichkeit der Welt bewahren können, die uns umgibt. Das haben die Machthaber im real existierenden Sozialismus ebenso erfahren müssen wie die Regierenden im Westen. Barbara Tuchman bezeichnet als eine Torheit der Regierenden die Engstirnigkeit, die man mit der Einstellung kennzeichnen könnte: „Bringen Sie mich nicht mit Tatsachen durcheinander!“ Dies sei eine universelle Torheit, fährt Barbara Tuchman fort, die aber nirgends offenkundiger geworden sei als in der Haltung der USA zu Vietnam 14). Mir aber scheint gelegentlich auch in der aktuellen Politik diese Einstellung sehr wirksam zu sein.
Schließlich fragt am Beginn der 90er Jahre ein US-Amerikaner japanischer Herkunft „Wo stehen wir?“. Seine Antwort lautet überraschenderweise am „Ende der Geschichte“, als einem einzigartigen, in sich zusammenhängenden evolutionären Prozeß. Francis Fukuyama sieht in der liberalen Demokratie die letzte und höchste Form der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen und daher das Ende der Geschichte erreicht.
Dies Verständnis hat Konsequenzen. Ein hohes Bildungsniveau ist Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Für Fukuyama ist ein Staat, der kein höheres Ziel als wirtschaftliches Wachstum kennt, mit dem Begriff „marktorientierter Autoritarismus“ zu kennzeichnen 15). Ich teile seine Konsequenzen nicht in allen Fällen, halte aber eine Vielzahl seiner Analysen für bedenkenswert und hilfreich für eine Analyse unserer Situation heute.
Gelingt es uns, eine Sprache hervorzubringen, die der Zeit in ihren eigenen Kategorien begegnen kann (Baier)?
Werden wir Möglichkeiten erkunden herauszufinden, wann der „Kommandant“ die wichtige Arbeit langsam verrichten und der „Erste Offizier“ seine schnellen Entscheidungen treffen soll? Und wie steht es mit dem langsamen Blick (Analyse), dem starren Blick (Detail) sowie dem Panoramablick (Zusammenhänge) und mit einer Toleranz, die auf der Verschiedenheit individueller Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen aufbaut (Nadolny)?
Werden wir uns der Wirklichkeit stellen, die uns am „Ende des Tunnels“ zum Ausgang des 20. Jahrhunderts erwartet (Glucksmann) oder werden wir in ihn zurückkehren wollen?
Und schließlich mag die Frage gestattet sein, ob das Ende der Geschichte mit der Gesellschaftsform einer liberalen Demokratie tatsächlich bereits erreicht ist (Fukuyama).
Stadtentwicklungsplanung
Für all diese Fragen - allerdings bezogen auf den sehr begrenzten und meist doch noch überschaubaren Mikrokosmos einer Stadt - bemüht sich die Stadtentwicklungsplanung um pragmatische Handlungsansätze. „Pragmatisch“ soll hier verstanden werden in dem Sinn als sie
· unklare Ideen ausscheidet,
· klaren Ideen, die mehr oder weniger schwierig zu erfassen sind, Unterstützung gewährt und hilft, sie deutlicher zu verstehen sowie
· eine Position der Wahrnehmung zu bestimmen, die es ermöglicht, objektive Tatbestände zu definieren 16) und schließlich
· anerkennt, daß Einheit und Vielheit vollkommen gleichberechtigt nebeneinander stehen, keines von beiden ist vornehmer und wesentlicher als das andere; es ist genauso wie mit dem Raume, der die Dinge ebenso trennt wie er sie verbindet, aber manchmal kommt die eine Funktion, mal die andere stärker zum Bewußtsein 17).
Das Ziel der Stadtentwicklungsplanung, einen angestrebten Zustand (Ziel) durch entsprechende technische Instrumente (Bestandsaufnahme, Analyse, Prognose und Simulation) in einem kontinuierlichen, dynamischen und demokratischen Planungsprozeß (Partizipation) zu erreichen, hat sich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre als nicht erreichbar erwiesen 18). Wenn inzwischen auch modische Trends die Diskussion prägen - vom „Stadtmarketing“, „Citymanagement“, „Controlling als Führungsinstrument“ zum „Stadt-konzept“ oder gar dem „Dienstleistungsunternehmen Stadt“ - in der Sache kann man unabhängig vom jeweiligen Sprachgebrauch die Aufgabe der Stadtentwicklungsplanung beschreiben als
· Beobachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung,
· deren Analyse in Bezug auf die Situation der Stadt,
· die Formulierung städtischer Entwicklungsziele,
· die Beschreibung von Wegen zur Erreichung dieser Ziele sowie
· die kontinuierliche Begleitung des Umsetzungsprozesses auf dem Wege der Beteiligung aller Betroffenen und Beteiligten in offener Kooperation.
Stadtentwicklungsplanung stellt sich damit als ein kontinuierlicher, dynamischer und transparenter Planungsprozeß dar, der durch die Einbeziehung Betroffener und Beteiligter wie auch der Öffentlichkeit sowohl emanzipatorische als auch partizipatorische Ziele erfüllt.
Stadtentwicklungsplanung ist ein politisches Führungsinstrument, das die Voraussetzung für zukunftsfähige Entscheidungen schaffen soll. Die Schwerpunkte heutiger Stadtentwicklungsplanung liegen darin,
· methodisch Wege zu finden, die hinreichend genau empirische Grundlagen mit konzeptionellen Entwürfen künftiger Gesellschaften zu verbinden in der Lage sind,
· inhaltlich bereits heute Beiträge zur Lösung aktueller Aufgaben zu leisten und
· neue Formen der Planung, Kooperation und emanzipatorischer Partizipation zu finden, die dem erweiterten Konsensbedürfnis in der Gesellschaft gerecht werden.
Im folgenden sollen einige Aspekte der gesellschaftlichen Situation heute näher beschrieben werden. Dazu greife ich zunächst drei Autoren heraus, die wesentliche Koordinaten künftiger Entwicklung beschreiben:
· Ernst Ulrich von Weizsäcker
„Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt“ (1990)
· Peter Ulrich
„Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft“ (1986)
· Gerhard Schulze
„Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“ (1993)
Ökologie
Den Aspekt „Grenzen des Wachstums“ verstehe ich im ersten Schritt als ökologischen Hinweis. Ernst Ulrich von Weizsäcker beschrieb vor fünf Jahren eine Erdpolitik, die auf ein neues Wohlstandsmodell der Gesellschaft zielt mit rascher Vermeidung der Umweltverschmutzung und das Naturverbrauchs pro Kopf, auf die Erkenntnis, daß in der Vermeidung von Kosten auch ein ökonomischer Nutzen liegt und daß sich Umweltschutz von einem Kostenfaktor zu einem Nutzenfaktor entwickelt. Für ihn wird das Jahrhundert der Ökonomie abgelöst vom Jahrhundert der Ökologie 19).
Ökonomie
Hier schließe ich den zweiten Schritt an. Peter Ulrich hat bereits 1986 eine Transformation der ökonomischen Vernunft beschrieben, die sich von der technischen (zweckrationales Handeln, „homo faber“) zur kommunikativen (kommunikatives Handeln, „homo sapiens“) Vernunft wandeln werde.
Für ihn geht es nicht nur um eine Änderung der Systemordnung an sich, sondern um unsere Lebensform schlechthin und den ihr angemessenen Wirtschaftsstil: Wie möchten wir in Zukunft leben? Das ist die sozialökonomische Kernfrage der Zeit. Daraus ergibt sich für Ulrich die Frage nach einem anderen Fortschritt, der aus dem Blickwinkel der Lebenswelt zu definieren ist. Er bemüht sich deshalb um Leitideen für wirklich moderne Lebensformen, die den normativen Ansprüchen der Sozialverträglichkeit - und das heißt immer auch, der ökologischen Umweltverträglichkeit - genügen können.
Alternative Lebensformen sind gefragt, die eine Rückbesinnung auf den Eigenwert lebensweltlicher Freiräume autonomen Tätigseins und freier Kommunikation ermöglichen. Es geht dem Menschen zunehmend um die Verteidigung solcher Freiräume gegen ihre fortschreitende Durchdringung durch die eigensinnigen Funktionszwänge der Systementwicklung (Durchökonomisierung, Durchstaatlichung, Technokratisierung). Wo diese Funktionszwänge bereits gegriffen haben, geht es dem Menschen um die „Entkolonisierung“ der Lebenswelt, d. h. ihrer eigenen Lebenswelt, von den unerträglichen Eingriffen der Systemzwänge. Es kann für historisch wahrhaft progressive, zeitgemäße und für breite Bevölkerungskreise attraktive Fortschrittskonzepte keine eindimensionale Totallösung geben - weder eine systemische (Technokratie) noch eine rein lebensweltliche (Tradition). Eine ganzheitlich entfaltete Modernität setzt relativ autonome, funktional durchrationalisierte Subsysteme ebenso voraus wie eine relativ autonome, von pathologischen Systemzwängen freie, kommunikativ geordnete Lebenswelt. Ulrich sieht Chancen für eine duale Lebensform, in der sich die formalrechtliche und faktische Verfügungsgewalt wirklich auf die innere Systemsteuerung begrenzt und die Autonomie der Lebenswelt gegenüber potentiellen Übergriffen systemischer Funktionszwänge bestmöglich wiederhergestellt und geschützt wird.
Ein zweites Beispiel für zukunftsfähige Lebensformen ist ein Modell emanzipatorischer Sozialpolitik, dessen wesentliche Elemente auf die Selbsthilfekapazität und Selbstverantwortung des Menschen abstellen und verstärkt Selbsthilfeeinrichtungen ermöglichen, die komplementär zu bestehenden Systemen jene psycho-sozialen Probleme lösen helfen, mit deren Lösung die bestehenden Systeme überfordert sind.
Ulrich hat erkannt, daß in der heutigen Gesellschaft Wachstum als Schlüsselgröße aufgefaßt wird, von dem die Lösung der meisten weiteren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele abhängig ist. Das Wachstum könne und solle im Sinne einer totalen Nutzen/Kosten-Analyse „qualitativ“ sein, aber Wachstum müsse es sein. Hier droht der Wohlfahrtsstaat in einen Teufelskreis zu geraten: er setzt zu seiner eigenen Finanzierung eben jenes bedingungslose Wachstum voraus, dessen explosiv steigende Folgekosten er mit abnehmendem Erfolg bekämpft. Dagegen könnte eine emanzipatorische Sozialstrukturpolitik im präventiven Bereich zu einer umfassenden, mittel- und langfristig angelegten Strukturpolitik werden, der es um die Verbesserung der gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine gelingende Sozialisation und personale Identitätsbildung des Menschen geht 20).
Erlebnisgesellschaft
Die Gesellschaft läßt sich heute auch als „Erlebnisgesellschaft“ verstehen, in der der Sinn des Lebens durch die Qualität subjektiver Erlebnisprozesse beschrieben werden kann. Die Vorstellung, mit der Erlebnisorientierung sei das Ende aller Schwierigkeiten erreicht, ist eine Täuschung. In Wahrheit setzen sich die Schwierigkeiten auf einer neuen Ebene fort. Bedroht ist nicht nur das Leben, sondern sein Sinn. Das Ziel der Erlebnisorientierung ist verbunden mit den Ängsten Unsicherheit und Enttäuschung. Erlebnisse sind nicht Eindrücke, sondern Vorgänge der Verarbeitung.
Das reichhaltige Instrumentarium kultursoziologischer Analysen wird in einem Tableau dreier kultureller Übergangsstadien der Bundesrepublik zusammengefaßt: Restauration der Industriegesellschaft, Kulturkonflikt, Erlebnisgesellschaft. Die Beschreibung der Kulturpolitik heute mündet in eine Betrachtung der „Kulturpolitik nach der utopischen Phase“, bei der es um Grenzen und paradoxe Nebenwirkungen geht.
Eine Grenze ist der Versuch, gesellschaftspolitische Interventionen auf den Erlebnismarkt mit Hilfe der Kulturpolitik zu etablieren. Dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Auch höhere Geldmittel und weitere administrative Verfestigung können die Irrelevanz der Kulturpolitik für die Dynamik des Erlebnismarkts nicht beheben.
Hier einige Beispiel für paradoxe Ziele von Kulturpolitik:
· Angebote sollen Konsumhaltungen bekämpfen.
· Institutionen sollen Autonomie verteidigen.
· Milieuspezifisch geprägte Programme sollen sich an alle wenden.
· Politik soll unpolitisch bleiben.
Der kulturpolitische Diskurs vollzieht sich in einer Welt, in der paradoxe Nebenwirkungen Normalität sind. Kennzeichnend für den kulturpolitischen Diskurs ist allerdings eine geringe Sensibilität für diese Situation.
Erforderlich ist die Abwehr endogener Destruktionstendenzen im kulturpolitischen Handlungsfeld. Sechs Thesen mit Gefahren, die den Anschein des Wünschenswerten haben:
· Illusion einer paradoxiefreien Kulturpolitik
· Kulturpolitisches Wachstum soll ersetzt werden durch kulturpolitisches Optimum.
· Die Versuchung, Kulturpolitik als Herrschaftsinstrument einzusetzen, wächst in demselben Maße wie ihr Herrschaftspotential. Mit zunehmender Zentralisierung gerät nicht nur die Bürgernähe der Kulturpolitik in Gefahr, sondern auch ihre Mittlerposition zwischen Neutralisierung und Politisierung.
· Die chaotische Struktur des kulturpolitischen Handlungsfeldes fordert den Versuch heraus, Ordnung zu schaffen. Gerade die chaotische Struktur ist aber produktiv.
· Publikumserfolg ist ein gemeinsames Ziel der Akteure des kulturpolitischen Handlungsfeldes - im Grunde aber nur ein Ersatzkriterium für andere weniger greifbare Ziele, die Gefahr laufen, allmählich vergessen zu werden.
· Solange ökonomische Wirkungen lediglich als Nebenwirkungen betrachtet werden, bleiben sie ohne Folgen. Eine ökonomische Wende aber könnte die Konvergenz von kulturpolitischer Enklave und kommerziellem Erlebnismarkt bis zur Unterschiedslosigkeit vorantreiben und letztlich Kulturpolitik bedeutungslos machen.
Beim kulturpolitischen Übergang der Bundesrepublik bildet die Erlebnisgesellschaft die Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen. Wo Erlebnisse zum beherrschenden Thema werden, beginnt man, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Der Erlebnismarkt hat sich zu einem beherrschenden Bereich des täglichen Lebens entwickelt. Routiniert sind auch die Nachfrager geworden. Das Publikum ist an das Neue gewöhnt.
Kulturpolitik schließlich ist zu einer fest institutionalisierten kommunalpolitischen Größe geworden. Ein kulturpolitischer Rechtfertigungskonsens lenkt zunächst noch von paradoxen Nebenwirkungen der Kulturpolitik ab. Als Thema der nachutopischen Phase des kulturpolitischen Diskurses kristallisiert sich die Frage von Grenzen und Risiken der Kulturpolitik heraus.
Abschließend ist zu fragen, ob wir uns als Opfer betrachten sollen. Dabei sei verwiesen auf die gängige Praxis, in der das Publikum überwiegend als therapiebedürftiges Objekt auftaucht, als handle es sich um einen soziokulturellen Pflegefall. Man schiebt ihm keine Verantwortung zu, sondern analysiert die Umstände, denen es unterworfen ist. Schulze schließt mit den Sätzen: „Die gegenwärtige Krise des Subjekts ist durch fürsorgliche Entmündigung jedoch nicht zu entschärfen. Wir, das Publikum, müssen erkennen, daß wir die Situation, in der wir uns befinden, nicht besser verdienen.“ 21).
Nachdenklich stimmt eine Äußerung von Erwin Chargaff: „Ich denke, man kann sagen, daß die Menschen immer autistischer werden, nach innen gestülpt, aber innen ist nichts.“ 22).
Identität
Nicht nur dem einzelnen fällt es heute immer schwerer, sich mit seiner Lebenswelt abzufinden, sie als die seine zu akzeptieren und eigenständige Antworten auf die Frage zu finden: Wo komme ich her? Wo stehe? Wohin gehe ich? Auch gesellschaftliche Gruppen, Staaten und Nationen haben an diesem Punkt zunehmend Schwierigkeiten. Das gilt auch - und gerade - für uns Deutsche. Die Frage, wer wir heute sind - in Ost ebenso wie in West - scheint für uns Deutsche schwerer zu beantworten als jemals zuvor - und wer wir dann gemeinsam sein können, die „neuen“ Deutschen, das ist ein noch ungelöstes Rätsel. Hier wird es darauf ankommen, daß immer mehr Menschen in die Lage versetzt werden, eigenständig ihrem Leben Inhalt und Richtung zu geben sowie ihrem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen.
Wenn sich in dieser Entwicklung der einzelne zur sozialkulturellen Persönlichkeit entfalten kann und damit in die Lage versetzt wird, soziale - und das heißt damit auch politische - Verantwortung zu übernehmen, dann stärkt er die Tragfähigkeit der Gesellschaft insgesamt.
Dies ist ein gesellschaftlicher Zusammenhang, der wesentlich hinführt zum Begriff der Identität 23). Es gehört dazu die Erkenntnis, daß ohne die Vergangenheit die Gegenwart ohne Aussagekraft bleibt und die Zukunft ohne Ziel. Niemand wird ein mündiger Bürger, ein verständnisvoller Nachbar und ein opferbereiter Sozialpartner sein, wenn ihm die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht als ein Gemeinsames bewußt sind. Das gilt für den einzelnen wie für die gesellschaftlichen, nationalen und ethnischen Gruppen gleichermaßen.
Die jüngste und umfassendste Bestandsaufnahme politischer Kultur im vereinigten Deutschland stammt von Martin und Sylvia Greiffenhagen. Sie erkennen: „Eine Bevölkerung, welche die Koordinaten ihrer geschichtlichen, kulturellen und sozioökonomischen Existenz nicht kennt, ist eine Gesellschaft von Unmündigen. Die Kenntnis der politischen Kultur des eigenen Landes gehört zu den Lebensbedingungen einer demokratischen Nation. In dem Maße, in dem immer mehr Bereiche unseres Lebens von Politik bestimmt werden, wird politische Orientierung zur unverzichtbaren Voraussetzung persönlicher und politischer Identität“ 24). Nach meiner Auffassung sollte der mündige Bürger auch Kenntnis von den Koordinaten seiner seelischen und ökologischen Existenz haben.
2. Handlungsfelder
Eine erste Auswahl aktueller Handlungsfelder wendet sich bewußt ab von den Schwerpunkten gegenwärtiger Diskussion Arbeit, Wirtschaft, Ökologie und zielt auf Bereiche, die eher am Rande zu stehen scheinen. Kultur und Bildung werden ausgewählt, weil sie Querschnittsfunktionen haben und in besonderer Weise zukunftswirksam sind.
Der gesellschaftliche Diskurs sieht zur Zeit noch fast ausschließlich den Wirtschaftsstandort Deutschland und erörtert die Frage, ob dieser gefährdet sei und wenn, warum das der Fall ist. Die Politik entwickelt Programme zur Sicherung und Stärkung dieses Standortes 25). Kultur und Bildung werden als weiche Standortfaktoren in eine ökonomische Rechnung eingestellt.
Dabei bleibt zweierlei unberücksichtigt:
Einmal sind weder Kultur noch Bildung zu bezahlen - man kann allenfalls ihre Voraussetzungen, ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ihre Ergebnisse finanzieren, aber auch das oft nur in begrenztem Maße. Zum anderen sind beide zunächst individuelle Prozesse, die sich in der Persönlichkeit eines Menschen ausdrücken, und werden deshalb verfälscht, wenn sie ausschließlich als Faktor in eine ökonomische Rechnung eingestellt werden.
Die zentrale These lautet:
Nicht technische, ökonomische oder ökologische Themen entscheiden über die Zukunft, sondern die Antwort auf die Frage, ob es dem Menschen gelingt, mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit der Umwelt so umzugehen, daß er überlebt.
Deshalb sind Kultur und Bildung die entscheidenden Voraussetzungen für das Überleben des Menschen.
Im Jahre 1973 lag der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Dortmund ein Bericht als Beratungsgrundlage vor mit der programmatischen Überschrift „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“. In diesem Bericht heißt es, die moderne Stadt sei nicht unvereinbar mit einer persönlichen Umwelt, die die soziale, geistige und kulturelle Entfaltung des Menschen ermöglicht. Die Verbindung von ökonomischen und kulturellen Zielen lasse sich nur erreichen, wenn Bildung und Kultur zu einem unverzichtbaren Element der Stadtentwicklung werden.
Dann folgen diese Sätze:
„... Die Stadt muß als ein Ort begriffen und konzipiert werden, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht. Kultur in der Stadt bedeutet daher,
· die Kommunikation zu fördern und damit der Vereinsamung entgegenzuwirken,
· Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen,
· die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung und oberflächliche Ablenkung zu überwinden.
Eine Kulturpolitik, die diese Ziele verfolgt, muß den kulturellen Bereich gegenüber der Gesellschaft öffnen und ein Kulturverständnis überwinden, das vornehmlich zur Rezeption herausforderte. Eine ihr entsprechende Stadtentwicklung muß dafür sorgen, daß die Schaffung besserer sozialer und kultureller Bedingungen für alle Bürger und die Förderung der Chancengleichheit als wesentliche Entscheidungskriterien in die Gesamtplanung eingehen. ...“ 26).
Ich bezeichne diesen Bericht gerne als die Magna Charta der kommunalen Kulturpolitik in der Bundesrepublik. Hier sind bereits jene Elemente angesprochen, die uns auch heute beschäftigen. Vieles ist seither auf den Weg gebracht worden. Doch wenn es stimmen sollte, daß hier eine tragfähige Grundlage kommunaler Kulturpolitik formuliert worden ist, dann muß sie auch die im Wandel begriffene Kultur unserer Tage auffangen und begleiten, ja stützen und stärken können.
Abkehr von Vereinsamung - hier könnten wir heute die Überwindung der rein subjektivisch geprägten Erlebniswelt durch eine kommunikative Form des Erlebens sehen.
Zwänge des Lebens - werden sie nicht kompensiert durch den langsamen Blick eines John Franklin?
Reflexion - ist sie nicht eine Voraussetzung für gelungene Identitätsarbeit - und schließlich nicht auch deren Folge?
Vor diesem Hintergrund gewinnen die beiden Handlungsfelder zentrale Bedeutung für die Stadtentwicklungsplanung.
Handlungsfeld Kultur
Beschreiben wir Kultur als Lebensgefühl einzelner oder von Gruppen, in dem Lebensinhalte und Lebensziele zum Ausdruck kommen, dann reicht ihre Bedeutung weit über das Wirtschaftliche hinaus. Sie ermöglicht Identität, sie verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sie gibt der Zeit eine eigene Dimension. Sie ist eine Erfahrung, die Innovation und Kommunikation fördert und stärkt. Von diesem Geflecht unterschiedlicher Formen, mit denen die Menschen ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleihen, sind die Produkte zu unterscheiden, die als Ware auf dem Markt gehandelt werden. Als Ergebnisse kultureller Prozesse sind auch sie Ausdruck von Lebensgefühl, gewinnen aber darüber hinaus den Warencharakter, der Handel ermöglicht und sie den Gesetzen von Nachfrage und Angebot, von Hausse und Baisse unterwirft.
Kultur in der Stadt ist zunächst und vor allem Lebensäußerung aller in der Stadt lebenden Menschen und deshalb keinem bestimmten Anbieter oder Nachfrager zuzuordnen.
Wenn diese kulturellen Prozesse den einzelnen oder ganze Gruppen in die Lage versetzt, Verantwortung zu übernehmen und auf diese Weise eine Entwicklung zur sozialkulturellen Persönlichkeit in Gang setzt, dann spreche ich von Soziokultur 27).
Im Rahmen des Handlungsfeldes Kultur werden die Werte der Gesellschaft geprägt, verändert und als Antwort auf künftige Herausforderungen auch neu geformt. Verstehen wir Kultur in dieser Weise, dann müssen die bisherigen Sparten weniger von den Angeboten als von ihren Funktionen her bestimmt und in ihrer Bedeutung für die künftige Entwicklung wesentlich verändert werden.
Zunächst geht es darum, nicht Konsumangebote zu fördern, sondern Anstöße zur Ausbildung eigener Lebensinhalte und -ziele, Ausdrucksformen und eigenständiger Identitäten. Dazu sollte man einige Eigenschaften haben, wie Nadolny sie beschreibt - den gelassenen Blick der Analyse, den durchdringenden, der sich auf das Detail konzentriert, und den umfassenden Blick, der Zusammenhänge erfaßt. Und gerade die Ausprägung einer sozialkulturellen Persönlichkeit gelingt nicht ohne jene Toleranz, die von der Verschiedenheit individueller Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen lebt.
Wenn dies gelänge, wäre das dann nicht ein Ansatz dafür, daß eine Sprache gefunden werden kann, die „der Zeit mit ihren eigenen Kategorien begegnen“ könnte? Kann Zeit künftig eine die Zivilisation der Gesellschaft prägende kulturelle Bedeutung erhalten? Vermutlich gibt es auf diese Fragen noch keine Antwort. Wenn es aber zutrifft, daß die Priorität der ökonomisch bestimmten Geschwindigkeit die Zerstörung der Demokratie bedeutet, dann könnte es sein, daß von der Antwort auf diese Fragen die Zukunft der menschlichen Gesellschaft abhängt.
Dann stellt sich auch die Frage der Ökologie ganz anders - mit dem „Panoramablick“ erkennen wir die Zusammenhänge differenzierter als bisher und unsere Toleranz läßt auch das Unerwünschte zu. So werden wir unseren „Tunnel“ verlassen und freien Blicks in unsere Zukunft gehen.
Die „kommunikative Vernunft“ gewinnt die Bedeutung, die ihr Peter Ulrich zumessen möchte. Er spricht sogar von einer sozialen Verantwortung, die sich dialogisch verwirklicht, z. B. im dialogischen Interessenausgleich, in solidarischer Verantwortung, in emanzipatorischer Kommunikation, in der sogenannten Input-Verantwortung (Entscheiden mit den Betroffenen), im Willen zu vernünftigem Konsens und das alles vor demokratischem Hintergrund 28). Schließlich sieht Ulrich einen Fortschritt zur sozialökonomischen Vernunft 29).
Das gleiche Phänomen beschreibt Gerhard Schulze, wenn er die Erlebnisgesellschaft reduziert sieht auf einen Erlebnismarkt, der nicht den anderen, sondern in einer Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen nur das einzelne Subjekt anerkennt - auch hier spielt Geschwindigkeit eine verhängnisvolle Rolle. Er gibt der Kultur einer solchen Gesellschaft keine Chance.
Jetzt ist es wichtig, Identität nicht als Schlagwort des Tages zu verschleißen oder als Leerformel wohlfeil dem Ausverkauf zu überlassen, sondern im eingangs beschriebenen Sinne jene Koordinaten zu vermitteln, die der mündige Bürger und eine mündige Gesellschaft brauchen.
Gelänge das, dann könnte Erwin Chargaff nicht mehr feststellen, in den Menschen sei „nichts“.
Fast wie eine Zusammenfassung des Themas klingt nun Ernst Ulrich von Weizsäckers Beschreibung der Kultur einer ökologischen Wohlstandsgesellschaft. Er fordert für sie, daß Natur, Tier und Pflanze einen Wert an sich darstellen und von ihrer Rolle als Ware befreit werden müssen. Eine Ästhetik der Vielfalt, der ökologischen Dauerhaftigkeit, der Langfristigkeit, der Langsamkeit, der Fehlerfreundlichkeit, der bewußten Grenzziehungen einerseits und der weltweiten Zusammengehörigkeit andererseits, der Unverkäuflichkeit, der Eigenarbeit kann zum überlebenswichtigen Merkmal der Kultur im neuen Jahrhundert werden. Viele Dinge und Tätigkeiten werden der monetären Entwicklung wieder völlig entzogen 30).
Was von Weizsäcker hier als ökologische Dauerhaftigkeit bezeichnet, ist als Übersetzung des englischen Ausdrucks „sustainable development“ inzwischen mit dem Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ allgemein in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Damit wird eine Entwicklung bezeichnet, die von einem Verhalten des Menschen geprägt ist, das nicht mehr verbraucht und zerstört als sich wieder erneuern und wieder nachwachsen kann.
Es dürfte deutlich geworden sein, daß sich hier neue Einsichten in das Wesen von Kultur und ihrer Funktion für die Gesellschaft ergeben. Nun gilt es, sie sichtbar zu machen und ihre tragenden Strukturen einzubringen in die aktuelle Auseinandersetzung. Ansätze sind dafür bereits vorhanden.
Das Augenmerk der Verantwortlichen richtet sich auf die Vielfalt kultureller Prozesse in der demokratischen Gesellschaft, die zu stärken und zu fördern Voraussetzung für ihre Kraft ist, zu überleben.
Fassen wir das alles in einem Bild zusammen, dann könnte man Kultur als den Mörtel bezeichnen, der die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Elementen herstellt oder von den Muskeln sprechen, die einen Menschen koordiniert und zielgerichtet Bewegungen vollziehen läßt.
Bildung
Ich gehe davon aus, daß nicht eine Anlage oder seine Umwelt den Menschen von vornherein bestimmt, sondern daß das erst geschieht im Verlaufe eines vielfältigen Prozesses, in dem sich der Mensch mit seinen Antrieben und Bedürfnissen an der Welt orientiert und sich mit ihr auseinandersetzt, weil er sich selbst zugleich mit der Welt in den Griff bekommen muß 31). Weiterhin verstehe ich Bildung in ihren Elementen als Erziehung auf dem Wege methodischer Planung, als Entfaltung von Fähigkeiten und die Entwicklung von Fähigkeiten bis zu dem jeweiligen Individuum erreichbaren Optimum 32.
Bildungsarbeit wird verstanden als gestaltende Einflußnahme im Sinne eines Angebots von außen und der Bereitschaft von innen zum Dialog über das Sein des einzelnen wie der Menschheit in ihrer Geschichte. Je umfassender, gründlicher und lebendiger die geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte des einzelnen dafür entwickelt werden, desto günstiger sind die Voraussetzungen für Bildung. Emanzipation, Mündigkeit und Individualität des Menschen sind Ziele, die mit Bildungsarbeit angestrebt werden. Allerdings kann Bildung zwar von außen befördert, aber nur vom Subjekt selbst verwirklicht werden, indem es sich zu sich selbst und zu seiner Umwelt in kritische Distanz stellt. Die Würde des Menschen verbietet jede Funktionalisierung des Menschen für äußere Zwecke. Schließlich ist noch auf den engen Zusammenhang von Bildung, Kultur und Lebenswelt hinzuweisen, die untereinander in Wechselbeziehung stehen 33).
Für unseren Zusammenhang ist das deshalb von Bedeutung, weil diese Beschreibung der Ausgangslage auch das Verständnis von Bildung für die vorliegende Arbeit klärt.
Die Komplexität der modernen Lebenswelt schlägt sich in den Anforderungen an die Bil-dung nieder. Die Gefahr der Funktionalisierung ist nicht erkannt, wenn im gesellschaftlichen Konsens Bildung weiterhin als Qualifizierungsmittel und Instrument zur qualitativen Verbesserung der Marktchancen verstanden wird. Hier müßte deutlich unterschieden und Transparenz hergestellt werden. Deshalb scheint mir diese differenzierte Darstellung wichtig, um das Verständnis für die Zusammenhänge zu erhöhen.
Von Bildung unterscheiden müssen wir das Wissen, das auf Beobachtungen, Kenntnisse und Einsichten über vielfältige Wissensbereiche zielt und eine Voraussetzung für bewußte Lern-, Denk- und Problemlösungsprozesse ist, von denen aus ein Individuum die Welt interpretiert und auf sie verändernd einwirkt. Der Erwerb von Wissen ist nicht nur von kognitiven Faktoren, sondern auch von motivationalen und sozialen Faktoren abhängig.
Auf der Weitergabe des erworbenen Wissens beruht die kulturelle Tradition und die Geschichte der Menschheit. Der Wissensbestand der Menschheit versetzt den Menschen in die Lage, seine eigene Entwicklung zu verstehen und auf dieser Grundlage seine Zukunft zu gestalten. Eine der schwierigsten Aufgaben der Didaktik ist es, das vorhandene Wissen so zu elementarisieren, daß der Erwerb von Allgemeinbildung in der Schule noch möglich ist 34).
Wir sehen, daß auch Bildung einen Maßstab braucht, um bewerten und auswählen zu können.
Schließlich kommt die Zeit ins Spiel. Wissen veraltet immer schneller - zumindest sind Fakten- und Methodenwissen häufig schnell überholt. Dagegen gewinnt Orientierungswissen zunehmend an Bedeutung. Was versetzt mich in die Lage, meine eigene Entwicklung zu verstehen und meine Zukunft zu gestalten? Hier müssen neue Maßstäbe her, damit wir den uns bevorstehenden Herausforderungen gerecht werden können. Ein angemessenes und tragfähiges Verhältnis zwischen Aktualität und Kontinuität des Wissens muß gefunden werden, das den Fortgang der Entwicklung sichert.
Es genügt zweifelsohne nicht, das Faktenwissen sektoral zu kürzen, Methodenwissen auf die jeweils jüngsten, aktuellen Schwerpunkte zu konzentrieren und Orientierungswissen an wenigen traditionellen Werten zu kristallisieren.
Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten müssen die Koordinaten unserer Existenz neu definiert werden. Es sollte eine Chance geben, die Komplexität der Lebenswelt auch dann zu akzeptieren, wenn wir sie nicht vollständig verstehen können und unsere eigenen Koordinaten so zu bestimmen, daß etwas von jener Komplexität in Ansätzen spürbar bleibt. Dann kommt es darauf an, die Koordinaten, deren Kenntnis die Bevölkerung in die Lage versetzt, verantwortlich zu handeln, hinreichend konkret zu benennen. Das ist nun nicht mehr eine Aufgabe der Didaktik allein. Hier sind alle gesellschaftlichen Disziplinen aufgefordert mitzuwirken. Bildung schafft die Voraussetzung dafür, daß das überhaupt gelingen kann.
Habe ich für die Kultur das Bild vom Mörtel oder dem Zusammenspiel der Muskeln gebraucht, so möchte ich Bildung mit einem Transportsystem vergleichen, mit dem die vielfältigen Elemente von Wissen und Erfahrungen in einer modernen Gesellschaft vermittelt werden. Es muß so beschaffen sein, daß auch moderne Transportmittel ihren Weg und ihr Ziel finden, zugleich aber die lebens- und überlebensnotwendigen vor den weniger wichtigen Vorfahrt haben.
Bildung entscheidet über Inhalte, Wissensgegenstände und Kenntnis gesellschaftlicher Koordinaten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dies sind die wichtigen Funktionen der Bildung als einem zentralen Handlungsfeld in der Stadtentwicklungsplanung - und darüber hinaus.
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Die folgenden Hinweise sind Konsequenzen aus dem bisher dargestellten Sachverhalt. Sie zeigen eine Richtung auf, bedeuten also nicht, daß bisherige Maßstäbe überholt sind. Es hat auch mit der Komplexität unserer Welt zu tun, daß wir das Vorhandene nicht aufgeben können und uns dennoch auf das Neue einlassen müssen.
In letzter Abstraktion meint der Begriff der Komplexität die Einheit des Mannigfaltigen. Die Einsicht, daß es nicht möglich ist, einen mehrdimensional zu messenden Sachverhalt ohne Informationsverlust zur Einheit zu aggregieren, hat zu der Vorstellung geführt, Mannigfaltigkeit als Einheit zu nehmen. Auf diese Weise entgehe ich der Notwendigkeit, im Zuge der Aggregation des Mannigfaltigen zu entscheiden, für welche Zwecke ich welche Aggregationsweise wählen und welche Informationsverluste ich in Kauf nehmen kann. Verstehen wir Komplexität also als Ausdruck der Tatsache, daß eine Vielheit wirksam wird. In diesem Sinne wird der Begriff Komplexität für systemtheoretische Analysen wie auch in der Informationstheorie verwandt. In jedem Falle sind relationierende und limitierende Entscheidungen notwendig. Auch in der soziologischen Gesellschaftstheorie hat der Versuch, das Eine mit dem Vielen zu versöhnen und das auf der Grundlage einer Rekonstruktion gesellschaftlicher Komplexitätserfahrungen, zu keinem Erfolg geführt.
Wird Komplexität dagegen als Abstraktion akzeptiert und verstanden als ein Instrument, um einem Sachverhalt gerecht zu werden, der sich konkreten Begriffen entzieht, dann entfällt die Notwendigkeit, das Eine mit dem Vielen zu versöhnen oder die Perfektion der besten der möglichen Welten zu erzielen durch Kombination von Ordnung und Varietät. Komplexität bleibt abstrakt, weil sie die Erfahrung des Wechsels der Komplexitäts-Bezüge im Alltag des gesellschaftlichen Lebens reflektieren muß 35). Nach diesem philosophisch-wissenschaftstheoretischen Exkurs, den ich Niclas Luhmann verdanke, kehre ich zu unserer Fragestellung zurück.
Mir scheint, daß nur ein solcher Weg gangbar ist, der Offenheit zuläßt und Relationen nicht als stabiles, sondern als das Zusammenspiel dynamischer Systeme begreift. Vielleicht könnten Wissenschaftler jenen Graben überwinden helfen, der es dem Praktiker erschwert, im Sinne Luhmanns, „die Komplexitäts-Bezüge im Alltag des gesellschaftlichen Lebens zu reflektieren“. Wie in anderen Fällen auch, sind die Praktiker aber gefordert, zu entscheiden. In der Stadtentwicklungsplanung geht es darum, heute die Voraussetzungen für jenes Instrumentarium zu schaffen, mit dessen Hilfe die Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden. Mein Vorschlag geht deshalb dahin,
· einmal, den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu intensivieren und dieser Fragestellung verstärkt Gewicht beizumessen,
· zum anderen aber, in Kenntnis dieser Zusammenhänge und im Vorgriff auf mögliche Verbesserungen auf diesem Wege, das bereits heute Mögliche in Angriff zu nehmen.
Für die folgenden Hinweise bedeutet das, daß mit jeder Anwendung zu prüfen bleibt, ob und in welcher Weise das Neue das Alte ersetzt, ergänzt oder weiterführt.
Vor fünf Jahren kam der amerikanische Sozialwissenschaftler Richard Sennett zu der Erkenntnis: „Es gibt heutzutage bedrückende Anzeichen dafür, daß die auf eine organische Einheit zielenden Einstellungen zur Welt nicht in die Wahrnehmung der Komplexität und in die Auseinandersetzung mit ihr münden.“ 36). Er tritt ein für das Offenhalten der Unterschiede und für die Bereitschaft, mit ihnen zu leben.
Es hat mit dem Mangel zu tun, von dem Sennett spricht, wenn die Hauptthese dieser Arbeit den Umgang des Menschen mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit der Umwelt als Überlebensfrage benennt. Deshalb soll hier der Versuch einer solchen Auseinandersetzung unternommen werden.
An einigen Schwerpunkten werde ich aufzuzeigen versuchen, in welcher Richtung Maßstäbe verändert werden müssen, wenn wir heute Entscheidungen treffen, die auch künftig noch tragfähig sein sollen.
Nachhaltigkeit
Nicht mehr zu gebrauchen und zu verbrauchen als sich wieder erneuert und als nachwachsen kann, ist ein Grundsatz. Im Einzelfall wird es immer wieder zu Kompromissen und zu Ausnahmen kommen. Viel wäre aber schon erreicht, wenn dieser Grundsatz allgemein anerkannt und auf alle Lebensbereiche angewandt werden könnte. Er betrifft nämlich nicht nur die sogenannte „natürliche“ Umwelt, sondern die soziale ebenso wie den Menschen als Individuum selbst.
Das Kürzel „UVP“ steht bei Planern für „Umweltverträglichkeitsprüfung“ und bezeichnet jenen Vorgang, mit dem Projekte daraufhin geprüft werden, ob und in welchem Umfang sie Belastungen für die Umwelt darstellen oder zur Folgen haben.
Für die Nachhaltigkeit könnte ich mir ein ähnliches Prüfinstrument vorstellen, das aber eher als eine „Nachhaltigkeitsbilanz“ ein Projekt daraufhin untersucht und bewertet, in welchem Ausmaß es Ressourcen einschließlich der Kräfte von Menschen und ihrer Kreativität ver-braucht (konsumiert) und andererseits ge-braucht (freisetzt), um Erneuerungsprozesse in Gang zu bringen. Im Bereich von Kultur und Bildung könnte man z. B. jenen Teil, der den Apparat verwaltet, danach überprüfen, mit welchen Anteilen er unmittelbar Freiräume eröffnet sowie Erneuerungen ermöglicht und mit welchen Anteilen er formalen Kategorien oder verwaltungsinternen Vorgaben Rechnung trägt. Man wird auch kommerzielle Angebote, die sich selbst tragen, anders bewerten als jene, die nur entstehen können, wenn Kommunen etwa oder andere Mäzene ihnen ausreichend Freiräume eröffnen. Hier müßte noch näher eingegangen werden auf die Thematik und diese Sichtweise näher untersucht werden, bevor man zu einem anwendungsfähigen Instrument kommt. Dabei sollte auch der Aspekt der Effizienz, der Wirksamkeit von Projekten eine Rolle spielen und in eine solche „Nachhaltigkeitsbilanz“ eingebracht werden.
Auch hier sei wieder an Sten Nadolny erinnert und daran, daß wir wohl alle eine angemessene Komposition der verschiedenen Blicke des John Franklin benötigen - den langsamen Blick (Analyse), den starren Blick (Detail), den Panoramablick (Zusammenhänge). Besonders für die Handlungsfelder Kultur und Bildung gilt jedoch, sich stets von neuem zu vergewissern, daß wir jene Toleranz üben, die mit den verschiedenen individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen lebt.
Ökonomische Tragfähigkeit
Die Erkenntnis, daß wir auf Dauer nicht über unsere Verhältnisse leben können, gilt zwar für alle Lebensbereiche, ist aber auf dem Gebiet der Wirtschaft im ökonomischen Prinzip zu einem Grundsatz von Wissenschaft und Praxis geworden. Mit gegebenen Produktionsfaktoren soll ein Optimum an Nutzen erzielt werden. Mit begrenzten Mitteln wird ein Höchstmaß an Erfolg erreicht.
Der Gesichtspunkt der Tragfähigkeit stellt nun darauf ab, daß man nicht einen größeren Nutzen, oder einen höheren Zweck anstreben sollte, als man mit gegebenen Mitteln tatsächlich erreichen kann. Man sollte nur ausgeben, was man hat - und jede Mark nur einmal. Was auf den ersten Blick einleuchtet, beschreibt aber längst nicht mehr die Realität unserer Tage. „Fund-raising“ ist ein Weg, für vorhandene Projekte Gelder zusammenzubringen. Eine unübersehbare Vielfalt unterschiedlicher Finanzierungswege, einschließlich der Abschreibungsmöglichkeiten und Einwerbung von Fördermitteln sowohl von den öffentlichen Händen als auch von der Wirtschaft haben gemeinsam mit der Gleichsetzung von Wünschen mit Zielen die Grenzen ökonomischer Tragfähigkeit oft verschwimmen lassen. Vielleicht hat auch die Vermischung oder gar Verwechslung kultureller Werte mit dem Marktwert zu Ansprüchen geführt, die mit der Realität wenig mehr zu tun haben.
Der Grundsatz der ökonomischen Tragfähigkeit besagt, daß nur realisiert wird, was man bezahlen kann. Wenn man in den Handlungsfeldern hier an Grenzen stößt, müßten Kreativität und Innovationsbereitschaft gefordert werden, um das Ziel zu erreichen ohne den ursprünglich für notwendig gehaltenen Mitteleinsatz. Projekte auf diesen Handlungsfeldern dürfen nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gesellschaft übersteigen.
Die Anwendung dieses Grundsatzes bedeutet aber auch, daß Kultur und Bildung zu anderen Handlungsfeldern in eine Relation gesetzt werden, die eine sachgerechte Abwägung ermöglicht.
Die Stellung von Kultur und Bildung dürfte sich im Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen verändern und im Verein der Vernetzung mit anderen Handlungsfeldern auch Synergieeffekte erzielen, die neue Möglichkeiten eröffnen.
Soziale Balance
„Der deutsche Sozialstaat galt einmal als vorbildlich. Heute ist er in eine schwere Krise geraten. Gefragt sind innovative Konzepte. Aber gegenwärtig sind keine in Sicht. Was heute unter dem Stichwort Umbau des Sozialstaats diskutiert wird, ist kein Umbau, sondern ein Rückbau des sozialen Sicherungssystems, der in nie dagewesener Weise einseitig die sozial Schwächsten belastet. Das ist eine schlimme Entwicklung und wenig Anlaß zur Hoffnung, daß der deutsche Sozialstaat seiner doppelten Aufgabe künftig besser als gegenwärtig gerecht werden kann: „allen Bürgern ein menschenwürdiges Dasein zu sichern“ und „gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen“ (§ 1 des Sozialgesetzbuches) 37). Haben die beiden Greiffenhagen diese Bilanz noch in ihrem Kapitel „Hinkender Sozialstaat“ gezogen, so spricht ein Jahr später der Oberbürgermeister von Pforzheim, Joachim Becker, bereits vom „erschöpften Sozialstaat“ 38).
Für die Handlungsfelder Kultur und Bildung bedeutet diese Bestandsaufnahme, zur Kenntnis zu nehmen, daß immer weniger Menschen in der Lage sind, aus eigenen Kräften Bildungs- und Kultur-Initiativen zu ergreifen, oder Angebote zu nutzen. Ursache dafür sind nicht nur Einkommensbeschränkungen, die die entstehenden Kosten nicht mehr decken können, sondern auch die Ausgrenzungseffekte, die mit einer Reduzierung des Einkommens verbunden sind. Man spricht von einer Einkommens- und einer Lebenslagenarmut 39).
Es dürfte zu prüfen sein, auf welche Weise und für welche Sparten ein freier Zugang zu Informationen und kultureller Betätigung gesichert werden sollten. Auch eine Nachhaltigkeitsbilanz könnte hier hilfreich sein, wenn damit etwa die zeitlichen und Vorbildungs- wie auch Erfahrungsressourcen z. B. von Arbeitslosen und Rentnern für den gesamtgesellschaftlichen Prozeß aktiviert werden könnten. Man sollte in die Überlegungen auch den Aspekt einer sachgerechten Partizipation einbeziehen, der auf eine solche Weise unterstützt würde.
Auf diesem Gebiet ist noch viel zu tun. Voraussetzung ist eine umfassende und unvoreingenommene Bestandsaufnahme sowie eine Analyse, die unerwünschte Ergebnisse nicht ausklammert.
Hier müssen neue Maßstäbe gesetzt werden. Die Erhaltung der sozialen Balance ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine tragfähige Gesellschaft. Kultur und Bildung können und müssen nach dem bisher vorgetragenen Verständnis erhebliche Beiträge dazu leisten. Von ihrer Funktion her sind sie an alle Bevölkerungsgruppen verwiesen, um ihnen die Wege zu eröffnen, sozialkulturelle Kompetenz zu erwerben, verstärkt auszubilden und in die gesellschaftlichen Prozesse einzubringen. Die künstlerische Avantgarde hat schon immer Ausdruck für Lebensinhalte und -ziele gefunden, der anderen versagt war.
Künftig muß verstärkt die Begegnung gesucht werden, um entweder ein Grundmaß des Verständnisses füreinander zu gewinnen - John Franklins besondere Blicke - oder aber um die Toleranz zu entwickeln, die individuell unterschiedliche Entwicklungen zuläßt.
Neue Dimension des Raumes
Zwei Schlagworte kennzeichnen das Bewußtsein am Ende dieses Jahrhunderts. Sie sind für die Bewertung des Raumes entscheidend: „Grenzen des Wachstums“ und „Global 2000“ beschreiben die Erschöpfbarkeit der Ressourcen auf dieser Welt und die gemeinsame Verantwortung aller Menschen für deren weltweite Verwendung. Auf der Grundlage umfassender Simulationsrechnungen wird hier in zwei verschiedenen Berichten (1972 und 1980) dargestellt, wie lange die Vorräte ausreichen und was die Menschen tun müssen, um sie zu schonen 40).
Einer interessierten Öffentlichkeit eröffnet sich hier erstmals der berechenbare Blick in eine weitere Zukunft. Die Welt beginnt zu schrumpfen. Die Probleme hängen offensichtlich sehr viel enger zusammen, als bis dahin angenommen wurde. Auch die Katastrophe von Tschernobyl (1986) läßt diese Erfahrung deutlich werden. In derartigen Notfällen hat sich im Einzelfall immer wieder gezeigt, daß die Welt ökologisch oder sozial kleiner geworden ist und die Menschen näher aneinandergerückt sind. Bewußtsein und Identität trennen sie aber im übrigen mehr als sie verbindet. Wir erleben hier die doppelte Funktion des Raumes, wie William James sie beschrieben hat - einmal verbindend und zum anderen trennend.
Aber nicht nur im Weltmaßstab hat sich die Dimension des Raumes verändert. Die „Grenzen des Wachstums“ gelten auch für die Möglichkeiten vieler Städte, ihren Einwohnern ausreichend Wohnungen und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Ja, manche sehen das Ende der Urbanisierung nach dem Jahre 2000 in Sicht - und meinen damit, daß die bislang wachsende Bedeutung der Städte nachläßt 41).
Eines ist sicher, die Ballungskerne ziehen mehr Menschen an als dort ausreichend unterkommen können. Die ersten Prognosen zeigen rückläufige Bevölkerungsentwicklungen in den Ballungskernen, Bevölkerungswachstum in den Ballungsrandzonen 42).
Es gibt noch eine andere Begründung dafür, daß der Stadtraum einen Bedeutungswandel erfährt. Die alte Stadtsolidarität hat sich aufgelöst in den gesamtgesellschaftlichen Institutionen der Versicherungen und der öffentlichen allgemeinen Daseinsvorsorge. Arbeit, Raum und Zeit beginnen, sich zu entkoppeln; damit verliert der Raum zugunsten der Zeit an existentieller Bedeutung. Die Folge ist die Auflösung der Stadt von ihrer Peripherie her. Diese räumlich-funktionale Auflösung der Stadt bedeutet zwar einerseits einen unwiederbringlichen Gestaltverlust, andererseits aber auch, daß sich die räumlich-funktionalen Zwänge gelockert haben und die Stadt damit im Grunde an Gestaltungsfreiheit und Offenheit gewonnen hat. Wenn wir es wollten, könnten wir die Stadt unter soziokulturelle Bedingungen stellen. Natürlich müßten wir dabei die allgemeinen wirtschaftlichen Grenzen beachten. Das gelänge aber nur, wenn wir überzeugende Ziele für eine solche soziokulturelle Politik fänden. Doch dafür finden sich wenig Anzeichen. Die neuen „Freiheiten“ der Stadtgestaltung schlagen sich einerseits in einer ästhetischen Verherrlichung und Überhöhung der kapitalistischen Dynamik nieder oder führen zu nostalgischer Rückbesinnung auf die vorindustrielle Zeit. Es wird aber bereits erkannt, daß nur in gemeinsamer Verantwortung von Städtebau, Sozial- und Kulturpolitik ein neuer soziokultureller Gestaltungsspielraum gewonnen werden kann. Strukturwandel und Modernisierung der Gesellschaft haben Defizite erzeugt, die zu benennen wären. Drei Defizite und Gefahren seien hier beispielhaft genannt:
· Defizit an alltäglicher Realitätserfahrung.
· Defizite an Entfaltungsraum für ökonomisch und sozial benachteiligte Randgruppen.
· Gefahren von Katastrophen ökologischer und ökonomischer Art.
Wir brauchen die Stadt als Feld der einfachen, alltäglichen Wirklichkeitserfahrung, als Kompensation für den Verlust an konkreter Realität, spontaner Begegnung und Sinneserfahrung, der notwendig mit arbeitsteilig-abstrakter Arbeit verbunden ist.
Wir brauchen die Stadt aber auch als Ort mit Raum für ganzheitliche Lebensentwürfe für ökonomisch benachteiligte oder aus anderen Gründen weniger mobile Bevölkerungsgruppen. Wir brauchen nicht zuletzt eine Stadt, die weniger katastrophen- und krisenanfällig ist, mit mehr Spielraum und mehr unmittelbarem Naturerlebnis als einen Ort, der sich weniger schadenstiftend in die Naturkreisläufe einfügt und mit den Ressourcen auskommt, die ihm zustehen 43). Diesen von Thomas Sieverts auf dem Cappenberger Gespräch des Jahres 1993 in Münster vorgetragenen Gedanken über die Zukunft der europäischen Stadt muß nun noch eine andere Überlegung folgen.
Europa wächst zusammen, die Nationalstaaten verändern sich, ein neues Bewußtsein für die Region, in der man lebt, entsteht. Es gibt auch praktische Gründe, die den Regionen neues Gewicht geben. Von Brüssel zu den Gemeinden ist ein zu langer Behördenweg - es muß unmittelbare Verbindungen geben. So verlagert sich ein Schwerpunkt der Entwicklung deutlich, wenn auch erst noch allmählich von den Städten auf die Regionen. Die Region gewinnt als Raum eigene Bedeutung und erfüllt Identifikationsfunktionen. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, daß seit einem Jahr ein „Gesetz über die Kulturräume in Sachsen“ gilt, nach dem es in Sachsen acht Kulturräume und drei Kulturstädte gibt 44).
An dieser Stelle lassen sich die vielfältigen Aspekte räumlicher Dimension und ihrer Veränderung zum Ausgang dieses Jahrhunderts nicht annähernd darstellen. Aber diese Hinweise dürften ausreichen, um erkennen zu lassen, daß räumliche Konzeptionen erneuert werden müssen - und daß Kultur und Bildung dabei eine entscheidende Rolle spielen werden.
Schließlich sollten die unterschiedlichen Einwirkungen auf die Raumentwicklung nicht unterschätzt werden. Sowohl die Produktionstechnologien als auch die Zeitstrukturen, etwa Arbeits-, Betriebs-, Freizeit oder etwa die Maschinenzeit wirken auf die Nutzung des Raumes ein und verändern sie 45).
Konkret bedeutet diese Entwicklung, daß Entferntes näher rückt und Nahes eine neue Identität gewinnt.
Begegnungen, Netzwerke und Kommunikationswege aller Art müssen erprobt, installiert und auf breiter Basis etabliert werden, d. h. nutzbar für alle und jeden. Unfähigkeit und Unkenntnis dürften die häufigsten Ursachen für Gewaltausübung und Diskriminierung gegenüber Fremden und für den weltweit verbreiteten Mangel an Solidarität sein. Der von Schulze beschriebene Rückzug auf die eigene Subjektivität fördert diesen Zustand und erschwert Identitätsarbeit, die in einer Zeit grundlegenden Wandels notwendig ist. Hier stellen sich nicht nur neue und wichtige Aufgaben in den beiden Handlungsfeldern - es sind darüber hinaus Hinweise zu erkennen, daß die Bewertung beider Handlungsfelder im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu überprüfen ist.
Neue Kategorie Zeit
„Time is money“ 46) ist das Motto des beginnenden Industriezeitalters. Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts entsteht die Erfahrung des Menschen, im Massenzeitalter könne man an mehr Orten sein als früher, Ankunft und Abreise öfter genießen und in kürzere kosmische Zeit mehr gelebte zusammendrängen 47).
Die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema Zeit hat um die Mitte der 80er Jahre deutlich zugenommen. Von der „Entdeckung der Langsamkeit“ (1983) war schon die Rede. Die Erfahrung, daß es im sozialen Leben auch eine biographisch bestimmte Eigenzeit gibt, die jeder Mensch in sich trägt, führt zu der Erkenntnis, daß es eine gesellschaftliche Aufgabe sein könnte, die Eigenzeiten der Menschen zu koordinieren. Diese Aufgabe aber kann nicht individual-psychologisch, sondern muß auch sozial und politisch verstanden werden 48). Man wird dabei darauf achten müssen, daß nicht weite Teile der Bevölkerung zeitlich zurückgelassen werden.
Ich will mich bewußt auf diesen Gesichtspunkt beschränken und auf die Aspekte Lebenszeit, Weltzeit, Tiefenzeit, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit sowie auf die Wechselwirkung von Zeitstrukturen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht eingehen, weil das den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Dennoch scheinen mir die Erkenntnisse aus diesen Entwicklungen insgesamt wichtig für die Handlungsfelder Kultur und Bildung sowie für deren Neubewertung im gesellschaftlichen Zusammenhang.
Notwendig ist aber, das Verhältnis von Zeit zur Stadtentwicklungsplanung näher zu betrachten. Das Deutsche Institut für Urbanistik - Difu - in Berlin hat in den Jahren 1988/89 in zwei Veröffentlichungen das Thema bearbeitet. Zunächst wurde ganz von der Verwendung her die Frage nach der Auswirkung von Arbeits-, Betriebs- und Freizeit auf die Entwicklung des Raumes gestellt 49). An erster Stelle der Ergebnisse ist festzuhalten, daß die Entwicklung des Raumes in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung steht. Zeitveränderungen haben quantitative und qualitative Aspekte. Sie gilt es, künftig verstärkt in Planungsprozessen zu berücksichtigen, sowohl inhaltlich, etwa bei der Zielformulierung, aber auch verfahrensmäßig, etwa bei der Etablierung von Partizipationsverfahren.
Im Jahr darauf stellt sich das Thema konkret als eine Analyse von „Zeitstrukturen und Stadtentwicklung“. Im Schlußkapitel „Planung und Zeit“ werden drei Planungsaspekte beschrieben, Planung der Zeit, Planung mit der Zeit und Planung in der Zeit. Nur an einer Stelle erscheint ein inhaltliches Thema der Stadtentwicklungsplanung - und das ist die Kultur. Hier wird von der Erhaltung traditioneller Zeitmuster, der Sicherung von zeitlicher Identität, Sicherung von Zeitwohlstand und von lokaler Identität gesprochen. Nicht zuletzt hat auch die Verwendung von Freizeit einen kulturellen Aspekt 50).
Eine neue Dimension der Zeit entsteht auch durch die veränderte Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Hier wird das Strukturmuster von Eigenzeit und Fremdzeit in hohem Maße wirksam und erfordert eine spezifische Form von Vernetzung. Es entstehen Zeitklammern und Zeitknoten als Formen von Zeitrestriktionen und Zeitoptionen, denen sich Frauen in besonderer Weise ausgesetzt sehen 51).
Als Ergebnis halte ich fest, daß Zeit nicht mehr funktionalisiert werden darf, sondern vielfältig eingeführt werden muß in das komplexe Geschehen der Stadtentwicklungsplanung und in ihrer gesellschaftlichen Funktion sowohl Objekt wie Instrument der Beobachtung und der Analyse sein sollte.
Identität
Ich greife zurück auf die eingangs gestellten Fragen „Woher?“, „Wo?“ und „Wohin?“, die sich zusammenfassen lassen in die eine Frage „Wer bin ich?“. In der Vergangenheit hat es weitgehend gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Normen, Konventionen gegeben, die auf diese Frage zumindest Teilantworten zuließen. Als Folge der jüngsten Entwicklungen und der Veränderungen, die hier in einigen Schwerpunkten beschrieben wurden, lassen sich diese Antworten so nicht mehr geben. Die historischen Brüche erschweren es nicht nur den Deutschen zu erkennen und zu akzeptieren, wer sie heute nun gemeinsam sind und künftig sein werden. Bis in die aktuelle Politik hinein fällt es ja auch unter diesem Aspekt schwer, Ziele zu formulieren. Auch im Osten hat eine Auflösung der Identität eingesetzt, an deren Stelle neue treten müssen. Die Etablierung der Europäischen Union stellt eine weitere Frage nach einer neuen, vielleicht einer zusätzlichen Identität. Der „Unionsbürger“ ist Gegenstand der Maastrichter Verträge 52).
Richard Münch beschreibt den Weg zu einer europäischen Gesellschaft in fünf Kapiteln mit den bezeichnenden Überschriften Identität, Ökonomie, Politik, Solidarität und Kultur. Er versucht aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen sich eine europaweite kollektive Identität entwickelt 53).
Hier soll nur auf diese Fragestellung hingewiesen und eine praktische Konsequenz angesprochen werden. Im Rahmen verschiedener Fördermaßnahmen vergibt die Europäische Union Mittel an Träger von Maßnahmen oder auch an Kommunen unter der Voraussetzung, daß zwei Partner an dem Projekt beteiligt werden, von denen einer Mitglied der Europäischen Union sein und ein anderer in einem bestimmten geförderten Staat liegen muß, das kann auch ein osteuropäischer Staat sein 54). Bestünde die angesprochene kollektive Identität schon, wäre es relativ leicht, entsprechende Partner zusammenzubringen. So aber gelingt es vorerst nur wenigen, die Chance solcher Zusammenarbeit zu nutzen und auf diese Weise den Weg zur kollektiven Identität der Europäer zu beschreiten.
Münch spricht von Kultur in ihrer Funktion als Legitimation gemeinsamen Handelns und beschreibt ihre Globalisierungstendenzen. In einem europäischen und globalen Kulturraum gewinnt die Anerkennung von Bürger- und Menschenrechten an Bedeutung, wird aber auch die kulturelle Artenvielfalt reduziert. Ein europaweiter und globaler Kulturmarkt prägt in zunehmendem Maße die Kultur. Als eine weitere Erscheinung zeigt sich verstärkt das Bild einer multikulturellen Gesellschaft, allerdings unter der Vorherrschaft einer universalistischen Einheitskultur. In einer Konsequenz seiner Untersuchungen kommt Münch zu dem Ergebnis: Je heterogener die einzelkulturellen Weltsichten sind, um so weniger wahrscheinlich werden einvernehmliche Lösungen. Je mehr das Zusammenwachsen Europas europaweite Probleme schafft, um so mehr wird man die zentrale Entscheidungsmacht stärken müssen und um so weniger politische Teilnahme wird zu verwirklichen sein, weil diese eher auf dem niedrigeren regionalen und lokalen Ebenen möglich ist 55).
Von Zeitidentität war bereits an anderer Stelle die Rede. Zeit am Ausgang des 20. Jahrhunderts beginnt, sich mit anderem Inhalt zu füllen, neue Funktionen zu übernehmen und zunehmend eigene inhaltliche Qualität zu gewinnen.
Transparenz und Konsens
Auch zu diesem Begriffspaar kann der europäische Einigungsprozeß Anschauungsmaterial liefern. Die Verträge von Maastricht waren paraphiert und auf dem Weg, in den Mitgliedstaaten bestätigt zu werden. Doch bereits im ersten Verfahren erleben die Politiker eine unerwartete Reaktion. In einer Volksabstimmung lehnen die Dänen den Beitritt zur Europäischen Union ab. Zwei Dinge fehlten. Einmal war für den Durchschnittseuropäer nicht zu erkennen, wie die wesentlichen Strukturen dieses neuen Europa aussehen sollten. Es ging immerhin um Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik. Mit gewisser Berechtigung befürchtete er, daß mit der Stärkung Europas das demokratische Element zunehmend zurückgedrängt würde. Ich möchte daran erinnern, daß für Fukuyama das Ende der Geschichte durch die liberale Demokratie gekennzeichnet wird, also einer Gesellschafts- und Staatsform von herausragendem Wert. Zum andern wurde deutlich, daß die verantwortlichen Politiker über die fehlende Transparenz hinaus versäumt hatten, den erforderlichen Konsens in der Bevölkerung aller Mitgliedstaaten anzustreben.
Kurt Biedenkopf erklärte einmal, Antworten auf nicht gestellte Fragen würden nicht verstanden und seien deshalb mit Sicherheit auch nicht zustimmungsfähig. Vor allem unter demokratischen Bedingungen lasse sich nichts gestalten, was die Menschen nicht begreifen können 56).
In Lissabon haben die Verantwortlichen die Konsequenzen gezogen. Die Europäische Union ist inzwischen Realität - und seit Januar 1995 hat sich die EU um drei weitere Mitgliedstaaten erweitert.
Für unseren Zusammenhang gilt aber jetzt, daß Transparenz und Konsens unverzichtbare Voraussetzungen für jede fortschreitende Entwicklung sind und daß eine Vernachlässigung eines der beiden Grundsätze auf Dauer schwerwiegende Folgen haben kann. Hinzu kommt die Konsequenz dessen, was ich den Glucksmannschen Tunneleffekt nennen möchte. Schein-Transparenz und Schein-Konsens werden in entwickelten demokratischen Industriegesellschaften am Ausgang des 20. Jahrhunderts als solche erkannt und führen zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen. Auch hier sind neue Dimensionen zu erkennen.
Partizipation
Die Beteiligung Betroffener und Beteiligter an Entscheidungen ist ein allgemeines demokratisches Prinzip. Es ist im Zuge einer arbeitsteiligen, hochentwickelten Industriegesellschaft in Verbindung mit der Verbreitung einer repräsentativen Demokratie etwas in den Hintergrund getreten bis es Anfang der 70er Jahre mit zusätzlichen Ansprüchen gefüllt neues politisches Gewicht erhielt. Es handelt sich um die emanzipatorische Komponente der Partizipation.
Dabei geht es aus meiner Sicht nicht so sehr um die Partizipation an sich, als darum, daß die Teilnahme an partizipatorischen Prozessen die persönliche Kompetenz der Betroffenen und Beteiligten stärkt. Im Verlauf eines solchen Prozesses entsteht ein emanzipatorischer Effekt, der diese Gruppen in die Lage versetzt, in partnerschaftlicher Weise an einem Entscheidungsprozeß mitzuwirken. Voraussetzung dafür ist Transparenz auf allen Ebenen des Prozesses. Als Folge aber läßt sich aber auch ein erhöhtes Maß an Konsens erreichen. Deshalb muß Partizipation gefördert und intensiviert werden.
4. Instrumente
Nachdem einige Aspekte der Veränderungen auf dem Gebiet der Bewertungen komplexer Sachverhalte angesprochen worden sind, geht es jetzt um die Frage, welche Instrumente eingesetzt werden können, um diesen veränderten Maßstäben gerecht werden zu können.
Eines sei vorweg erklärt:
Bisher eingesetzte Instrument sollen nicht grundsätzlich durch neue abgelöst werden. Es geht vielmehr darum zu prüfen, ob und ggf. wann das vorhandene Instrumentarium erweitert, auch zum Teil ersetzt werden sollte durch neue Instrumente, die den veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen besser gerecht werden.
Szenario
Selten war eine Aussage, die sich mit der Verantwortung gegenüber der Zukunft beschäftigte, so wirkungsvoll wie jene von den Grenzen des Wachstums. Auf der Grundlage hochentwickelter Simulationsmodelle hat das Massachusetts Institute of Technology (MIT) die rechnerischen Grundlagen für den von Dennis und Donella Meadows, Erich Zahl und Peter Milling an den Club of Rome gerichteten Bericht vorgelegt. Vor drei Jahren haben Dennis und Donella Meadows, dieses Mal gemeinsam mit Jørgen Randers einen zweiten Bericht erarbeitet, der auf einem entwickelten Simulationsmodell (WORLD 3) aufbaut. Dieser neue Bericht enthält eine Anleitung für den Leser, in dem Struktur und Arbeitsweise des Simulationsmodells in den Grundsätzen beschrieben sind und eingeladen wird zum Bezug der Software. Hier ist eine wichtige Grundlage vorgestellt worden, die es nun jedem ermöglicht, sich mit den „neuen“ Grenzen des Wachstums auseinanderzu- setzen 57).
Seit mehr als zehn Jahren stellen Wissenschaft und Praxis den umfassenden Rechenmodellen in zunehmendem Maße Szenarien an die Seite, die nicht mehr die Wirklichkeit abzubilden versuchen, sondern sich auf einige wesentliche Strukturelemente konzentrieren und deren voraussichtliche Entwicklung beobachten. Die größere Überschaubarkeit und die Loslösung von Rechenoperationen als zentraler empirischer Grundlage erleichtern die Berücksichtigung der jeweils notwendigen Korrekturen und der nicht durch Zahlen auszudrückenden Sachverhalte. Während das Simulationsmodell auf stringenten Rechnungen basiert, stützt sich die Szenario-Methode auf assoziative, deskriptive Elemente, die neben persönlichen Erfahrungen zusätzlich auch rechnerische Ergebnisse und Erkenntnisse berücksichtigt 58).
Eine besondere wichtige Komponente der Szenario-Methode ist die Expertenbefragung. In mehreren Workshops unterziehen sich die Befragten einer gegenseitigen Überprüfung, ehe das Ergebnis in das Szenario eingeht.
Eine kleine Kostprobe haben Henckel u. a. im Einleitungskapitel ihres Buches gegeben, als sie „Bissinger & Mager - eine Firmenchronik“ beschrieben: Den gegenwärtigen Zustand und danach in zwei Entwicklungsstufen - den in jeweils fünf weiteren Jahren. Zunächst ein Familienunternehmen im Herzen der Stadt, hat sich der Firmensitz nach fünf Jahren auf die grüne Wiese verlagert. Nach weiteren fünf Jahren sind die Gründer ausgeschieden und haben die Firmenleitung einem Manager übertragen, der die Firmenleitung nach auswärts verlagerte und eine ganze Anzahl von Zweigwerken in Europa gründete. Aus dieser Grundnahme lassen sich nun soziale, kulturelle, ökonomische - aber auch natürlich bildungspolitische Szenarien entfalten, die alle auf ihre Weise eine bestimmte Aussage über die künftige Entwicklung der Firma enthalten. Übrigens hat das zitierte Beispiel auch eine kulturpolitische Komponente: Das verwaiste Firmengelände im Innern der Stadt soll zu einem Kulturzentrum werden 59).
Ein literarisches Szenario hat Aldous Huxley (1894 - 1963) mit seinem Roman „Schöne neue Welt“ (1932) geschaffen. Knapp dreißig Jahre später mißt er die Aussagen des Romans an der Wirklichkeit in einem Essay. Im abschließenden Kapitel „Was läßt sich tun?“ behauptet er, die Freiheit sei bedroht und Erziehung zur Freiheit dringend vonnöten. Vieles spricht dafür, daß diese Feststellung an Aktualität gewonnen hat.
Um einer komplexen menschlichen Situation gewachsen zu sein, müssen wir alle Faktoren von Belang, nicht bloß einen einzigen, in Rechnung stellen 60).
Hier können verschiedene Instrumente eingesetzt werden und wird eben nicht eine Voraussage gewagt - oder gar gerechnet. Der Entwurf einer möglichen Entwicklung wird in sich schlüssig und nachvollziehbar für andere vorgestellt. Auf diese Weise lassen sich Abhängigkeiten und auch unterschiedliche Faktoren darstellen und variabel gestalten. Dies ist eine Methode, die jenen besonderen Blickweisen des Nadolny’schen Helden John Franklin gerecht wird und auch die Toleranz zuläßt, die sich auf verschiedene Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen stützt.
Mir scheint, daß hier noch ein erheblicher Mangel in der Gesellschaft besteht. Es ist nach wie vor äußerst schwierig, sich auf eine Vielfalt von Wirkungsfaktoren einzustellen und in die Zukunft hinein zu denken. Kultur und Bildung sind bevorzugte Handlungsfelder, auf denen Sensibilität für komplexe Sachverhalte und Zukunftswissen vermittelt, etabliert und zu eigenen Entfaltungsmöglichkeiten gebracht werden kann.
Informations-Pool
Die Notwendigkeit, sich komplexen Sachverhalten zu stellen, erfordert die Zusammenfassung von Informationen jeder Art und die Möglichkeit des Zugriffs durch unterschiedliche Nutzer. Ähnlich wie im Wirtschaftsleben im Pool Gewinne und Gewinnbeteiligungen zusammengelegt werden, so sind in Informationspools Daten und andere Informationen zusammengefaßt, die für alle am Pool Beteiligten nützlich und jederzeit für ihre Zwecke verwendbar sind. Aus der Sicht der Handlungsfelder Kultur und Bildung kommt es darauf an, daß diese Informationspools in einem bestimmten Umfange eben nicht nur einem ausgewählten Kreis, sondern allen zugänglich sind ohne Zugangsvoraussetzungen. Nur so lassen sich Transparenz und im weiteren Verlauf auch gesamtgesellschaftlicher Konsens erreichen.
Informationspools verhindern Datenfriedhöfe, weil sie verknüpfen, was gesammelt wird und durch diese Verknüpfungen neue Informationen erschließen.
Sie lassen darüber hinaus auf Dauer auch die Verringerung der Datenbestände zu, weil nicht mehr für jeden Verwendungszweck eigene Daten erhoben und aufbereitete werden müssen. Für den Bereich der Statistik gibt es derartige zentrale Datenbanken wohl in Form der Statistischen Ämter auf kommunaler, Landes- und auf Bundesebene. Auch auf europäischer Ebene in Luxemburg und weltweit auf UNO-Ebene werden derartige Pools gepflegt. Für die verschiedensten Arbeitsgebiete bestehen sie auch über rein statistische Pools hinaus. Aber was weithin noch fehlt, sind die umfassenden Informationspools für jedermann mit wirklich relevant aufbereiteten Daten und Informationen. Die Europäische Union (EU) bemüht sich zur Zeit, die Voraussetzungen auch dafür zu schaffen. Sie setzt auf den freien Markt, den Wettbewerb, der dieses Angebot schaffen soll. Ich bin noch skeptisch, ob das ausreicht 61). Andererseits aber ist es notwendig, daß die Menschen in die Lage versetzt werden, nach diesen Informationen auch zu fragen.
Eine wichtige Entwicklung wird zur Vernetzung auch dieser Pools führen. Dies ist notwendig, weil bislang der Komplexität heutiger Fragestellungen kein angemessenes Informationsangebot gegenübersteht 62). Andererseits müssen auch die Gefahren gesehen werden. Der Datenschutz des einzelnen vor dem allmächtigen Staat und der Wirtschaftsmacht des Marktes muß gesichert werden - und auch die heute nicht bekannten Gefahren der Zukunft müssen auf Sicherungen treffen.
Eine ganz wichtige Sicherung ist eine Vielzahl sozialkulturell geprägter Persönlichkeiten sowie ein weitflächiges und starkes Netz kultureller Initiativen.
Analytisches Vorgehen
Ein hoher Anteil der Informationsfülle, die uns überflutet, besteht in Faktenwissen, jenem Wissen, das Tatsachen enthält, weitergibt und speichert. Es wird immer schwieriger, aus der Überfülle dieser Informationen die entscheidenden und tragfähigen für unsere Entscheidungen herauszufinden. Ein Hilfsmittel dafür ist das analytische Vorgehen. Die Analyse übernimmt Informationen und Tatsachen nicht nur einfach, sie untersucht diese systematisch und methodisch. Dabei prüft sie nach vorgegebenen Grundsätzen einmal, was hinter den Informationen und Tatsachen steht - etwa die Ursachen, die Entstehungsgeschichte - und zum andern, was man über die Wirkungen sagen kann - die Folgen und Konsequenzen bestimmter Tatsachen.
Strukturanalyse
Die Strukturanalyse untersucht den inneren Aufbau, das Bezugs- und Regelungssystem einer komplexen Einheit, in dem alle Elemente innerhalb dieses Ganzen eine je eigene Aufgabe erfüllen 63). Diese Erklärung stelle ich deshalb bewußt an den Anfang dieses Abschnittes, weil hier die grundsätzliche Bedeutung der Methode beschrieben - und auch die Zielrichtung angegeben wird, mit der sie angewandt werden soll.
Die komplexe Einheit, um die es uns geht, ist die Gesellschaft. Die Bezugs- und Regelungssysteme sind die Beziehungen, die Gegenstand unserer Untersuchungen sind.
Nach meiner Überzeugung wird man künftig wesentlich mehr als bisher analytisch denken und planen. Allerdings scheint es mir weithin an geeigneten Analyseverfahren zu fehlen. Die zergliedernden Elemente, die das Ganze auflösen, haben in dem uns zur Verfügung stehenden Instrumentarium einen erheblich höheren Anteil als jene, die wieder zum Ganzen zurückführen.
Gerhard Schulze wendet sich in seiner umfangreichen Kultursoziologie der Gegenwart, die im Verlaufe eines Jahres bereits in dritter Auflage erschien, gegen die konsequente „Nichtbenutzung des Informationspotentials von Daten“ und fordert, die Datenanalyse zu ergänzen durch eine theoretische Analyse. Erst wenn aus dem Einzelfall das grundsätzliche Element herausscheint, lassen sich Schlußfolgerungen für den Zustand der Gesellschaft heute und für ihre künftige Entwicklung aus den Daten ableiten, die uns zur Verfügung stehen.
Empirische Daten und deren Analyse sind nur ein Baustein der theoretischen Analyse. Andere müssen hinzukommen. Als Beispiele seien genannt: Gedankenexperimente, Sozial- und Kulturgeschichte, langjährige Lebenserfahrung in dem kulturellen Kontext, dessen Analyse ansteht, und auch Intuition, verstanden als ganzheitlich typologisches Denken, dessen Wichtigkeit unbestritten bleibt 64).
Weil das so ist, reicht es nicht aus, die „So-und-soviel-denken-soundso-Methode“ anzuwenden 65). Die Forderung nach einer Strukturanalyse zielt auf einen Ansatz, der stets das Ganze im Blick behält, auch wenn das einzelne untersucht wird.
Ich habe den Eindruck, daß einerseits beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet zu verzeichnen sind. Auf dem Gebiet der Kultursoziologie etwa legen die beiden Greiffenhagen und Gerhard Schulze im gleichen Jahr zwei ganz unterschiedliche Werke in 2. bzw. 3. Auflage vor, die beide auf ihre Weise stets der ganzheitlichen Methode verpflichtet bleiben 66).
Andererseits aber scheint doch weithin die Bereitschaft, vielleicht gelegentlich auch die Fähigkeit, zu fehlen, diese Forschungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, sie sachgerecht aufzuarbeiten und daraus Konsequenzen für die konkrete Arbeit abzuleiten. Allerdings ist Schulze zur Zeit im Kommen. Ich frage mich, ob das Maß der Aufmerksamkeit, die man ihm zuwendet, auch dem der Intensität entspricht, mit dem man sich der inhaltlichen Aussagen seines Werkes und deren Fortführung und Anwendung widmet.
Nach meiner Auffassung fehlt ein hinreichend etablierter Transfer von der Wissenschaft zur Praxis. Auf technischem und naturwissenschaftlichen Gebiet sind auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte gemacht worden, für die Geisteswissenschaften dürften es eher Einzelerscheinungen sein, die wir wahrnehmen. Ein schwieriges Feld scheinen auch die Praktiker aus Politik und Verwaltung zu sein.
Dennoch gewinnen in jüngerer Zeit interdisziplinäre Veranstaltungen mit work-shop-Charakter zunehmend an Bedeutung und es bleibt zu hoffen, daß sie in absehbarer Zeit zu einem selbstverständlichen Arbeitsinstrument auf allen Gebieten mit komplexen Fragestellungen und zu einem wichtigen Transmissionselement zwischen Wissenschaft und Praxis werden.
Für mich ist es ein faszinierender Gedanke mit erhellender Wirkung, mir die Blicke des Nadolny’schen Helden vorzustellen. Wie mögen der darstellende und der bildende Künstler, wie mag der Politiker, die Verwaltungsfrau, eine Pädagogin oder wie mögen wohl auch einige Bürger ihre „langsamen“, „starren“ und „Panoramablicke“ einbringen und wie mag sich ihre Toleranz gegenüber den individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen auf das Ergebnis eines solchen Workshops auswirken?
Meinungsanalyse
Mit Recht hat es selbst unter Fachleuten lange Zeit kritische Zurückhaltung gegeben, Meinungsumfragen in die konkrete sachliche Planungsarbeit einzubeziehen. Noch heute wird oft die demokratische Komponente mit einer Meinungsumfrage verwechselt. Der demokratische Planungsprozeß zeichnet sich dadurch aus, daß in einem offenen geregelten Prozeß Meinungen argumentativ ausgetauscht und im Verhältnis zueinander gewertet werden. Die Meinungsumfrage stellt fest, was Menschen denken - oder zu denken vorgeben.
Dennoch prägt auch eine solche Meinung die gesellschaftliche Wirklichkeit. Deshalb müssen Wege gefunden werden, hier tragfähige Instrumente zu finden, um der reinen Faktenbasis auch eine sachgerecht aufgearbeitete Meinungsbasis gegenüberzustellen.
Die kommunale Umfrageforschung hat auf diesem Gebiet seit gut zehn Jahren Erfahrungen gesammelt und verfügt inzwischen über ein beachtliches Instrumentarium, das es zuläßt, von einer Meinungsanalyse zu sprechen. Der Einzelfall wird auf seine Relevanz geprüft, das Grundsätzliche herausgeschält und in angemessener Weise in Langzeitanalysen dokumentiert. Hier gewinnt die Zeit als ein Forschungs- und Planungsinstrument eine besondere Bedeutung. Erst im mehrjährigen Vergleich und in vertiefender Analyse erhält die Meinungsanalyse jene Aussagekraft, die sie als Korrelativ auch im Planungsprozeß gleichberechtigt neben anderen Instrumenten wirksam werden läßt 67).
Der Meinungsanalyse kommt besondere Bedeutung zu vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich unter demokratischen Bedingungen nichts gestalten läßt, was die Menschen nicht begreifen können 68). Und Gestaltungskraft wird im Blick auf die künftige Entwicklung von Politikern und Planern sowie von den Persönlichkeiten in herausragender Weise gefordert, die für Kultur und Bildung verantwortlich sind.
Die vorliegende Arbeit soll einen kleinen Beitrag leisten, noch annähernd rechtzeitig jene Instrumente bereitzustellen, die dazu notwendig sind.
Kooperative Koordinierung
Die Welt moderner Lebenserscheinungen führt dazu, daß auch gesellschaftliche Lebensvollzüge nicht mehr ohne Koordination auskommen. Das gilt erst recht natürlich für die Stadtentwicklungsplanung, die ihrem Wesen nach koordinierende Funktionen ausübt, d. h. darauf hinwirkt, daß unterschiedliche Planungs- und Entscheidungsprozesse in einen sinnvollen, zielgerichteten Zusammenhang gebracht und im Rahmen einer ökonomisch, sozial und ökologisch tragfähigen Form umgesetzt werden.
Eine solche Aufgabe ist bislang bürokratisch, im hierarchischen Sinne so gelöst worden, daß die jeweils höhere Instanz entscheidet, wenn zwei gleichgeordnete nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen können. Es bleibt selbst heute noch weithin unberücksichtigt, daß auch gleichgeordnete Institutionen durch einen entsprechend organisierten Kooperationsprozeß zur Koordinierung ihres Handelns veranlaßt werden können.
Der Stadtentwicklungsplanung käme bei einer solchen Konstruktion die Funktion eines Katalysators zu, der den Prozeß inhaltlich nicht verändert, durch dessen Anwesenheit aber die Qualität des Prozesses verbessert wird.
Kooperative Koordination ist ein Arbeitsansatz, der von der Bereitschaft aller ausgeht, zusammen arbeiten zu wollen und sich im Verlaufe dieser Zusammenarbeit auch darauf einzulassen, diese Arbeit zu koordinieren.
Kooperation verlangt einmal zunächst viel Zeit, weil man sich aufeinander einstellen, miteinander abstimmen und auf eine gemeinsame Linie der Zusammenarbeit einigen muß. Im Verlaufe des Prozesses wird sich dieser Zeitverlust günstig bemerkbar machen, weil die späteren Planungsphasen wesentlich zügiger ablaufen werden. Die Zusammenarbeit vermittelt Erfahrungen, die die einzelnen Kooperationsphasen wesentlich erleichtert und verkürzt.
Entsprechendes gilt für die Koordinierungselemente dieses Prozesses.
Weshalb aber sind diese Elemente so wichtig?
Am Ende eines kooperativen Prozesses steht ein Identifikationseffekt, der sich auf das Ergebnis insgesamt bezieht oder auf einen Teil davon. Vor dem Hintergrund einer solchen Zusammenarbeit ist dann eine Koordinierung eher und mit mehr Erfolg anzugehen als ohne diese kooperativen Elemente. Hinzu kommt, daß im Verlauf des Prozesses die Transparenz wesentlich erhöht wird.
Wir müssen künftig verstärkt Wege suchen, wie wir gemeinsam handeln können und Ziele und auch Wege miteinander abstimmen. Einerseits können wir auf diese Weise mehr Menschen veranlassen, unsere Ziele anzustreben, andererseits bündeln wir unsere Kräfte und können mit weniger Aufwand mehr erreichen (Synergieeffekte).
Was bedeutet dies alles nun im Blick auf die Handlungsfelder Kultur und Bildung?
Wie schwer fällt es uns, zu einer neuen Identität zu finden, Inhalt und Richtung unseres Lebens immer wieder neu auszurichten in einer sich ständig verändernden Welt! Hier vermag kooperative Koordinierung viel zu bewirken für die Institutionen, für die Beteiligten und für die Betroffenen - auch für die Effizienz von Planungsprozessen. Denken wir daran, daß nach Biedenkopf nur Zustimmung findet, was verstanden wurde. Und schließlich ist so auch der Einsatz der Ressourcen jeder Art wesentlich günstiger zu gestalten.
Überprüfung des Bestehenden
Nichts kann sich ändern, wenn Bestehendes nicht vergeht oder sich selbst ändert. In unserem Zusammenhang bedeutet das, bestehende Zustände, Wert- und Zielvorstellungen immer wieder einem Test zu unterziehen, ob sie für unsere Gegenwart und für den Weg in die Zukunft noch tragfähig sind.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts war vieles noch fester Bestandteil eines gesellschaftlichen Wertekanons, was heute sozial überhaupt nicht mehr zu vertreten ist. In der Mitte dieses Jahrhunderts war Standard, was heute, im Jahre 1995, aus ökologischen Gründen längst ausgemerzt worden ist. Kultur als eine Verfeinerung des Lebensgefühls eines gehobenen Bildungsbürgertums kann heute keinen gesamtgesellschaftspolitischen Anspruch erheben. Wenn sie sich nicht der Gesamtheit der Bevölkerung öffnet und den Zugang zur Überwindung von Bildungsschranken freigibt, verliert sie ihre demokratische und gesamtgesellschaftliche Legitimation 69). Die von mir angesprochenen Schwerpunkte künftiger Entwicklungsproblematik finden sich bereits in Erörterungen, die bis zu zehn Jahre zurückliegen 70). Bildung ist angelegt auf die Entfaltung autonomer Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung und längst nicht mehr auf die Vermittlung von Fakten und praktischen Fertigkeiten fixiert wie in der Vergangenheit 71).
Diese Prozesse dürfen nicht beendet werden. Es ist notwendig, einen ständigen Kontrollmechanismus zu installieren, der erforderliche Veränderungen ermöglicht. Allerdings gehört zwingend dazu, daß nicht jeder Mode gefolgt, sondern auch Veränderungstendenzen analysiert und kritisch geprüft werden.
Zur Überprüfung des Bestehenden gehört auch die Feststellung von Max Fuchs aus dem Jahre 1989, wonach es Kulturpädagogik offenbar schwer habe mit der Anerkennung als erziehungswissenschaftlicher Disziplin 72). Die Kulturpädagogik ist als feste Position der Erziehungswissenschaft zeitbedingt und historisch überholt, in ihren grundlegenden Fragestellungen nicht überholbar 73). Auch eine zweite Anmerkung begründet die Notwendigkeit einer Überprüfung. Drei Jahre später faßt Max Fuchs das Ergebnis einer Veranstaltung mit folgenden Worten zusammen: „Ist nun die kulturelle Identität ein Thema für die Jugendkulturarbeit? Da jetzt hier viele sitzen, die mit Jugendkulturarbeit beruflich zu tun haben und auch davon leben, kann uns ... ein Stein vom Herzen fallen. Es ist ein Thema, das Fragezeichen kann entfernt werden. Im Hinblick auf unsere berufliche Identität immerhin ein erstes Ergebnis“ 74). An beiden Äußerungen wird aber auch eine Gefahr deutlich, die einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema und der erforderlichen Transparenz schaden könnte. Es wäre bedenklich und könnte die Überzeugungskraft der eigenen Argumente beeinträchtigen, wenn der Eindruck entsteht, Sachargumente würden gesucht, um die persönliche Position abzusichern. Aus der sachlichen Argumentation erst sollte die persönliche Positionsbestimmung oder berufliche Legitimation abgeleitet werden - nicht umgekehrt. Sonst besteht - zumindest in der politischen Diskussion - die Gefahr, daß beides miteinander vermengt wird und damit beiden Argumentationsebenen Unrecht geschieht.
Zur sachlichen Argumentationslinie habe ich hoffentlich hinreichend Material vorgelegt. Für die Legitimation der pädagogischen Vermittlungskompetenz möchte ich ergänzend zur inhaltlichen, von der diese hier abzuleiten wäre, noch ergänzend anmerken, daß sich die praktische Vermittlungstätigkeit durch Erfolge am besten legitimiert. Hier scheinen mir in den letzten Jahren z. B. die Museumspädagogen einen besonders wichtigen Schritt getan zu haben. Mir ist bewußt, daß sie dazu entsprechenden Spielraum brauchten - personell wie materiell. Wer engagierte und fähige Museumspädagogen bei ihrer Arbeit mit Kindern, Mutter-Kind-Gruppen, Behinderten - etwa Blinden -,mit Senioren oder auch in heißen Diskussionen mit aufgebrachten Bürgern erlebt hat, der wird zugestehen, daß hier viel getan wird, um die Entwicklung zur sozialkulturellen Persönlichkeit zu fördern und Identität zu entfalten.
Bündelung und Aggregation
Die Gefahr der Vereinzelung von Initiativen und der isolierten Betrachtung von Problemen wächst mit der Zunahme der Pluralität der Gesellschaft. Bald verliert jeder den Überblick und es besteht keinerlei Chance, in der Einheit noch die Vielfalt oder in der Vielfalt noch die Einheit zu erkennen 75). Das aber ist notwendig, wenn demokratische Prozesse auch in Zukunft in Gang kommen und Identifikationsprozesse gelingen sollen.
Die Bündelung bewahrt die einzelnen bestehenden Kräfte und verstärkt sie durch den Einsatz für gemeinsame Ziele. Dagegen führt Aggregation zu neuen Kräften, in denen die alten aufgegangen sind um der Erreichung eines neuen Ziele willen, das mit der Bündelung der einzelnen Kräfte nicht zu erzielen war. Insbesondere die Aggregation kann auch zu erhöhter Übersichtlichkeit führen, weil viele einzelne durch wenige ersetzt werden.
Im Grunde sind diese Instrumente nicht neu. Kooperative Koordination sowie Bündelung und Aggregation haben in besonders ausgeprägter Weise zum Entstehen von Netzwerken der verschiedenen Art geführt, insbesondere auf sozialem, kulturellen und bildungspolitischen Handlungsfeldern 76).
5. Neue Maßstäbe
Die neuen Maßstäbe ziehen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen. Sie lehnen die bisherigen nicht ab, aber sie relativieren sie. Deshalb erteilen die neuen Maßstäbe jeder Art von Diktat eine radikale Absage - dem Diktat der Geschwindigkeit, dem Diktat des Verbrauchens, des Wachstums und dem Diktat der ständigen Veränderung/Abwechslung.
An deren Stelle setzen sie
· eine neue Dimension der Zeit, die mit Nadolnys Helden John Franklin den langsamen, den starren und den Panoramablick übt mit einer Toleranz, die aufbaut auf der Verschiedenheit der individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen,
· eine neue Qualität des Gebrauchs, die auf Bewahrung und Erneuerung aller unserer Kräfte zielt, auch der in der Natur,
· eine neue Qualität der Verträglichkeit, die jene des ständigen Wachstums ergänzt, weil nur jenes Wachstum erwünscht ist und angestrebt wird, das verträglich ist - ökologisch, sozial, wirtschaftlich, kulturell-,
· ein neues Verständnis von Beständigkeit im ständigen Wandel, das gegenüber der Beliebigkeit im Wandel Profil entfaltet.
Dies alles, verbunden mit jenen Aspekten kommunikativer Vernunft, die Peter Ulrich für erforderlich hält, bilden die neuen Werte, die in Verbindung mit den Instrumenten die neuen Maßstäbe ergeben.
Eine weitere Erkenntnis ist noch nicht deutlich ausgesprochen worden. Die neuen Werte setzen nicht mehr auf in sich schlüssige Systeme oder Veränderungen in einem Schritt. Sie öffnen sich und sind aufnahmefähig für offene Entwicklungen sowohl bei den Werten wie auch bei den Instrumenten. Nur so kann eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit, der Langsamkeit und jener Toleranz entstehen und lebendig bleiben, die auf einer Toleranz gründet, die individuellen Geschwindigkeiten Raum gibt.
Schließlich ist es notwendig zu erkennen, daß Werte und Instrumente untereinander in Wechselbeziehungen stehen, innerhalb der beiden Kategorien.
6. Handlungsvorschläge
Die folgenden Vorschläge gehen davon aus, daß über die bisher vorgetragenen Tatbestände, Wertungen und Hinweise keine allgemeine Übereinstimmung besteht - zwar auf fast allen Gebieten einschlägige Überlegungen angestellt und einzelne Schritte vollzogen wurden, aber ein inhaltliches Gesamtkonzept noch nicht in Aussicht steht - und daß nicht alle Themen gleichzeitig behandelt werden können.
Sie haben deshalb zum Ziel darzustellen, wie man realistischerweise vorgehen könnte, um erste Schritte in die bisher aufgezeigte Richtung zu gehen.
Man sollte sich auf drei Ebenen Aufgaben nähern, neue Maßstäbe zur Bewertung komplexer Sachverhalte in der Stadtentwicklungsplanung zu erproben und in der Praxis einzusetzen.
Einmal geht es darum, daß man sich auf die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Verfahren einläßt. Wissenschaftliche Forschung und praktische Erprobung müssen parallel erfolgen, wenn eine Chance der Realisierung bestehen soll. Eine wechselseitige Rückkopplung ist darüber hinaus erforderlich. Diese Verfahrensparallelität betrifft auch die unterschiedlichen Ebenen und die einzelnen Sparten von Kultur und Bildung.
Zum anderen geht es darum, zu einem einheitlichen Bewertungskonsens zu kommen. Vermutlich wird man ein solches Ziel nicht vollständig erreichen können. Es ist deshalb um so dringlicher, die Arbeit an einem solchen Konsens frühzeitig zu etablieren und so zu operationalisieren, daß einmal die Chance nicht ausgeschlossen wird, zu einer weitgehenden Übereinstimmung zu kommen, andererseits aber auch die Rückkopplung mit der Praxis kontinuierlich erfolgt. Es müßte ein gewisser Regelungskreislauf eingeführt werden, der es zuläßt, daß Teilergebnisse im Wertekonsens bereits in die praktische Arbeit einfließen können - und so eine gegenseitige Förderung möglich wird.
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor,
· Interdisziplinäre Fachtagungen, Symposien und Werkstattgespräche zu veranstalten, die sich gezielt mit der Frage neuer Wertvorstellungen vor dem Hintergrund der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beschäftigen. Inhaltlich würde ich die neue Kategorie der Zeit als Gegenstand vorschlagen und anregen, das Instrument des Szenarios auf diese Fragestellung in verschiedenen Sparten anzuwenden.
· Forschungsaufträge zu erteilen, die gezielt die Auswirkungen einer veränderten Bewertung der Zeit für die Gesellschaft untersucht und Wege aufzeigt, wie eine solche Veränderung in der Bewertung erreicht werden kann.
· Netzwerke zu etablieren mit dem Ziel, Synergieeffekte zu erzielen und Identitätsarbeit zu unterstützen.
Dies alles kann nur ein Einstieg sein. Eine konsequente Weiterführung der einmal begonnenen Arbeit wäre notwendig, wenn sie Erfolg haben soll.
Für die Handlungsfelder Kultur und Bildung schlage ich konkret folgende Pilotprojekte vor:
· Arbeitstagung
„Zeit und Raum - neue Wertkategorien für die Kulturpolitik. Absage an das Diktat der Geschwindigkeit. Örtliche Kultur im europäischen Blickfeld“
In Einführungsreferaten - vielleicht auch in vorbereitenden Tagungspapieren - sollten die in dieser Arbeit angesprochenen einschlägigen Wertkategorien mit ihren Veränderungen vorgestellt und in ihren Konsequenzen aus der Sicht der Referenten dargestellt werden.
Die Arbeitstagung sollte sowohl von der Forschung als auch von der Praxis her interdisziplinär besetzt sein, diese Darstellungen kritisch prüfen und Vorschläge für die Umsetzung der notwendigen Veränderungen erarbeiten.
Veranstalter könnte sein: Deutsches Institut für Urbanistik - Difu -, Kulturpolitische
Gesellschaft, vielleicht in Verbindung mit einer Hochschule.
· Werkstattgespräch
„Die Stadt - Kulturraum 2010“ - Abkehr vom Diktat der Geschwindigkeit, Stadtraum als Teilraum, Gebrauch statt Verbrauch -
Hier könnte im Sinne eines Szenarios von Praktikern der Frage nachgegangen werden, wie sich eine konkrete Stadt unter den Vorgaben des neuen Verständnisses von Zeit, Raum und Gleichgewicht bis zum Jahre 2010 verändert haben wird. Wissenschaftliche Begleitung ist dabei unverzichtbar.
Veranstalter: siehe oben, zusätzlich: Bundesministerium des Innern, Bundesministeri-
um für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
· Symposion
„Zeit und Raum in der Bildungspolitik von Bund und Ländern - Abkehr vom Qualifizierungsdiktat der Wirtschaft“
Das Symposion sollte bei interdisziplinärer Besetzung der Frage nachgehen, wie bei dem in der vorliegenden Arbeit dargelegten neuen Verständnis von Zeit, Raum und Bildung unter Berücksichtigung eines veränderten Verständnisses von ökonomischem Wachstum, der Fehlerfreundlichkeit und der Toleranz die Ziele der Bildungspolitik zu formulieren und Wege zu ihrer Umsetzung etabliert werden können. Hier sollte auch an eine europäische Harmonisierung gedacht werden.
Veranstalter: Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Landesministerien,
Zentrale für politische Bildung, Hochschulen
· Informationsnetze
Dieses Pilotprojekt wird nur thematisch vorgestellt. Sein Ziel wäre es, unter den in dieser Arbeit vorgetragenen veränderten Wertvorstellungen der Frage nachzugehen, nach welchen Kriterien Informationsnetze entstehen und unterhalten werden könne, die die Voraussetzungen für künftig tragfähige Bewertungssysteme der Handlungsfelder Kultur und Bildung zu schaffen.
Vorarbeiten unter gänzlich anderen Voraussetzungen liegen vor, etwa für die Struktur kommunaler Kulturverwaltungen oder von Museen 77).
Mein Versuch, die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet des strategischen Managements im Blick auf die kommunalen Erfahrungen in diese Arbeit einzubringen, blieb ohne Ergebnis. Anscheinend ist die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten, daß man bereits konkrete Ergebnisse vorlegen und im Blick auf ihre Verwendbarkeit im hier angesprochenen Sinne überprüfen könnte. Hinzu kommt, daß die Zielrichtung derartiger Projekte eher fiskalisch-wirtschaftlich ist 78).
7. Ausblick
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert könnte eine ziemlich neue Ordnungsvorstellung darin bestehen, das Chaos zu begrenzen - nichts weiter. Es wird auf jeden Fall besser sein, sich auf ein Minimum zu verständigen als überhaupt nicht 79). Klar ist in diesen Tagen, daß wir keiner „neuen Weltordnung“ gegenüberstehen, sondern auf einen problembeladenen Planeten und zerrissenen Planeten blicken. Die Kraft und die Komplexität der Kräfte des Wandels sind enorm und einschüchternd; dennoch mag es noch immer intelligenten Frauen und Männern möglich sein, ihre Gesellschaften in die komplizierte Aufgabe der Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert zu führen 80). Wenn der historische Prozeß wirklich auf den beiden Pfeilern der vernunftgeleiteten Anerkennung ruht, wenn die moderne liberale Demokratie diese beiden Bedürfnisse am besten befriedigt und einer Art Gleichgewicht hält, dann liegt die schlimmste Bedrohung der Demokratie offensichtlich darin, daß wir nicht wirklich wissen, was auf dem Spiel steht. Während die modernen Gesellschaften immer demokratischer geworden sind, ist das moderne Denken in eine Sackgasse geraten. Man kann sich nicht mehr einigen, was den Menschen ausmacht und worin seine spezifische Würde besteht und ist deshalb nicht mehr in der Lage, die Menschenrechte zu definie- ren 81).
Das Chaos als Minimalkonsens, ein mühsamer, kaum geordneter Prozeß der Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert und eine Gesellschaft, deren Denken in eine Sackgasse geraten ist - das wäre das Fazit dreier Autoren aus einer Bilanz des 20. Jahrhunderts. Welche Schlußfolgerung können wir daraus für einen Ausblick ziehen?
Ordnungsvorstellungen verlieren ihre beherrschende Kraft. Wir müssen mit mehr Chaos leben lernen. Die Wissenschaft arbeitet bereits an einer Chaos-Theorie 82). Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Stadtentwicklungsplanung und für ihre zentralen Handlungsfelder Kultur und Bildung?
Die Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert als ein mühsamer, von einigen Männern und Frauen verantworteter Prozeß? Das scheint mir wenig realistisch zu sein. Der Prozeß muß auf einer wesentlich breiteren Basis von Wissenschaft, Bildung und Kultur verantwortlich vorbereitet werden. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Es wäre aber gut, möglichst bald anzufangen. Es gibt manche Beispiele für einen solchen Beginn. Ich nenne Ulrich von Weizsäcker, den Politiker Al Gore und den Unternehmer Stephan Schmidheiny 83). Kultur und Bildung sind auf jeder Ebene gefordert, sich in diesen Diskurs hineinzubegeben - ganz besonders deshalb, weil die ökologische und die ökonomische Thematik nur abgeleitete Fragen sind und der Umgang des Menschen mit sich und seinesgleichen erst die zentrale Aufgabe darstellt.
Ist das moderne Denken tatsächlich in eine Sackgasse geraten? Sind wir nicht mehr in der Lage, für alle konsensfähig festzustellen, was den Menschen ausmacht und was die Menschenrechte sind? Ich bin mir da nicht so sicher. Wenn diese Aussage zuträfe, sollte hier ein konkreter Anlaß sein, über die Handlungsfelder Kultur und Bildung Wege zur Öffnung dieser Sackgasse zu suchen. Für mich ist die Aktivierung des von mir erweiterten Greiffenhagenschen gesellschaftlichen Koordinatensystems ein wichtiger Schritt auf diesem Wege 84). Und darüber hinaus dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt die liberale Demokratie noch die politisch, sozial und ökologisch tragfähigste Gesellschaftsform sein - auch gegenüber den Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts. Insofern stimme ich Fukuyama zu.
Der globalen Betrachtung, der wir uns am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr entziehen können, sollen schließlich noch Stadtperspektiven gegenübergestellt werden, die die Entwicklung der Städte in Deutschland näher betrachten.
Das deutsche Städtesystem zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Stabilität aus. Probleme und Aufgaben als Folge der deutschen Vereinigung gehen weit über das erwartete Maß hinaus. Das vereinte Deutschland wird ökonomisch, politisch, kulturell ein anderes Deutschland sein als eine um fünf neue Länder erweiterte Bundesrepublik. Mit der Vereinigung ist die politische Bedeutung Deutschlands international gewachsen, die geographischen Kraftlinien in Europa haben sich verschoben, und auch innerhalb Deutschlands bedeutet die Vereinigung eine Umverteilung von Entwicklungsimpulsen, von Funktionsgewinnen und Zentralitäten. Das Land dürfte auf längere Zeit noch durch erhebliche Polarisierungen und Spaltungen gekennzeichnet sein. „Erschütterungen“ in vielen Bereichen erfordern die Herausbildung einer veränderten Struktur, eines veränderten Landes. Von diesem Prozeß werden die Städte in besonderem Maße betroffen sein 85).
Die großen Themen der Zukunft deutscher Städte sind „Stadt und Region“, „soziale und gesellschaftliche Konflikte“, „Umwelt“, „Infrastruktur“, „Überwindung der Ressortpolitik“ 86). Damit sind aktuelle kommunalpolitische Aufgabenfelder beschrieben, die für die Zukunft Schwerpunkte der Entwicklung behandeln.
Stadt und Region - an dieser Stelle wird die Frage nach der neuen Dimension des Raumes gestellt, die sich nicht nur auf die sogenannte Transformation der Stadt unter kulturellen, sozialen und ökologischen Zielsetzungen bezieht 87), sondern darüber hinaus die Stadt in ihrer Region als integralen Bestandteil Europas versteht 88).
Soziale und gesellschaftliche Konflikte - für mich ist bezeichnend, daß hier aus kommunaler Sicht der Sachverhalt, das auslösende Element für kommunales Handeln und kein kommunales Ziel genannt wird. Es werden aber Analysen vorgetragen. Eine Stadt kann sich globalen Prozessen nicht entziehen, diese erscheinen unumkehrbar. Die Aufmerksamkeit für die vom Wachstum abgekoppelten Räume, Wirtschaftsbereiche und sozialen Gruppen darf nicht verloren gehen. Die Ausgleichspolitik muß intensiver gewollt und kraftvoll durchgesetzt werden. Die bestehenden Umverteilungssysteme auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene reichen dazu nicht mehr aus: Das ist der eigentliche Grund für die soziale Problematik, die in einer wachsenden Polarisierung besteht. Dieser Entwicklung ist nur durch Integration und Solidarität zu begegnen; Strategien im Sinne einer „solidarischen Stadt“ sollten dort zuerst umgesetzt werden, wo die Verlierer der Polarisierung in Wohn- und Lebenssituationen konzentriert werden, die sie zusätzlich benachteiligen. Bislang kollidieren diese Ziele mit den Standortkonzepten 89).
Gefordert wird eine „Stadtentwicklungspolitik gegen Armut und Ausgrenzung 90). Hier wird beschrieben, was ich in dieser Arbeit die soziale Balance nenne. Auch sie ist ein Thema von Kultur und Weiterbildung, denn Ausgrenzung hat mit Selbstverständnis und sozialer Verantwortung eines jeden einzelnen zu tun. Hinzu kommt, daß in einer modernen demokratischen Gesellschaft, vor allem, wenn sie unter marktwirtschaftlichen Regeln agiert, der Erwerb und die Ausübung von Bildungskompetenz sowie sozialer und kultureller Kompetenz ein bestimmtes Maß auch materieller Integration in die Gesamtgesellschaft voraussetzen. Das bedeutet in unserem Zusammenhang die Beseitigung von Lebenslagenarmut 91).
Jetzt scheint sich ein Wechsel des Leitbildes „Stadt“ abzuzeichnen. Die Vorstellung, die Städte müßten sich an die durch die Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs entstandenen Zustände anpassen und dies sei ihre wichtigste Aufgabe im Blick auf künftige Entwicklungen 92), ist allgemein als das Leitbild von der „autogerechten Stadt“ bekanntgeworden. Inzwischen wurde es de facto abgelöst von dem der „marktgerechten Stadt“ 93). Ob das Leitbild einer „solidarischen Stadt“ Aussicht hat, wahrgenommen oder sogar anerkannt zu werden? Hier würde wohl eine Sensibilität eingefordert, die bislang kaum Niederschlag in offiziellen Stadtkonzepten und Planungsvorstellungen fand. Über die Solidarität mit den Folgegenerationen könnten auch die Elemente Ökologie, Ökonomie und der Bereich der Kultur betroffen sein.
Umwelt - Ökologische Fragestellungen werden benannt, zugleich aber auch Grenzen finanzieller Ressourcen aufgezeigt. Im Ergebnis jedoch wird als notwendige Aufgabe der Städte erkannt:
· aktive Politik der Stadtökologie,
· Abstimmung von Ökologie, Ökonomie und Politik,
· Verankerung von Stadtökologie als ökologisches Denken und als konkretes Verwaltungshandeln,
· Wende von nachsorgender zu präventiver Umweltschutzpolitik 94).
Infrastruktur - Das Thema wird fast ausschließlich unter dem Finanzierungsaspekt oder unter dem der Standortdiskussion erörtert. Diese Betrachtungsweise greift auch auf dem Difu-Symposium 1993 zu kurz 95). Für mich muß die Infrastrukturdiskussion beginnen mit einer Überprüfung der bisherigen Ziele. Nach den Grundsätzen von Bündelung und Aggregation müssen sich künftig verstärkt Synergieeffekte erzielen lassen. Von diesen gebündelten Zielen her, sollte dann auch ein neuer Finanzierungsmodus - vor allem auch ein für alle einsichtiger Vorrang entstehen. In diesem Zusammenhang werden auch Kultur und Bildung ihrer neuen Bewertung entsprechend in die Betrachtung einzubeziehen sein.
Überwindung der Ressortpolitik - ein Sonderthema in der abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse auf dem Difu-Symposium 1993. Es geht einmal um das Spezialistentum, andererseits aber auch um die Abschottung ganzer Sparten gegenüber spartenfremden Entwicklungen. Pluralismus darf nicht zum Separatismus werden - das gilt für die Spezialisten, wo immer sie tätig sind, das gilt für die verschiedenen Bereiche in der Verwaltung und auch für die Politik. Es kommt darauf an, daß auch künftig noch das Gemeinsame erkennbar bleibt und zur Identität sowohl des einzelnen wie der Gesellschaft entscheidend beiträgt. Auf kommunaler Ebene ist das Instrument der Stadtentwicklungsplanung ein politisches Führungsinstrument, das dies ermöglichen kann.
Neue Maßstäbe für das Kommende
Das neue Jahrhundert ist in Maßstäben unterschiedlicher Art angeklungen. Können neue Maßstäbe und neue Instrumente sich diesen Anforderungen mit Erfolg stellen?
Stichwort: CHAOS
Die neuen Maßstäbe können bestehende Strukturen von ihren Verkrustungen befreien. Was hat „Nachhaltigkeit“ allein schon im Bewußtsein der Bevölkerung verändert! Das getrennte Sammeln von Müll ist nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber es blieb sektoral und fand nicht die logischen Konsequenzen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik. Die neue Kategorie Zeit ist in ihren Auswirkungen noch kaum zu erkennen. Wenn es aber gelingt, das Diktat der Geschwindigkeit aufzuheben und vielleicht durch die „Entdeckung der Langsamkeit“, einer „neuen“ Langsamkeit im Sinne der Nadolnyschen Blicke zu ersetzen, dann wird diese neue Gesellschaft wieder fehlerfreundlicher werden können, dem Menschen näher und auch dem Chaos gegenüber weniger abweisend als bisher. Jüngere Erkenntnisse der Wissenschaft belegen, daß das Chaos zum Leben gehört wie die Ordnung. Die neuen Maßstäbe werden Spielräume auch für chaotische Entwicklungen zulassen 96), zugleich ziehen aber auch die neuen Maßstäbe Grenzen, wenn etwa von der ökonomischen Tragfähigkeit oder der Nachhaltigkeit die Rede ist.
Mit ihrer Fehlerfreundlichkeit und mit ihren neuen Wertkategorien erhöhen sie die Kompetenz des Menschen, seine Möglichkeiten auszuschöpfen und Grenzen anzunehmen - und damit auch die Fähigkeiten zu entwickeln, mit chaotischen Entwicklungen umzugehen, ohne in Panik zu geraten. Das ist eine kulturelle Fähigkeit hohen Grades.
Stichwort: MODERNES DENKEN IN DER SACKGASSE
Die Öffnung der neuen Kategorie Zeit gegenüber wird - ähnlich wie eben dargelegt - auch hier eine grundlegende Veränderung herbeiführen. Eine Ursache für die „Sackgassen-situation“ unserer Gesellschaft ist die Tatsache, daß sie weithin Aufgaben des 20. Jahrhunderts mit Instrumenten lösen will, die noch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammen. Im Vorfeld des 21. Jahrhunderts aber stellen sich die meisten dieser Instrumente als dringend überholungsbedürftig dar. Es geht nicht mehr um den technischen Fortschritt und die Ausnutzung seiner Möglichkeiten, sondern um die Wiedergewinnung der menschlichen Dimension in der Lebenswelt der vielen und um ein globales Gleichgewicht von Lasten und Chancen - auch für die Natur. Hier finden Nachhaltigkeit, soziale Balance, Identität und dann auch Transparenz und Konsens ihren Platz. Die neuen Maßstäbe können bei sachgerechter und konsequenter Anwendung dazu führen, daß die Greiffenhagenschen Koordinaten gesellschaftlicher Existenz aktiviert und die aktive Beteiligung mündiger Bürger an Willens- und Entscheidungsprozessen Wege in eine Zukunft eröffnet, die zur Zeit noch als Sackgassen erscheinen.
Stichwort: STABILITÄT DES DEUTSCHEN STÄDTESYSTEMS
Die von Kernig und Sieverts beschriebenen Auflösungstendenzen beziehen sich auf eine globale Entwicklung von Mehr-Millionen-Städten. Gegenüber der weltweiten Entwicklung hat das deutsche Städtesystem eine besonders stabile und einzigartige Struktur, die grundsätzlich ein dynamisches Gleichgewicht zuläßt. Hier können die neuen Maßstäbe für das kommende Jahrhundert Grundlagen schaffen, dieses Gleichgewicht auch für die Zukunft zu erhalten.
Ob das deutsche Städtenetz aber das Ende der Urbanität überdauert? Urbanität meint ja nicht die Erscheinung des unsteuerbaren Molochs Megalopolis, sondern eher jenen Ausdruck des Lebensgefühls der Menschen, die in einer Stadt leben und deshalb Zugang zu den geistigen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen Entwicklungen in der Welt haben. Wenn in dem sozialen Erscheinungsfeld Stadt die Beziehung der Menschen eine je spezifische Ausprägung erhält, die jeder Stadt ein unverwechselbares Fluidum verleiht, dann könnte man das Urbanität nennen. Überall dort, wo Städte untergehen in einer anonymen Beliebigkeit, wo sie ihr Gesicht verlieren oder überhaupt keines gewinnen können, da ist Urbanität in Gefahr. Verstehen wir Urbanität in diesem Sinne, dürfte wohl verständlich sein, daß die neuen Maßstäbe hier entscheidend mitwirken dürften, Urbanität zu erhalten und neue zu entfalten.
Stichwort: STADT UND REGION
Alle Welt weiß es, die Region ist im Kommen. Dennoch sind die Regionen unbeliebt. Der Bund mag nichts an Einfluß abgeben an die Länder und verliert ständig Kompetenz an die Europäische Union. Die Länder sehen auch ihren Einfluß schwinden und versuchen mühsam als Regionen im europäischen Kontext Terrain zu gewinnen. Die Kommunen sind in der deutschen Ausprägung ein Unikat in Europa - und kaum annähernd in vergleichbaren Strukturen anderswo zu reproduzieren. Und dennoch dürfte einiges dafür sprechen, daß sie es sein könnten, die durch freiwillige Zusammenschlüsse jene Identifikationsräume schaffen, die stabilisierende und tragende Funktionen für ein neues Europa ausüben. Sie müßten sich dann allerdings bereit finden, sich als Teil eines neuen Zusammenhangs zu verstehen, der Region. Es muß zu einer Symbiose von Stadt und Land kommen, sonst kann dieser Weg zu einer Sackgasse werden. Die neuen Maßstäbe sind deutliche Merkzeichen für eine Veränderung auch dieser Sichtweise, die dann vielleicht doch zu einem neuen Verständnis kommunaler Kooperation führen könnte.
Stichwort: SOZIALE UND GESELLSCHAFTLICHE KONFLIKTE
Diese Problembeschreibung ist wenig hilfreich. Da ziehe ich den Begriff der sozialen Balance vor, weil er ein Ziel beschreibt, das anzustreben ist. Er läßt auch Konflikte zu, erfordert aber jene Kompetenz, die den Umgang mit Konflikten als notwendig erkennt. Die neuen Maßstäbe sind dann hilfreich, um diese Konflikte auszuhalten und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Wie immer man die Konflikte in der Gesellschaft zu erklären versucht, in jedem Fall hängen sie mit der Komplexität unserer Lebenswelt, dem Glucksmannschen Tunneleffekt in der Biographie vieler einzelner Menschen, mit dem Identiätsverlust der vielen in der Gesellschaft verbunden mit einer weit verbreiteten Sprachlosigkeit zusammen und nicht zuletzt auch mit dem Irrtum, daß der Markt mit seinen Gesetzen alle Probleme lösen könnte.
Versucht man auf diese Weise die gegenwärtige Situation zu erklären, dann gewinnen die neuen Maßstäbe auch eigene Plausibilität.
Stichwort: UMWELT
Die Forderungen aus dem Difu Symposium 1993 klingen fast wie abgestimmt auf das von mir vorgestellte Konzept neuer Werte in Verbindung mit ihren Instrumenten. Nachhaltigkeit, ökonomische Tragfähigkeit und Transparenz, Konsens und Partizipation sind genau jene Elemente, die einer konsequenten Stadtökologiepolitik einen festen Platz im breiten Spektrum kommunaler Aufgaben einräumen und sichern könnten - und das weit über das Jahr 2000 hinaus 97).
Stichwort: INFRASTRUKTUR
Es fehlen vernetzte Systeme. Könnten sich Nachhaltigkeit und sparsamer Umgang mit dem Geld die Hand reichen - regenerierbare Fernwärme wäre die zentrale Energiequelle, Autos würden um die Hälfte weniger Betriebsstoffe brauchen und ihre Lebensdauer hätte sich verdoppelt. Gebäude würden von Beginn an für wechselnde Nutzungsmöglichkeiten hergerichtet - als Schulen, Kindertagesstätten, Altenclubs und Bürgerhäuser. Bauten für kulturelle Zwecke verlören ihren kulthaften Charakter und könnten zu Kommunikationsräumen für alle Bevölkerungsgruppen werden.
Es sähe vieles anders aus, hätte man die Chance, in Ansätzen zu verwirklichen, was die neuen Maßstäbe und die neuen Instrumente ermöglichen. Sie sind nicht zur Ergebnislosigkeit verurteilt. Schritt für Schritt gewinnen sie Raum - ob noch rechtzeitig und für wen dann, das bleibt offen. Jedenfalls muß für die Infrastruktur in der Stadt wie in Land und Bund der Weg gefunden werden, der zu mehr Flexibilität in den Grundrissen, in den Nutzungsmöglichkeiten und in der Finanzierung der Gebäude führt. Andernfalls ist der Verbrauch an Grund und Boden und ist auch der Spekulation nicht mehr wirksam zu begegnen.
Stichwort: ÜBERWINDUNG DER RESSORTPOLITIK
Hier kommen die neuen Maßstäbe voll zur Geltung, weil sie - fast - alles verändern und in erster Linie auf eine ganzheitliche Sicht zielen. Isolierungstendenzen wird nachhaltig begegnet, weil sich kein Ressort allein und für sich durchsetzen kann. Transparenz und Konsens als starke Elemente des Instrumentariums insgesamt lassen Alleingänge nicht mehr zu. Sie lassen sich nicht in begrenzte Kompetenzen einbinden und sind angelegt auf Vernetzung und auf Grenzen, die verbinden statt trennen.
Neue Maßstäbe für ein neues Jahrhundert?
Das sind sie vielleicht nicht, denn ein Jahrhundert ist lang - und die Zeiten ändern sich wie wir mit ihnen. Es wäre aber schon viel erreicht, könnten die Menschen die Langsamkeit neu entdecken, etwas mehr an andere denken und schließlich weniger in der Vielzahl von Erlebnissen als vielmehr in jener bewußt erfahrenen Identität, den Sinn ihres Lebens sehen, den sich solidarisch weiß mit den anderen.
Insofern könnten die von mir vorgestellten Maßstäbe und Instrumente tatsächlich realistisch gangbare Wege in ein neues Jahrhundert aufzeigen - nicht durch dieses hindurch, aber doch wenigstens eine Strecke weit hinein.
Kultur und Bildung - die liberale Demokratie
Wenn Fukuyama das Ende der Geschichte mit der liberalen Demokratie erreicht sieht, dann ist für ihn diese Gesellschafts- und Staatsform die höchste der erreichbaren. Auch ich kann mir unter den bekannten kaum eine bessere vorstellen. Dennoch möchte ich der Entwicklung eine Chance geben, mir und der Menschheit bisher noch unbekannte und noch bessere zur Entfaltung zu bringen, denn auch die liberale Demokratie hat ihre z. T. erheblichen Mängel. Einer ihrer größten Fehler - zugleich wohl auch eine ihrer Stärken - ist ihre Anfälligkeit für Mißbrauch.
Doch soll dieser Schlußabschnitt nicht die liberale Demokratie als anzustrebendes gesellschaftliches Ziel diskutieren. Weil sie als das höchste zur Zeit erreichbare Ziel gesellschaftlicher und staatlicher Entwicklung angesehen wird, sollen Kultur und Bildung zu ihr in Beziehung gesetzt werden, um ihre Bedeutung für die Gesellschaft zu beschreiben - einer Gesellschaft der Zukunft, des 21. Jahrhunderts.
Ich darf mich auf die Vorstellung der beiden Handlungsfelder beziehen, der Kultur, die entsteht auf dem Boden einer eigenständigen Identität einzelner und von Gesellschaften, die getragen ist von einem Koordinatensystem der geschichtlichen, kulturellen, sozioökonomischen, ökologischen und seelischen Existenz und der Bildung, als einem offenen Angebot zum Dialog über den Menschen und die Gesellschaft, das die geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte der Menschen anregt, sich zu entfalten.
Die liberale Demokratie lebt von diesen Elementen. Sie ist ohne sie nicht denkbar - und in der Vergangenheit immer in Gefahr geraten, wenn sie hier Defizite und Schwächen aufwies.
Deshalb sind sie auch in jenen Passagen dieser Arbeit, in denen sie anscheinend nicht behandelt wurden, immer mit gemeint gewesen. Ob sie in ihrer Bedeutung rechtzeitig und umfassend genug erkannt werden, dürfte vermutlich entscheidend sein dafür, daß die Menschen künftig überleben - auch im 21. Jahrhundert.
Anmerkungen
Der Verfasser ist seit dem Jahre 1972 im Bereich Stadtentwicklungsplanung bei der Stadtverwaltung Leverkusen tätig. Die Arbeit wurde im Februar 1995 abgeschlossen.
1) vgl. Lothar Königs „Erfolgskontrolle und Evaluierung kommunaler Entwicklungsplanung“, Dortmund 1989, „Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 54“; Hellmut Wollmann und Gerd-Michael Hellstern (Hrsg) „Evaluierung und Erfolgskontrolle in Kommunalpolitik und -verwaltung“, Basel 1984, „Stadtforschung aktuell Band 6“
2) vgl. Joachim Jens Hesse „organisation kommunaler Entwicklungsplanung“, Stuttgart 1976, „Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik“ Band 57, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung - KGSt - (Hrsg) „Kommunale Entwicklungsplanung in der Bundesrepublik Deutschland“ (Ergebnisse einer Erhebung), Köln 1980
3) vgl. Helmut Böhme „Zur Eingliederung von Kulturentwicklungsplanung in die Stadtentwicklungsplanung“ in „Der Städtetag“ 11/1979, S. 663ff; Wolfgang Börstinghaus „Problemaufriß: Kultur als Element der Stadtentwicklung“ in „Kultur 90“, Köln 1988, S. 105 ff
4) Ronald Inglehard „Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt“. Frankfurt/Main, 1989, 2. A. 1995
5) Ulrich Wickert „Der Ehrliche ist immer der Dumme. Über den Verlust der Werte“, Hamburg 1994
6) Lothar Baier „Volk ohne Zeit“, Berlin 1990
7) aaO, S. 14, 74, 78, 94 f, 99, 114 f
8) Sten Nadolny „Die Entdeckung der Langsamkeit“, München (1983) 30. A. 1994 „Serie Piper Band 700“
9) aaO, S. 209
10) aaO, S. 338
11) Barbara Tuchman „Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam“, Frankfurt/Main 1984, S. 11
12) „Fischer Weltalmanach 1987“, Frankfurt/Main 1986, Sp. 216-219, 528
13) André Glucksmann „Am Ende des Tunnels. Das falsche Denken ging dem katastrophalen Handeln voraus. Eine Bilanz des 20. Jahrhunderts“, Berlin 1991, S. 249, 259
14) Barbara Tuchman aaO, S. 473
15) Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?“, München 1992, S. 12 f, 161, 168 ff, 178; demgegenüber behauptet Jean-Maria Guéhenno, daß wir am Ende des institutionellen Zeitalters der Macht angekommen seien, heute gehe es um das Verhältnis des Menschen zur Welt, um Menschen, die imstande sind, die endliche Welt, die wieder unser gemeinsames Schicksal geworden ist, gedanklich zu fassen („Das Ende der Demokratie“, München 1994, S. 177ff)
16) Charles S. Peirce „Vorlesungen über Pragmatismus“, (1903) Hamburg 1991, S. 141
17) William James „Pragmatismus“ (1907), Hamburg 2. A. 1994, S. 86
18) vgl. Anm. 3; Funke, Ursula „Vom Stadtmarketing zur Stadtkonzeption“, Köln 1994, Heft 68 der Neuen Schriften des Deutschen Städtetages
19) Ernst Ulrich von Weizsäcker „Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt“, Darmstadt 1990, S. 265-267; inzwischen haben Umweltqualitätsziele die Qualität von Entscheidungsgrundlagen für die Stadtplanung gewonnen, vgl. z. B. „Ökologisch nachhaltige Entwicklung vor Verdichtungsräumen“, Dortmund 1993, Bd. 76 der Schriften des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS -
20) Peter Ulrich „Tansformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft“, Bern und Stuttgart 1986, S. 60, 443-450,3; rev. A. erschien 1993; vgl. neuerdings Schefold, Bertram „Wirtschaftsstile“, Frankfurt/Main, 2 Bände 1994 und 1995, Fischer-Taschenbuch Wissenschaft 12243 u. 12505
21) Gerhard Schulze „Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“, Frankfurt/Main 3. A. 1993, S. 46-69, 527-553; kritische Anmerkungen zu Schulze findet Peter Alheit („Zivile Kultur, Verlust und Wiederaneignung der Moderne“, Frankfurt/Main und New York 1994, Kapitel 3: Von der Arbeitsgesellschaft zur Erlebnisgesellschaft) und in „Erlebniskultur und neue kulturelle Milieus. Bewegungen im sozialen Raum moderner Gesellschaften“ („Kulturpolitische Mitteilungen“ Nr. 67 / IV / 94, S. 43), begrüßt jedoch ausdrücklich seine präzisen empirischen Beobachtungen; eine andere Veröffentlichung des vergangenen Jahres sollte vor Überinterpretation bewahrt werden (Georg Bollenbeck „Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters“, Frankfurt/Main 1994, S. 424), weil sie mit Recht von der prägenden Kraft des Bildungsbürgertums im vergangenen Jahrhundert ausgehend das Instrument des „Deutungsmusters“ als ein Instrument kritischer Zeitanalyse entwickelt (vgl. auch Max Fuchs „Wozu Kulturpolitik? Ein Werkstattbericht“ in „Mitteilungen aus der kulturpolitischen Forschung“ 1/95). Für den Praktiker muß deutlich bleiben, daß sich hier ein Instrument neben anderen bietet und Bollenbeck selbst das Deutungsmuster des Bildungsbürgertums für ebenso abgelebt hält, wie dessen Trägerschicht. Für dieses Jahrhundert hat Albrecht Göschel noch den Gegenbeweis angetreten („Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur. Wandel des Kulturbegriffs in vier Generationen“, Stuttgart 1991, S. 200, Bd. 84 der Schriften des Difu), wenn ihm auch entgegengehalten wird, daß er auf eine Intellektuellenschicht stützt und andere Bevölkerungsgruppen in seine Erhebung nicht einbezieht. Meine Anregung wäre, diese Ansätze im Blick zu behalten, ihre entscheidende Bedeutung für die Vergangenheit zu erkennen, sie aber eher ergänzend - gewißermaßen komplementär - für zukunftsorientierte Fragestellungen einzusetzen. Mit dieser Einschränkung folge ich auch gern den Vorschlägen von Fuchs und Liebald (vgl. den Werkstattbericht „Wozu Kultur“ in „Mitteilungen aus der kulturpolitischen Forschung“ 1/95). Die zentrale Bedeutung für meinen perspektivischen Analyseansatz hat diese Betrachtungsweise - wenigstens zur Zeit - nicht (vgl. auch Karl Heinz Götze „Die Wende gegen den Westen“ in „Die Zeit“ 40 vom 30.09.1994 mit einer Besprechung des Werks von Bollenbeck).
22) Erwin Chargaff „Geben Sie mir eine andere Zukunft“ in „Vor der Jahrtausendwende. Berichte zur Lage der Zukunft“, Frankfurt/Main, S. 234 „edition suhrkamp“, Bd. 1550
23) Diese Aussagen greifen zurück auf Helmut Böhme „Kulturstatistik - auf „neuen“ Wegen? Ein Tagungsrückblick“ in „Datenharmonisierung in der Kulturstatistik. Neue Modelle und Verfahrensweisen für vergleichende Analysen“, Bonn 1993, S. 80 f; darüber hinaus stütze ich mich auf Erik H. Erikson „Dimensionen einer neuen Identität“, Frankfurt/Main 1985 stw. 100, ders. „Identität und Lebenszyklus“, 1973 stw. 16; Beispiele für die jüngste Diskussion finden wir in Max Fuchs (Hrsg) „Kulturelle Identität“, Remscheid 1993 und bei Richard Münch „Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft“, Frankfurt/Main 1993, S. 15 - 104
24) Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinigten Deutschland“, München 1993, S. 33, auch sie befassen sich mit der deutschen Identität: S. 34 - 48
25) „Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ vom 03.09.1993; Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Hrsg) „Raumentwicklung. Politik für den Standort Deutschland. Dokumentation eines Kongresses am 30./31. März 1993 in Bonn“, Bonn 1993 - Materialien zur Raumentwicklung, Heft 47: Hier werden 5 Leitbilder behandelt, und zwar Siedlungsstruktur, Umwelt und Raumnutzung, Verkehr, Europa sowie Ordnung und Entwicklung.
26) Deutscher Städtetag „Wege zu einer menschlichen Stadt“, Köln 1973, S. 97 f - Heft 29 der Neuen Schriften des Deutschen Städtetages -
27) vgl. dazu Helmut Böhme „Stadtkultur und Weiterbildung I“, in „Stadtkultur und Weiterbildung“, Köln 1980, S. 8 - 10 mit Lit. - Dokumentation 8 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; jüngste Darstellungen bei Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München 1995, Stichworte Sozialisation, Enkulturation, Personalisa-tion, S. 326, 199, 271 - dtv, Taschenbuch Bd. 3357
28) Peter Ulrich, ,aaO, S. 321
29) Peter Ulrich, aaO; S. 474
30) Ernst Ulrich von Weizsäcker, aaO, S. 272; Guéhenno weist darauf hin, die Ökologiebewegung wolle im Gegensatz zu den Umweltschützern, die ihre Vorläufer waren, nicht den Menschen zum Maß aller Dinge machen und versuche, die Regeln einer Ordnung zu entziffern, die über uns hinausreicht („Das Ende der Demokratie“, aaO. S. 178)
31) vgl. Arnold Gehlen „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ (1940), Frankfurt/Main 8. A. 1966, S. 337 f, 342 - 348, 393 - 397: Gehlens biologistische Sichtweise teile ich nicht, aber dies Element autonomer Selbstbestimmung mit dem Ziel des Be-greifens und Er-greifens ist mir wichtig.
32) Helmut Böhme „Stadtkultur und Weiterbildung I“, Köln 1980, S. 11 - Dokumentation 8 der Kulturpolitischen Gesellschaft
33) Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München Februar 1995, S. 74 f - dtv 3357 -
34) Schaub und Zenke, aaO, S. 372 f
35) vgl. Niclas Luhmann „Komplexität“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt Bd. 4, 1976, Sp. 939 - 941
36) Richard Sennett „Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds“ (1990), Frankfurt/Main 1994, S. 118 - Fischer Taschenbuch Wissenschaft 12 244 -
37) Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinten Deutschland“, München 1993, S. 322, als Abschluß des Kapitels „Hinkender Sozialstaat“, S. 307
38) Joachim Becker „Der erschöpfte Sozialstaat. Neue Wege zur sozialen Gerechtigkeit“, Frankfurt/Main, 1994
39) vgl. Diether Döring u. a. (Hrsg) „Armut im Wohlstand“, Frankfurt/Main 1990 - es 15995 -)
40) Dennis Meadows u. a. „Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“, Stuttgart 1973, Reinbek. 1973 - Rowohlts Taschenbuch 6825 -; „Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten“, Frankfurt/Main 1980
41) Claus D. Kernig „Die Welt nach dem Jahr 2000 - das Ende der Urbanisierung“, Vortragsmanuskript des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung eV, Bonn o. J.
42) Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen - LDS - „Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens. Bevölkerungsprognose 1993 - 2010/2020“, Düsseldorf 1994, Heft 709 der „Beiträge zur Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen“; Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung - BfLR - (Hrsg) „Perspektionen der künftigen Bevölkerungsentwicklung in Deutschland“, Teil 1: Fakten und Hypothesen, Teil 2: Regionale Bevölkerungsprognose 2000 der BfLR, Bonn 1992 - Hefte 9/10 1992 und 11/12 1992 der Informationen zur Raumordnung; insbesondere Bucher, Siedhoff und Stiens „Regionale Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis zum Jahre 2000“ Heft 11/12 1992, S. 827 ff, bes. S. 844 - 848; BfLR (Hrsg) „Entwicklungsperspektiven für Stadtregionen“, Bonn 1993, Heft 58 der „Materialien zur Raumentwicklung“; BfLR „Zukunftsperspektiven der Raum- und Siedlungsentwicklung“, Heft 12 1993 der „Informationen zur Raumentwicklung“, Hans-Peter Gatzweiler „Dezentrale Konzentration. Eine Strategie zur Bewältigung des demographisch bedingten Siedlungsdrucks in Agglomerationsräumen“ im Heft 7/8 1994 der „Informationen zur Raumentwicklung“, S. 489 - 501
43) Thomas Sieverts „Was wird aus der Stadt?“ in „Kulturgut Stadt. Überlegungen zur Zukunft der europäischen Stadt - Ein Cappenberger Gespräch -“, Köln 1994, S. 48 - 51
44) Gesetz über die Kulturräume in Sachsen vom 20.01.1994 - SächsGVB1, S. 175
45) vgl. Dietrich Henckel (Hrsg) „Arbeitszeit, Betriebszeit, ,Freizeit - Auswirkungen auf die Raumentwicklung. Grundlagen und Tendenzen“, Stuttgart 1988 - Band 80 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -; Dietrich Henckel u. a. „Produktionstechnologien und Raumentwicklung“, Stuttgart 1986 - Band 76 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -
46) Benjamin Franklin, 1706 - 1790, in „Ratschläge an einen jungen Kaufmann“, 1748
47) Ortega Gasset „Der Aufstand der Massen“ (1930), Reinbek 1956, S. 27, - rde 10 -
48) Helga Nowotny „Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls“ (1989), Frankfurt/Main 1993, S. 37, 42 f
49) Dietrich Henckel (Hrsg) „Arbeitszeit, Betriebszeit und Freizeit - Auswirkungen auf die Raumentwicklung. Grundlagen und Tendenzen“, Stuttgart 1988 - Band 80 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik
50) Dietrich Henckel u. a. „Zeitstrukturen und Standtentwicklung“, Stuttgart 1989, S. 4, 249 ff - Band 81 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik - Difu -; „Handlungsfeld Freizeit II“ - Zeitpolitische Fragestellungen“, Dortmund 1987 - Heft 1 der Schriften des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS
51) Felizitas Romeiß-Stracke und May-Britt Pürschel „Frauen und Zeitpolitik“, Dortmund 1988, S. 9 f - Heft 8 der Schriften des ILS -
52) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idFv. 07.02.1992 - BG Bl II, S. 1253, Art. 8 - 8e
53) Richard Münch „Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft“, Frankfurt/Main 1993, S. 5 f, 15 - stw 1103 -
54) Programm der EU-Kommission „KALEIDOSKOP“ - Teilnahmebedingungen - (94/C227/11) - EG-Amtsblatt C227 v. 17.08.1994, S. 12 - 15
55) Richard Münch, ,aaO, S. 315, 317
56) Kurt Biedenkopf „Kultur für alle“ in „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Kultur für alle oder Träume von Spinnern“, Recklinghausen 1986, S. 19
57) Donella und Dennis Meadows, Jørgen Randers „Die neuen Grenzen des Wachstums. Die Lage der Menschheit. Bedrohung und Zukunftschancen“, Stuttgart 1992
58) vgl. Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS - (Hrsg) „Szenarien in der Stadtentwicklung - Zum Stand der Diskussion -“, herausgegeben vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund 1989
59) Dietrich Henckel u. a. „Produktionstechnologien und Raumentwicklung“, Stuttgart 1986, S. 19 - 23 - Band 76 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik - Difu -, vgl. auch Hartmut E. Arras und Ulrich Pfeiffer „Vergleichende Szenarien über die Entwicklung unterschiedlicher Städte vor dem Hintergrund verschiedener Blickansätze“ im ILS (Hrsg) „Szenarien in der Stadtentwicklung - Zum Stand der Diskussion -“, Dortmund 1989, S. 119 - 191
60) Aldous Huxley „Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft“ und „Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt. Essay“, München (1932 und 1959), 1992, S. 357 - Serie Piper 1640 -
61) Das Ziel einer globalen Informationsgesellschaft haben die Vertreter der sieben wirtschaftlich stärksten Industriestaaten (G 7-Koferenz) am 25.02.1995 verkündet („G 7: Regeln für globale Information“ und „Hoffnung auf neue Arbeitsplätze“ in „Kölner Stadt-Anzeiger“ 49 vom 27.02.1995, S.1 und S. 20). Doch läßt die Begründung wenig von der Berücksichtigung neuer Werte erkennen und setzt nach wie vor allein auf wirtschaftliches Wachstum. Trotz des massiven Einflusses des US-amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore ist noch nicht zu erkennen, daß er mit dieser Zielformulierung seiner „Ökologie des Geistes“ einen Schritt näher zu kommen hofft (Al Gore „Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde“, Frankfurt/Main 1992, S. 243
62) Vernetzung ist ein bislang immer noch zu wenig erkannter Sachverhalt, obwohl z. B. Vester seit zwanzig Jahren auf deren Aktualität aufmerksam macht, vgl. Frederic Vester „Unsere Welt - ein vernetztes System“ (1978), München 1993, dtv. 30078, derselbe „Neuland des Denkens. Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter“ (1980), dtv. 30068; „Ballungsgebiete in der Krise“ (1976) 5. A. 1994 - dtv. 30007 -
63) vgl. Stichwort „Struktur“ in „Brockhaus Ezykopädie“, Wiesbaden 17. A. Bd. 18, 1973, S. 246
64) Gerhard Schulze, Erlebnisgesellschaft, aaO S. 25; vgl auch Anm. 21
65) Gerhard Schulze,, aaO S. 25
66) vgl. Anm. 24 und Anm. 21
67) Einen Einblick in die kommunale Umfrageforschung bietet die jüngste Veröffentlichung des Difu zu diesem Thema „Lebensqualität und städtische Dienstleistungen aus Bürgersicht. Ergebnisse der Kommunalen Umfrageforschung aus 14 Städten“, Berlin 1994, Heft 6/94 der „Materialien“
68) vgl. Anm. 56
69) vgl. Olaf Schwencke und Norbert Sievers (Hrsg) „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik. Gedenkschrift für Alfons Spielhoff“, Hagen 1988 mit Lit.-Nachw. - Dokumentation 30 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Norbert Sievers „Neue Kulturpolitik“, Hagen 1988; Dokumentationen 32 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Norbert Sievers und Bernd Wagner (Hrsg) „Blick zurück nach vorn. Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik“, Hagen 1994. - Edition Umbruch Band 5 -; Hajo Cornel und Volkhard Knigge (Hrsg) „Das neue Interesse an der Kultur“, Hagen 1988 - Dokumentation 34 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg) „Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992“, Hagen 1992 - Dokumentation 42 der Kulturpolitischen Gesellschaft -
70) vgl. Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen (Hrsg) „Technik - Wirtschaft - Kultur - Kultur im technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsprozeß“, Münster 1988; Karla Fohrbeck und Andreas Wiesand „Von der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?“, München 1989 - Band 9 der Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes -; Institut für Landes- und Stadtetnwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalens - ILS - (Hrsg) „Umbruch der Industriegesellschaft - Umbau zur Kulturgesellschaft“, Dortmund 1991
71) vgl. Josef Dolch „Lehrplan des Abendlandes“, Darmstadt 1982, § 36 S. 242 - 250, §§ 32 - 34, S. 336 ff; E. Lichtenstein „Bildung“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt, Bd. 1, 1971, Sp. 936 f und J. Debus „Bildungswesen“ aaO, Sp. 938 f; Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München 1995. Stichworte „Bildung“, S. 74 f, „Bildungsinhalt“, S. 77, - dtv 3357 -; vgl. auch Frederic Vester „Lernen. Auf dem Weg einer biologischen Lernstrategie“ in „Neuland des Denkens“, München 8. A. 1993, S. 469 ff - dtv 30068
72) „Kulturlandschaft Stadt. Neue Urbanität und Kulturelle Bildung“, Hagen 1990, S. 150 - Dokumentation 35 der Kulturpolitischen Gesellschaft -
73) A. Reble „Kulturpädagogik“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt, Bd. 4, 1976, Sp. 1339 f
74) Max Fuchs (Hrsg) „Kulturelle Identität“, Remscheid 1993, S. 97
75) vgl. Anm. 17, William James
76) vgl. Frederic Vester „Systeme das Geheimnis der Vernetzung“ im „Neuland des Denkens“, München, aaO S. 17 ff,, S 484; John Briggs und F. David Peat „Die Entdeckung des Chaos“, München, 4 A. 1995, S. 271 ff - dtv 30349 -
77) vgl. „Unternehmen Kultur?“, herausgegeben von Kulturpolitische Gesellschaft u. a. Hagen 1994; Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung - KGSt - „Organisationsmodell der GK 5: Organisation des Schulverwaltungs-, Sport- und Kulturamts“, Köln 1994, Bericht 5/1994; KGSt „Die Museen. Besucherorientierung und Wirtschaftlichkeit“, Köln 1989, Gutachten
78) vgl. „Strategisches Management, Beitrag der Statistik zur Stadtsteuerung - Controlling und „Controlling in deutschen Kommunalverwaltungen: Umfrageergebnisse zum Implementationsstand von Organisations- und Informationssystemen“ in „Stadtforschung und Statistik“, Heft 1/1994, S. 12 - 26; Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg) „Unternehmen Kultur? Neue Strukturen in der Kommunalverwaltung“, Hannover und Hagen 1994
79) André Glucksmann, aaO, S. 15
80) Paul Kennedy „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“, Frankurt/Main 1993, S. 442
81) Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?“, München 1992, S. 444
82) vgl. vor allem die beiden Einführungswerke von John Briggs und F. David Peat „Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie“, München, 4. A. 1995 - dtv 30349 - sowie von Gregor Morfill und Herbert Scheingraber „Chaos ist überall ... und es funktioniert. Eine neue Weltsicht“, Frankfurt/Main, Berlin (1991), 1993. Ullstein Buch 35343; darüberhinaus ist wegen seiner politischen Kapitel für uns wichtig Norbert Bolz „Chaos und Simulation“, München 1992, insbesondere „Politik als ob“, S. 108ff
83) „Erdpolitik. Ökologische Realpolitk an der Schwelle zum Jahrhundert der Ökologie“, Darmstadt 2. A. 1990, 4. A. 1994; „Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde“, Frankfurt/Main 1992; „Kurswechsel. Globale unternehmerische Perspektiven für Entwicklung und Umwelt“, München 1992
84) vgl. Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland“, aaO S. 31, 323 ff
85) Dietrich Henckel u. a. „Entwicklungschancen deutscher Städte - Die Folgen der Vereinigung“, Stuttgart 1993, S. 17 f - Band 86 der Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Urbanistik -
86) Jochen Dieckmann „Stadtpolitik im Umbruch - Wohin steuern unsere Städte?“ in „Stadtperspektiven. Difu-Symposium 1993“, Berlin 1994, ,S. 185 - 194 - Band 10 der Difu-Beiträge zur Stadtforschung -
87) vgl. Thomas Sieverts „Was wird aus der Stadt?“ in „Kulturgut Stadt“, Köln 1994, S. 52
88) vgl. Walter Siebel „Stadtkultur“ in „Das neue Interesse an der Kultur“, Hagen 1990, S. 133 - 146; Hermann Schwengel „Kulturregion und regionale Kulturidentität“ in „Regionale Identität und Kultur. Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992“, Hagen 1992, S. 45 - 54; Jiri Hruza „Die europäische Stadt als besonderes Kulturgut“ in „Kulturgut Stadt“, Köln 1994, S. 93
89) Jens S. Dangschat „Hausgemachte und importierte soziale Probleme in deutschen Großstädten“ in „Stadtperspektiven. Difu-Symposium 1993“, Berlin 1994, S. 81; bereits 1981 sprach Clemens Geißler von „solidarischer Daseinsvorsorge“ in „Urbanität durch Solidarität - zur Verantwortung für die Lebenskräfte der Stadt“, als Manuskript herausgegeben von der Frankfurter Aufbau AG für den Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung e. V.-DV - Landesgruppe Hessen -. Frankfurt/Main 1981, S. 8; Peter Ulrich spricht von „solidarischer Unterstützung“ auf der Grundlage „emanzipatorischer Einkommenspolitik“ in „Transformation der ökonomischen Vernunft“, Bern, Stuttgart 1986, S. 474; Warnfried Dettling stellt in einem Beitrag zur Rolle Deutschlands und seine inneren Umbrüche fest, ,es gehe nicht nur um die Sanierung der Staatsfinanzen durch einen Umbau des Sozialstaats. „Es geht um die Wiedergewinnung des Sozialen in der Gesellschaft.“ in „Phantasie muß an die Macht“ in „Die Zeit“ 44 v. 29.10.1993; in der gleichen Diskussion erkennt Uwe Jean Heuser, „eine Gegenreaktion droht in Form einer schrittweisen Entsolidarisierung“ in „Soll-bruchstelle im Gemeinwesen“ in „Die Zeit“ 12 vom 18.03.1994
90) Petra Schmid-Urban „Soziale Konflikte in der Stadt“ in „Stadtperspektiven ....“, aaO, S. 86
91) vgl. Wolfgang Glatzer und Werner Hübinger „Lebenslagen und Armut“ in „Armut im Wohlstand“, Frankfurt/Main 1990, S. 31 - 55 es 1595 -
92) kritische Anmerkung dazu von Kleppe „Flüssiger und sicherer Stadtverkehr“ in „Erneuerung unserer Städte“, Köln 1957, S. 122; vgl. auch „Autofreies Leben. Konzept für die autofreie Stadt“. Dortmund 1992, Bd. 68 der ILS-Schriften
93) Werner Heinz „Stadtentwicklung und Strukturwandel. Einschätzungen kommunaler und außerkommunaler Entscheidungsträger“, Stuttgart 1990, S. 9, 275 - Band 82 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -; zum Thema „Leitbild“ soll hier noch auf zwei Belege verwiesen werden, einmal auf den Roman von Italo Calvino „Die unsichtbaren Städte“ (1972; München 1985, dtv. 10413) mit einer Vielzahl fiktiver Städtebilder, die alle Faszetten der einen Stadt wiedergeben sollen und zum andern auf eine Veröffentlichung des Ministeriums für Stadtentwicklung und Vorkehr des Landes Nordrhein-Westfalen „Die Stadt als Lebensraum“ (Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 26 der Fraktion der SPD. Düsseldorf 1994), in der die Stadt der neuen Beweglichkeit, die solidarische Stadt, ,die kulturelle Stadt und die Stadt der Kinder als Ziel der Landesregierung bezeichnet werden. Es ist zu hoffen, daß sich hier ein Bewußtseinswandel abzeichnet.
94) Dieter Sauberzweig „Ökonomie und Ökologie“ in „Stadtperspektiven ...“, aaO. Berlin 1994, S. 130
95) Martin Junkerheinrich „Privatisierung der kommunalen Infrastrukturfinanzierung“ in „Stadtperspektiven ...“, aaO, S. 155 - 184, eine umfassende Bestandsaufnahme enthält Michael Reidenbach u. a. „Der kommunale Investitionsbedarf in den neunziger Jahren“, Berlin 1992, S. 290 - Difu-Beiträge zur Stadtforschung Band 7
96) womit sie Naturgesetzen gerecht würden, vgl. Stephen W. Hawking „Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit“, Reinbek 1993, ,S. 143 - 146, 156
97) vgl. auch Fritz Vorholz „Die Last der Hedonisten“ in „Die Zeit“ 30 vom 22.07.1994
Helmut Böhme, Leverkusen
Anmerkungen zum Thema
Wer bewerten will, benötigt einen Maßstab. Ihn gibt es in vielerlei Varianten für verschiedene Sachverhalte. Was geschieht, wenn Erscheinungen und Wechselwirkungen der Sachverhalte miteinander so verzahnt und verflochten sind, daß sie mit ihrem jeweiligen Maßstab nicht mehr sachgerecht und aussagekräftig genug gemessen werden können? Antwort auf diese Frage suchen Evaluierungsforscher. Für sie ist deshalb wichtig, nach Methoden zu suchen, die Maßstäbe auch für komplexe Sachverhalte bereitstellen. Damit verbunden ist die Suche nach Möglichkeiten, Schwerpunkte zu bilden, ja am besten, eindeutige Prioritäten zu setzen. Die jüngsten Arbeiten liegen etwa sechs Jahre zurück 1). Das Thema ist seither kein Schwerpunkt der aktuellen Diskussion.
In den 90er Jahren stellt sich eine ganz andere Frage. Reichen die bisherigen Maßstäbe aus? Müssen die „Längenmaße“ auf unserer Meßlatte nicht um neue Dimensionen ergänzt werden? Schließlich ändern sich die Werte der überlieferten Maßeinheiten. Wonach und womit sollen wir künftig bewerten?
Das ist eine der zentralen Fragen, vor denen unter anderem auch die verhältnismäßig junge Disziplin der Stadtentwicklungsplanung steht, die als eine Querschnittsaufgabe von Städten und Gemeinden zu Beginn der 70er Jahre zunehmend an Bedeutung gewann - nach gut zehn Jahren aber in den Hintergrund geriet 2). Sie wollte gewissermaßen den Generalschlüssel bereitstellen für solche Planungsentscheidungen, die Auswirkungen auf die künftige Entwicklung haben und sie auf kommunaler Ebene auf diese Weise mit hinreichender Sicherheit begründen. An diesem Anspruch ist die Stadtentwicklungsplanung gescheitert. Seit Mitte der 80er Jahre wird gewissermaßen Schadensbegrenzung geübt und statt des Generalschlüssels wieder eine größere Zahl von Einzelschlüsseln verwendet 3).
Ronald Inglehard dürfte mit seinem Buch über den kulturellen Umbruch das umfassendste und jetzt auch aktuellste Werk zur Diskussion über die Veränderung der Werte in unserer Zeit vorgelegt haben 4). Die volkstümlichste und griffigste Formel des Themas fand der Journalist Ulrich Wickert mit seinem jüngsten Buch „Der Ehrliche ist immer der Dumme“ 5). Doch reicht die Rückkehr zu alten und bewährten Wertmustern nicht aus.
Deshalb beginnt die vorliegende Arbeit mit einer schwerpunktartigen Betrachtung der gegenwärtigen Gesellschaft mit Blick auf die Herausforderungen der Zukunft (AUSGANGSLAGE).
Sie fährt fort mit der Beschreibung von Funktionen, die Kultur und Bildung in diesem Zusammenhang zufallen (HANDLUNGSFELDER).
Danach benennt sie Schwerpunkte, auf die hin sich bestehende Wertmaßstäbe im Blick auf künftige Herausforderungen voraussichtlich verändern werden (BEWERTUNGEN).
Es folgen Hinweise, wie aus dem allen praktisches Handeln hervorgehen könnte (INSTRUMENTE).
Aus der Anwendung dieser Instrumente ergeben sich in der Konsequenz einige Vorschläge für künftiges Vorgehen (HANDLUNGSVORSCHLÄGE).
In einem abschließenden Teil wird der Versuch gewagt, beispielhaft die Ergebnisse dieser Arbeit den bereits erkennbaren Entwicklungen in der Zukunft gegenüberzustellen und ihre Wirksamkeit in einem ersten Diskurs zu überprüfen (AUSBLICK).
„Überlegungen aus der Praxis“ enthalten keine empirischen Erhebungen, keine differenzierten Analysen und ebensowenig ausgearbeitete Konzeptionen. Sie verzichten auch nicht auf grundsätzliche Erörterungen und auf einen umfassenden, systematischen Denkansatz. Andererseits liefern sie auch keinen Kommentar aus der Praxis zum heutigen Geschehen oder zur wissenschaftlichen Diskussion der Gegenwart.
„Überlegungen aus der Praxis“ suchen dagegen nach eigenen, anderweitig nicht vorgegebenen Wegen, Zugänge zur Lösung praktischer Probleme. Die grundsätzliche Frage dieser Arbeit zielt auf die Komplexität kommunaler Stadtentwicklungsplanung in den 90er Jahren unseres Jahrhunderts. Am Beispiel der zentralen Kategorien von Kultur und Bildung werden einige Hinweise zur Bewertung einschlägiger Sachverhalte gegeben.
Dabei bin ich mir bewußt, daß ich mit diesen Überlegungen nur Fragen stellen und Themen anreißen kann. Dennoch hoffe ich, daß mein Ansatz weit genug greift und hinreichend konkrete Aussagen enthält, um im Zusammenspiel mit anderen nicht nur die Grundsatzdiskussion zum Thema, sondern auch die tägliche Praxis zu fördern.
Die der Arbeit als Anlage beigefügten Thesen sollen den Inhalt zusammenfassen und den Zugang zum Gegenstand etwas erleichtern.
1. Ausgangslage
Mit dem Jahr 1995 beginnt endgültig der Abschied vom 20. Jahrhundert. Beschrieb Jules Verne mit „Der erste Mann auf dem Mond“ (1901) noch eine Utopie, ist dies knapp siebzig Jahre später Realität und eine Meldung der Tagesnachrichten. Damit ist angedeutet, daß das Zeitalter des technisches Fortschritts von einem neuen abgelöst wird., das in den Weltraum vorstößt.
Zeit ist heute ein epocheprägendes Element. Es gibt nur eine einzige Zeitordnung und die ist ökonomisch bestimmt. In dieser Welt übt Macht aus, wer dank seiner ökonomischen Potenz die Uhr der Weltzeit stellt, der ökonomischen Zeit. Katastrophen unserer Zeit sind der Tod der Literatur, das Ende der Industriegesellschaft, die atomare Apokalypse, der drohenden Kollaps der Erdatmosphäre und der Zusammenbruch der Finanzmärkte. Nach-dem wir dies alles überlebt haben, geht das Leben weiter - es ist aber ein anderes als das Leben zuvor. Das Leben war eingebettet in einen diesseitigen Glauben an den Fortschritt und an die Heilskraft der Moderne. Nun wird ein neues Ziel gesucht - die Entwicklung? Ihr Element ist die Zeit. Doch ist das Bewußtsein immer noch so sehr der Tradition territorialen Denkens verhaftet, daß ihm die Dimension der Zeit verschlossen bleibt, in der sich die Macht der herrschenden industriellen und postindustriellen Zivilisation entfaltet. Deshalb kann es keinen Zusammenhang zwischen dem Konkurrenzkampf um die führende Position in der Weltzeit und der fortschreitenden Entmachtung der aus der Zeitkonkurrenz ausgeschlossenen Weltteile erkennen. Aus dem „Hunger nach Raum“ zu Beginn des Jahrhunderts ist die „Gier nach Zeit“ geworden, besonders anschaulich zu beobachten am Prozeß der deutschen Einigung in den Jahren von 1989 bis 1995. Für Lothar Baier 6) bedeutet die Priorität der Geschwindigkeit die Zerstörung der Demokratie, weil sie dem einzelnen keine Wahl läßt. Die Zivilisation der Zeit bringt keine Sprache hervor, die ihr in ihren eigenen Kategorien begegnen kann 7).
Zu dieser Sicht unserer Situation gehört auch der beachtliche Erfolg von Sten Nadolnys Roman „Die Entdeckung der Langsamkeit“ 8). Es handelt sich hier um eine verfremdete Darstellung der Biographie des englischen Seeoffiziers und Nordpolfahrers Sir John Franklin (1786 - 1847). Die Verfremdung wird dadurch erreicht, daß Nadolny Franklin mit der Eigenschaft versieht, extrem langsam zu denken.
Die Schwierigkeiten des Kindes werden beschrieben und die Methoden, mit denen der junge Mann lernt, sich in der Welt der „Normalen“ durchzusetzen. In unserem Zusammenhang interessieren zwei Feststellungen. Die erste trifft der junge Schiffskommandant Franklin: „Ich bin der Kommandant ... Meiner Geschwindigkeit müssen sich, weil sie die langsamste ist, alle anderen anpassen. ... Ich nehme ernst, was ich denke und empfinde. Die Zeit, die ich dafür brauche, ist nie vertan. Dasselbe gestehe ich auch den anderen zu ... Die langsamere Arbeit ist die wichtigere. Alle normalen, schnellen Entscheidungen trifft der Erste Offizier.“ 9). Mit der zweiten Feststellung greift der britische Premierminister eine Arbeit des späten Franklin über die Gründung einer Schule auf und äußert sich über die dort vorgeschlagenen Bildungsgrundsätze: „... Langsamer Blick, starrer Blick, Panoramablick, ausgezeichnet! Der Gedanke der Toleranz, aufgebaut auf der Verschiedenheit der individuellen Geschwindigkeiten oder Geschwindigkeits-Phasen - sehr einleuchtend!“ 10). Wir werden später sehen, welche Bedeutung Zeit für Planung haben kann - für Kultur und für Bildung.
Vor zehn Jahren stellte die amerikanische Historikerin und Journalistin Barbara Tuchman fest, die gesamte Geschichte durchziehe unabhängig von Zeit und Ort das Phänomen, daß Regierungen und Regierte eine Politik betreiben, die den eigenen Interessen zuwiderläuft 11). Am Beginn der 90er Jahre geht der französische Philosoph André Glucksmann weiter. Er stellt fest: Das falsche Denken ging dem katastrophalen Handeln voraus. Das „Ende des Tunnels“, das wir in den 90er Jahren erreichen und das das Ende jeder Bewahrung des Menschen vor der ihm unerträglichen Wirklichkeit ankündigt, wird für mich anschaulich in dem Bild der Katastrophe von Tschernobyl. Am 26.04.1986 kommt es im ukrainischen Tschernobyl zur bisher größten Reaktorkatastrophe der zivilen Kernkraftnutzung. Aus dem Leck des beschädigten Reaktorkerns entweicht eine radioaktive Wolke, deren Ausläufer bis nach Skandinavien und Westeuropa reichen. Erst am 14.05.1986 äußert sich Gorbatschow öffentlich zu dem Unfall. Bereits am 03. und 04. Mai beschließt die deutsche Bundesregierung Vorsorgemaßnahmen auf Vorschlag der Strahlenschutzkommission. Die Bevölkerung geht auf die Straßen. Städte wechseln den Sand auf den Spielplätzen aus, insbesondere in den Kindergärten. Doch in Frankreich bleibt alles ruhig. Erst unter dem Eindruck der Diskussionen im westlichen Ausland setzt mit 14-tägiger Verzögerung auch hier die öffentliche Diskussion ein 12). Der „Tunnel“ endete damals an der Westgrenze Deutschlands zu Frankreich. Jenseits war die Welt noch in Ordnung und gesichert. Diesseits der Grenze suchten informierte Menschen nach Wegen in eine bedrohte Zukunft.
Glucksmann spricht von einem „elften Gebot“: Nichts Unmenschliches soll dir fremd sein! Er stellt fest, dies Gebot fordere nicht „Tu!“, sondern: „Nimm das Böse zur Kenntnis!“. Die Dissidentenforderung, das „Leben in der Lüge“ aufzugeben, heißt für Glucksmann, daß sich der Status des Intellektuellen entschieden ändert. Er hat nicht mehr die Aufgabe, die Leute zu schützen und die Erfahrung des Unmenschlichen, das uns umgibt und das sie selbst verüben, unter Zensur zu stellen. Er willigt ein in das athenische Durcheinander von Bürger und Ausländer, Mann und Frau, Herr und Diener, die alle - Kinder eingeschlossen - dem tragischen Spiel der Fehler der Großen und der Ohnmacht der Mächtigen beiwohnten. Man muß wie bei einer Wette alles auf das elfte Gebot setzen. Dabei geht es um den vergänglichen, dem Zweifel unterworfenen, freischwebenden, aber jederzeit möglichen philosophischen Bürger 13).
Im Bild vom „Tunnel“ begegnen wir der Erkenntnis, daß wir weder uns selbst noch andere vor der Wirklichkeit der Welt bewahren können, die uns umgibt. Das haben die Machthaber im real existierenden Sozialismus ebenso erfahren müssen wie die Regierenden im Westen. Barbara Tuchman bezeichnet als eine Torheit der Regierenden die Engstirnigkeit, die man mit der Einstellung kennzeichnen könnte: „Bringen Sie mich nicht mit Tatsachen durcheinander!“ Dies sei eine universelle Torheit, fährt Barbara Tuchman fort, die aber nirgends offenkundiger geworden sei als in der Haltung der USA zu Vietnam 14). Mir aber scheint gelegentlich auch in der aktuellen Politik diese Einstellung sehr wirksam zu sein.
Schließlich fragt am Beginn der 90er Jahre ein US-Amerikaner japanischer Herkunft „Wo stehen wir?“. Seine Antwort lautet überraschenderweise am „Ende der Geschichte“, als einem einzigartigen, in sich zusammenhängenden evolutionären Prozeß. Francis Fukuyama sieht in der liberalen Demokratie die letzte und höchste Form der gesellschaftlichen Entwicklung des Menschen und daher das Ende der Geschichte erreicht.
Dies Verständnis hat Konsequenzen. Ein hohes Bildungsniveau ist Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft. Für Fukuyama ist ein Staat, der kein höheres Ziel als wirtschaftliches Wachstum kennt, mit dem Begriff „marktorientierter Autoritarismus“ zu kennzeichnen 15). Ich teile seine Konsequenzen nicht in allen Fällen, halte aber eine Vielzahl seiner Analysen für bedenkenswert und hilfreich für eine Analyse unserer Situation heute.
Gelingt es uns, eine Sprache hervorzubringen, die der Zeit in ihren eigenen Kategorien begegnen kann (Baier)?
Werden wir Möglichkeiten erkunden herauszufinden, wann der „Kommandant“ die wichtige Arbeit langsam verrichten und der „Erste Offizier“ seine schnellen Entscheidungen treffen soll? Und wie steht es mit dem langsamen Blick (Analyse), dem starren Blick (Detail) sowie dem Panoramablick (Zusammenhänge) und mit einer Toleranz, die auf der Verschiedenheit individueller Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen aufbaut (Nadolny)?
Werden wir uns der Wirklichkeit stellen, die uns am „Ende des Tunnels“ zum Ausgang des 20. Jahrhunderts erwartet (Glucksmann) oder werden wir in ihn zurückkehren wollen?
Und schließlich mag die Frage gestattet sein, ob das Ende der Geschichte mit der Gesellschaftsform einer liberalen Demokratie tatsächlich bereits erreicht ist (Fukuyama).
Stadtentwicklungsplanung
Für all diese Fragen - allerdings bezogen auf den sehr begrenzten und meist doch noch überschaubaren Mikrokosmos einer Stadt - bemüht sich die Stadtentwicklungsplanung um pragmatische Handlungsansätze. „Pragmatisch“ soll hier verstanden werden in dem Sinn als sie
· unklare Ideen ausscheidet,
· klaren Ideen, die mehr oder weniger schwierig zu erfassen sind, Unterstützung gewährt und hilft, sie deutlicher zu verstehen sowie
· eine Position der Wahrnehmung zu bestimmen, die es ermöglicht, objektive Tatbestände zu definieren 16) und schließlich
· anerkennt, daß Einheit und Vielheit vollkommen gleichberechtigt nebeneinander stehen, keines von beiden ist vornehmer und wesentlicher als das andere; es ist genauso wie mit dem Raume, der die Dinge ebenso trennt wie er sie verbindet, aber manchmal kommt die eine Funktion, mal die andere stärker zum Bewußtsein 17).
Das Ziel der Stadtentwicklungsplanung, einen angestrebten Zustand (Ziel) durch entsprechende technische Instrumente (Bestandsaufnahme, Analyse, Prognose und Simulation) in einem kontinuierlichen, dynamischen und demokratischen Planungsprozeß (Partizipation) zu erreichen, hat sich Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre als nicht erreichbar erwiesen 18). Wenn inzwischen auch modische Trends die Diskussion prägen - vom „Stadtmarketing“, „Citymanagement“, „Controlling als Führungsinstrument“ zum „Stadt-konzept“ oder gar dem „Dienstleistungsunternehmen Stadt“ - in der Sache kann man unabhängig vom jeweiligen Sprachgebrauch die Aufgabe der Stadtentwicklungsplanung beschreiben als
· Beobachtung der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung,
· deren Analyse in Bezug auf die Situation der Stadt,
· die Formulierung städtischer Entwicklungsziele,
· die Beschreibung von Wegen zur Erreichung dieser Ziele sowie
· die kontinuierliche Begleitung des Umsetzungsprozesses auf dem Wege der Beteiligung aller Betroffenen und Beteiligten in offener Kooperation.
Stadtentwicklungsplanung stellt sich damit als ein kontinuierlicher, dynamischer und transparenter Planungsprozeß dar, der durch die Einbeziehung Betroffener und Beteiligter wie auch der Öffentlichkeit sowohl emanzipatorische als auch partizipatorische Ziele erfüllt.
Stadtentwicklungsplanung ist ein politisches Führungsinstrument, das die Voraussetzung für zukunftsfähige Entscheidungen schaffen soll. Die Schwerpunkte heutiger Stadtentwicklungsplanung liegen darin,
· methodisch Wege zu finden, die hinreichend genau empirische Grundlagen mit konzeptionellen Entwürfen künftiger Gesellschaften zu verbinden in der Lage sind,
· inhaltlich bereits heute Beiträge zur Lösung aktueller Aufgaben zu leisten und
· neue Formen der Planung, Kooperation und emanzipatorischer Partizipation zu finden, die dem erweiterten Konsensbedürfnis in der Gesellschaft gerecht werden.
Im folgenden sollen einige Aspekte der gesellschaftlichen Situation heute näher beschrieben werden. Dazu greife ich zunächst drei Autoren heraus, die wesentliche Koordinaten künftiger Entwicklung beschreiben:
· Ernst Ulrich von Weizsäcker
„Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt“ (1990)
· Peter Ulrich
„Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft“ (1986)
· Gerhard Schulze
„Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“ (1993)
Ökologie
Den Aspekt „Grenzen des Wachstums“ verstehe ich im ersten Schritt als ökologischen Hinweis. Ernst Ulrich von Weizsäcker beschrieb vor fünf Jahren eine Erdpolitik, die auf ein neues Wohlstandsmodell der Gesellschaft zielt mit rascher Vermeidung der Umweltverschmutzung und das Naturverbrauchs pro Kopf, auf die Erkenntnis, daß in der Vermeidung von Kosten auch ein ökonomischer Nutzen liegt und daß sich Umweltschutz von einem Kostenfaktor zu einem Nutzenfaktor entwickelt. Für ihn wird das Jahrhundert der Ökonomie abgelöst vom Jahrhundert der Ökologie 19).
Ökonomie
Hier schließe ich den zweiten Schritt an. Peter Ulrich hat bereits 1986 eine Transformation der ökonomischen Vernunft beschrieben, die sich von der technischen (zweckrationales Handeln, „homo faber“) zur kommunikativen (kommunikatives Handeln, „homo sapiens“) Vernunft wandeln werde.
Für ihn geht es nicht nur um eine Änderung der Systemordnung an sich, sondern um unsere Lebensform schlechthin und den ihr angemessenen Wirtschaftsstil: Wie möchten wir in Zukunft leben? Das ist die sozialökonomische Kernfrage der Zeit. Daraus ergibt sich für Ulrich die Frage nach einem anderen Fortschritt, der aus dem Blickwinkel der Lebenswelt zu definieren ist. Er bemüht sich deshalb um Leitideen für wirklich moderne Lebensformen, die den normativen Ansprüchen der Sozialverträglichkeit - und das heißt immer auch, der ökologischen Umweltverträglichkeit - genügen können.
Alternative Lebensformen sind gefragt, die eine Rückbesinnung auf den Eigenwert lebensweltlicher Freiräume autonomen Tätigseins und freier Kommunikation ermöglichen. Es geht dem Menschen zunehmend um die Verteidigung solcher Freiräume gegen ihre fortschreitende Durchdringung durch die eigensinnigen Funktionszwänge der Systementwicklung (Durchökonomisierung, Durchstaatlichung, Technokratisierung). Wo diese Funktionszwänge bereits gegriffen haben, geht es dem Menschen um die „Entkolonisierung“ der Lebenswelt, d. h. ihrer eigenen Lebenswelt, von den unerträglichen Eingriffen der Systemzwänge. Es kann für historisch wahrhaft progressive, zeitgemäße und für breite Bevölkerungskreise attraktive Fortschrittskonzepte keine eindimensionale Totallösung geben - weder eine systemische (Technokratie) noch eine rein lebensweltliche (Tradition). Eine ganzheitlich entfaltete Modernität setzt relativ autonome, funktional durchrationalisierte Subsysteme ebenso voraus wie eine relativ autonome, von pathologischen Systemzwängen freie, kommunikativ geordnete Lebenswelt. Ulrich sieht Chancen für eine duale Lebensform, in der sich die formalrechtliche und faktische Verfügungsgewalt wirklich auf die innere Systemsteuerung begrenzt und die Autonomie der Lebenswelt gegenüber potentiellen Übergriffen systemischer Funktionszwänge bestmöglich wiederhergestellt und geschützt wird.
Ein zweites Beispiel für zukunftsfähige Lebensformen ist ein Modell emanzipatorischer Sozialpolitik, dessen wesentliche Elemente auf die Selbsthilfekapazität und Selbstverantwortung des Menschen abstellen und verstärkt Selbsthilfeeinrichtungen ermöglichen, die komplementär zu bestehenden Systemen jene psycho-sozialen Probleme lösen helfen, mit deren Lösung die bestehenden Systeme überfordert sind.
Ulrich hat erkannt, daß in der heutigen Gesellschaft Wachstum als Schlüsselgröße aufgefaßt wird, von dem die Lösung der meisten weiteren wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Ziele abhängig ist. Das Wachstum könne und solle im Sinne einer totalen Nutzen/Kosten-Analyse „qualitativ“ sein, aber Wachstum müsse es sein. Hier droht der Wohlfahrtsstaat in einen Teufelskreis zu geraten: er setzt zu seiner eigenen Finanzierung eben jenes bedingungslose Wachstum voraus, dessen explosiv steigende Folgekosten er mit abnehmendem Erfolg bekämpft. Dagegen könnte eine emanzipatorische Sozialstrukturpolitik im präventiven Bereich zu einer umfassenden, mittel- und langfristig angelegten Strukturpolitik werden, der es um die Verbesserung der gesellschaftlichen Voraussetzungen für eine gelingende Sozialisation und personale Identitätsbildung des Menschen geht 20).
Erlebnisgesellschaft
Die Gesellschaft läßt sich heute auch als „Erlebnisgesellschaft“ verstehen, in der der Sinn des Lebens durch die Qualität subjektiver Erlebnisprozesse beschrieben werden kann. Die Vorstellung, mit der Erlebnisorientierung sei das Ende aller Schwierigkeiten erreicht, ist eine Täuschung. In Wahrheit setzen sich die Schwierigkeiten auf einer neuen Ebene fort. Bedroht ist nicht nur das Leben, sondern sein Sinn. Das Ziel der Erlebnisorientierung ist verbunden mit den Ängsten Unsicherheit und Enttäuschung. Erlebnisse sind nicht Eindrücke, sondern Vorgänge der Verarbeitung.
Das reichhaltige Instrumentarium kultursoziologischer Analysen wird in einem Tableau dreier kultureller Übergangsstadien der Bundesrepublik zusammengefaßt: Restauration der Industriegesellschaft, Kulturkonflikt, Erlebnisgesellschaft. Die Beschreibung der Kulturpolitik heute mündet in eine Betrachtung der „Kulturpolitik nach der utopischen Phase“, bei der es um Grenzen und paradoxe Nebenwirkungen geht.
Eine Grenze ist der Versuch, gesellschaftspolitische Interventionen auf den Erlebnismarkt mit Hilfe der Kulturpolitik zu etablieren. Dieser Versuch ist fehlgeschlagen. Auch höhere Geldmittel und weitere administrative Verfestigung können die Irrelevanz der Kulturpolitik für die Dynamik des Erlebnismarkts nicht beheben.
Hier einige Beispiel für paradoxe Ziele von Kulturpolitik:
· Angebote sollen Konsumhaltungen bekämpfen.
· Institutionen sollen Autonomie verteidigen.
· Milieuspezifisch geprägte Programme sollen sich an alle wenden.
· Politik soll unpolitisch bleiben.
Der kulturpolitische Diskurs vollzieht sich in einer Welt, in der paradoxe Nebenwirkungen Normalität sind. Kennzeichnend für den kulturpolitischen Diskurs ist allerdings eine geringe Sensibilität für diese Situation.
Erforderlich ist die Abwehr endogener Destruktionstendenzen im kulturpolitischen Handlungsfeld. Sechs Thesen mit Gefahren, die den Anschein des Wünschenswerten haben:
· Illusion einer paradoxiefreien Kulturpolitik
· Kulturpolitisches Wachstum soll ersetzt werden durch kulturpolitisches Optimum.
· Die Versuchung, Kulturpolitik als Herrschaftsinstrument einzusetzen, wächst in demselben Maße wie ihr Herrschaftspotential. Mit zunehmender Zentralisierung gerät nicht nur die Bürgernähe der Kulturpolitik in Gefahr, sondern auch ihre Mittlerposition zwischen Neutralisierung und Politisierung.
· Die chaotische Struktur des kulturpolitischen Handlungsfeldes fordert den Versuch heraus, Ordnung zu schaffen. Gerade die chaotische Struktur ist aber produktiv.
· Publikumserfolg ist ein gemeinsames Ziel der Akteure des kulturpolitischen Handlungsfeldes - im Grunde aber nur ein Ersatzkriterium für andere weniger greifbare Ziele, die Gefahr laufen, allmählich vergessen zu werden.
· Solange ökonomische Wirkungen lediglich als Nebenwirkungen betrachtet werden, bleiben sie ohne Folgen. Eine ökonomische Wende aber könnte die Konvergenz von kulturpolitischer Enklave und kommerziellem Erlebnismarkt bis zur Unterschiedslosigkeit vorantreiben und letztlich Kulturpolitik bedeutungslos machen.
Beim kulturpolitischen Übergang der Bundesrepublik bildet die Erlebnisgesellschaft die Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen. Wo Erlebnisse zum beherrschenden Thema werden, beginnt man, sich mit sich selbst zu beschäftigen.
Der Erlebnismarkt hat sich zu einem beherrschenden Bereich des täglichen Lebens entwickelt. Routiniert sind auch die Nachfrager geworden. Das Publikum ist an das Neue gewöhnt.
Kulturpolitik schließlich ist zu einer fest institutionalisierten kommunalpolitischen Größe geworden. Ein kulturpolitischer Rechtfertigungskonsens lenkt zunächst noch von paradoxen Nebenwirkungen der Kulturpolitik ab. Als Thema der nachutopischen Phase des kulturpolitischen Diskurses kristallisiert sich die Frage von Grenzen und Risiken der Kulturpolitik heraus.
Abschließend ist zu fragen, ob wir uns als Opfer betrachten sollen. Dabei sei verwiesen auf die gängige Praxis, in der das Publikum überwiegend als therapiebedürftiges Objekt auftaucht, als handle es sich um einen soziokulturellen Pflegefall. Man schiebt ihm keine Verantwortung zu, sondern analysiert die Umstände, denen es unterworfen ist. Schulze schließt mit den Sätzen: „Die gegenwärtige Krise des Subjekts ist durch fürsorgliche Entmündigung jedoch nicht zu entschärfen. Wir, das Publikum, müssen erkennen, daß wir die Situation, in der wir uns befinden, nicht besser verdienen.“ 21).
Nachdenklich stimmt eine Äußerung von Erwin Chargaff: „Ich denke, man kann sagen, daß die Menschen immer autistischer werden, nach innen gestülpt, aber innen ist nichts.“ 22).
Identität
Nicht nur dem einzelnen fällt es heute immer schwerer, sich mit seiner Lebenswelt abzufinden, sie als die seine zu akzeptieren und eigenständige Antworten auf die Frage zu finden: Wo komme ich her? Wo stehe? Wohin gehe ich? Auch gesellschaftliche Gruppen, Staaten und Nationen haben an diesem Punkt zunehmend Schwierigkeiten. Das gilt auch - und gerade - für uns Deutsche. Die Frage, wer wir heute sind - in Ost ebenso wie in West - scheint für uns Deutsche schwerer zu beantworten als jemals zuvor - und wer wir dann gemeinsam sein können, die „neuen“ Deutschen, das ist ein noch ungelöstes Rätsel. Hier wird es darauf ankommen, daß immer mehr Menschen in die Lage versetzt werden, eigenständig ihrem Leben Inhalt und Richtung zu geben sowie ihrem Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen.
Wenn sich in dieser Entwicklung der einzelne zur sozialkulturellen Persönlichkeit entfalten kann und damit in die Lage versetzt wird, soziale - und das heißt damit auch politische - Verantwortung zu übernehmen, dann stärkt er die Tragfähigkeit der Gesellschaft insgesamt.
Dies ist ein gesellschaftlicher Zusammenhang, der wesentlich hinführt zum Begriff der Identität 23). Es gehört dazu die Erkenntnis, daß ohne die Vergangenheit die Gegenwart ohne Aussagekraft bleibt und die Zukunft ohne Ziel. Niemand wird ein mündiger Bürger, ein verständnisvoller Nachbar und ein opferbereiter Sozialpartner sein, wenn ihm die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht als ein Gemeinsames bewußt sind. Das gilt für den einzelnen wie für die gesellschaftlichen, nationalen und ethnischen Gruppen gleichermaßen.
Die jüngste und umfassendste Bestandsaufnahme politischer Kultur im vereinigten Deutschland stammt von Martin und Sylvia Greiffenhagen. Sie erkennen: „Eine Bevölkerung, welche die Koordinaten ihrer geschichtlichen, kulturellen und sozioökonomischen Existenz nicht kennt, ist eine Gesellschaft von Unmündigen. Die Kenntnis der politischen Kultur des eigenen Landes gehört zu den Lebensbedingungen einer demokratischen Nation. In dem Maße, in dem immer mehr Bereiche unseres Lebens von Politik bestimmt werden, wird politische Orientierung zur unverzichtbaren Voraussetzung persönlicher und politischer Identität“ 24). Nach meiner Auffassung sollte der mündige Bürger auch Kenntnis von den Koordinaten seiner seelischen und ökologischen Existenz haben.
2. Handlungsfelder
Eine erste Auswahl aktueller Handlungsfelder wendet sich bewußt ab von den Schwerpunkten gegenwärtiger Diskussion Arbeit, Wirtschaft, Ökologie und zielt auf Bereiche, die eher am Rande zu stehen scheinen. Kultur und Bildung werden ausgewählt, weil sie Querschnittsfunktionen haben und in besonderer Weise zukunftswirksam sind.
Der gesellschaftliche Diskurs sieht zur Zeit noch fast ausschließlich den Wirtschaftsstandort Deutschland und erörtert die Frage, ob dieser gefährdet sei und wenn, warum das der Fall ist. Die Politik entwickelt Programme zur Sicherung und Stärkung dieses Standortes 25). Kultur und Bildung werden als weiche Standortfaktoren in eine ökonomische Rechnung eingestellt.
Dabei bleibt zweierlei unberücksichtigt:
Einmal sind weder Kultur noch Bildung zu bezahlen - man kann allenfalls ihre Voraussetzungen, ihre wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und ihre Ergebnisse finanzieren, aber auch das oft nur in begrenztem Maße. Zum anderen sind beide zunächst individuelle Prozesse, die sich in der Persönlichkeit eines Menschen ausdrücken, und werden deshalb verfälscht, wenn sie ausschließlich als Faktor in eine ökonomische Rechnung eingestellt werden.
Die zentrale These lautet:
Nicht technische, ökonomische oder ökologische Themen entscheiden über die Zukunft, sondern die Antwort auf die Frage, ob es dem Menschen gelingt, mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit der Umwelt so umzugehen, daß er überlebt.
Deshalb sind Kultur und Bildung die entscheidenden Voraussetzungen für das Überleben des Menschen.
Im Jahre 1973 lag der Hauptversammlung des Deutschen Städtetages in Dortmund ein Bericht als Beratungsgrundlage vor mit der programmatischen Überschrift „Bildung und Kultur als Element der Stadtentwicklung“. In diesem Bericht heißt es, die moderne Stadt sei nicht unvereinbar mit einer persönlichen Umwelt, die die soziale, geistige und kulturelle Entfaltung des Menschen ermöglicht. Die Verbindung von ökonomischen und kulturellen Zielen lasse sich nur erreichen, wenn Bildung und Kultur zu einem unverzichtbaren Element der Stadtentwicklung werden.
Dann folgen diese Sätze:
„... Die Stadt muß als ein Ort begriffen und konzipiert werden, der Sozialisation, Kommunikation und Kreativität ermöglicht. Kultur in der Stadt bedeutet daher,
· die Kommunikation zu fördern und damit der Vereinsamung entgegenzuwirken,
· Spielräume zu schaffen und damit ein Gegengewicht gegen die Zwänge des heutigen Lebens zu setzen,
· die Reflexion herauszufordern und damit bloße Anpassung und oberflächliche Ablenkung zu überwinden.
Eine Kulturpolitik, die diese Ziele verfolgt, muß den kulturellen Bereich gegenüber der Gesellschaft öffnen und ein Kulturverständnis überwinden, das vornehmlich zur Rezeption herausforderte. Eine ihr entsprechende Stadtentwicklung muß dafür sorgen, daß die Schaffung besserer sozialer und kultureller Bedingungen für alle Bürger und die Förderung der Chancengleichheit als wesentliche Entscheidungskriterien in die Gesamtplanung eingehen. ...“ 26).
Ich bezeichne diesen Bericht gerne als die Magna Charta der kommunalen Kulturpolitik in der Bundesrepublik. Hier sind bereits jene Elemente angesprochen, die uns auch heute beschäftigen. Vieles ist seither auf den Weg gebracht worden. Doch wenn es stimmen sollte, daß hier eine tragfähige Grundlage kommunaler Kulturpolitik formuliert worden ist, dann muß sie auch die im Wandel begriffene Kultur unserer Tage auffangen und begleiten, ja stützen und stärken können.
Abkehr von Vereinsamung - hier könnten wir heute die Überwindung der rein subjektivisch geprägten Erlebniswelt durch eine kommunikative Form des Erlebens sehen.
Zwänge des Lebens - werden sie nicht kompensiert durch den langsamen Blick eines John Franklin?
Reflexion - ist sie nicht eine Voraussetzung für gelungene Identitätsarbeit - und schließlich nicht auch deren Folge?
Vor diesem Hintergrund gewinnen die beiden Handlungsfelder zentrale Bedeutung für die Stadtentwicklungsplanung.
Handlungsfeld Kultur
Beschreiben wir Kultur als Lebensgefühl einzelner oder von Gruppen, in dem Lebensinhalte und Lebensziele zum Ausdruck kommen, dann reicht ihre Bedeutung weit über das Wirtschaftliche hinaus. Sie ermöglicht Identität, sie verbindet Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sie gibt der Zeit eine eigene Dimension. Sie ist eine Erfahrung, die Innovation und Kommunikation fördert und stärkt. Von diesem Geflecht unterschiedlicher Formen, mit denen die Menschen ihrem Lebensgefühl Ausdruck verleihen, sind die Produkte zu unterscheiden, die als Ware auf dem Markt gehandelt werden. Als Ergebnisse kultureller Prozesse sind auch sie Ausdruck von Lebensgefühl, gewinnen aber darüber hinaus den Warencharakter, der Handel ermöglicht und sie den Gesetzen von Nachfrage und Angebot, von Hausse und Baisse unterwirft.
Kultur in der Stadt ist zunächst und vor allem Lebensäußerung aller in der Stadt lebenden Menschen und deshalb keinem bestimmten Anbieter oder Nachfrager zuzuordnen.
Wenn diese kulturellen Prozesse den einzelnen oder ganze Gruppen in die Lage versetzt, Verantwortung zu übernehmen und auf diese Weise eine Entwicklung zur sozialkulturellen Persönlichkeit in Gang setzt, dann spreche ich von Soziokultur 27).
Im Rahmen des Handlungsfeldes Kultur werden die Werte der Gesellschaft geprägt, verändert und als Antwort auf künftige Herausforderungen auch neu geformt. Verstehen wir Kultur in dieser Weise, dann müssen die bisherigen Sparten weniger von den Angeboten als von ihren Funktionen her bestimmt und in ihrer Bedeutung für die künftige Entwicklung wesentlich verändert werden.
Zunächst geht es darum, nicht Konsumangebote zu fördern, sondern Anstöße zur Ausbildung eigener Lebensinhalte und -ziele, Ausdrucksformen und eigenständiger Identitäten. Dazu sollte man einige Eigenschaften haben, wie Nadolny sie beschreibt - den gelassenen Blick der Analyse, den durchdringenden, der sich auf das Detail konzentriert, und den umfassenden Blick, der Zusammenhänge erfaßt. Und gerade die Ausprägung einer sozialkulturellen Persönlichkeit gelingt nicht ohne jene Toleranz, die von der Verschiedenheit individueller Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen lebt.
Wenn dies gelänge, wäre das dann nicht ein Ansatz dafür, daß eine Sprache gefunden werden kann, die „der Zeit mit ihren eigenen Kategorien begegnen“ könnte? Kann Zeit künftig eine die Zivilisation der Gesellschaft prägende kulturelle Bedeutung erhalten? Vermutlich gibt es auf diese Fragen noch keine Antwort. Wenn es aber zutrifft, daß die Priorität der ökonomisch bestimmten Geschwindigkeit die Zerstörung der Demokratie bedeutet, dann könnte es sein, daß von der Antwort auf diese Fragen die Zukunft der menschlichen Gesellschaft abhängt.
Dann stellt sich auch die Frage der Ökologie ganz anders - mit dem „Panoramablick“ erkennen wir die Zusammenhänge differenzierter als bisher und unsere Toleranz läßt auch das Unerwünschte zu. So werden wir unseren „Tunnel“ verlassen und freien Blicks in unsere Zukunft gehen.
Die „kommunikative Vernunft“ gewinnt die Bedeutung, die ihr Peter Ulrich zumessen möchte. Er spricht sogar von einer sozialen Verantwortung, die sich dialogisch verwirklicht, z. B. im dialogischen Interessenausgleich, in solidarischer Verantwortung, in emanzipatorischer Kommunikation, in der sogenannten Input-Verantwortung (Entscheiden mit den Betroffenen), im Willen zu vernünftigem Konsens und das alles vor demokratischem Hintergrund 28). Schließlich sieht Ulrich einen Fortschritt zur sozialökonomischen Vernunft 29).
Das gleiche Phänomen beschreibt Gerhard Schulze, wenn er die Erlebnisgesellschaft reduziert sieht auf einen Erlebnismarkt, der nicht den anderen, sondern in einer Entkollektivierung von Wirklichkeitsmodellen nur das einzelne Subjekt anerkennt - auch hier spielt Geschwindigkeit eine verhängnisvolle Rolle. Er gibt der Kultur einer solchen Gesellschaft keine Chance.
Jetzt ist es wichtig, Identität nicht als Schlagwort des Tages zu verschleißen oder als Leerformel wohlfeil dem Ausverkauf zu überlassen, sondern im eingangs beschriebenen Sinne jene Koordinaten zu vermitteln, die der mündige Bürger und eine mündige Gesellschaft brauchen.
Gelänge das, dann könnte Erwin Chargaff nicht mehr feststellen, in den Menschen sei „nichts“.
Fast wie eine Zusammenfassung des Themas klingt nun Ernst Ulrich von Weizsäckers Beschreibung der Kultur einer ökologischen Wohlstandsgesellschaft. Er fordert für sie, daß Natur, Tier und Pflanze einen Wert an sich darstellen und von ihrer Rolle als Ware befreit werden müssen. Eine Ästhetik der Vielfalt, der ökologischen Dauerhaftigkeit, der Langfristigkeit, der Langsamkeit, der Fehlerfreundlichkeit, der bewußten Grenzziehungen einerseits und der weltweiten Zusammengehörigkeit andererseits, der Unverkäuflichkeit, der Eigenarbeit kann zum überlebenswichtigen Merkmal der Kultur im neuen Jahrhundert werden. Viele Dinge und Tätigkeiten werden der monetären Entwicklung wieder völlig entzogen 30).
Was von Weizsäcker hier als ökologische Dauerhaftigkeit bezeichnet, ist als Übersetzung des englischen Ausdrucks „sustainable development“ inzwischen mit dem Begriff der „nachhaltigen Entwicklung“ allgemein in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen. Damit wird eine Entwicklung bezeichnet, die von einem Verhalten des Menschen geprägt ist, das nicht mehr verbraucht und zerstört als sich wieder erneuern und wieder nachwachsen kann.
Es dürfte deutlich geworden sein, daß sich hier neue Einsichten in das Wesen von Kultur und ihrer Funktion für die Gesellschaft ergeben. Nun gilt es, sie sichtbar zu machen und ihre tragenden Strukturen einzubringen in die aktuelle Auseinandersetzung. Ansätze sind dafür bereits vorhanden.
Das Augenmerk der Verantwortlichen richtet sich auf die Vielfalt kultureller Prozesse in der demokratischen Gesellschaft, die zu stärken und zu fördern Voraussetzung für ihre Kraft ist, zu überleben.
Fassen wir das alles in einem Bild zusammen, dann könnte man Kultur als den Mörtel bezeichnen, der die Verbindung zwischen den unterschiedlichen Elementen herstellt oder von den Muskeln sprechen, die einen Menschen koordiniert und zielgerichtet Bewegungen vollziehen läßt.
Bildung
Ich gehe davon aus, daß nicht eine Anlage oder seine Umwelt den Menschen von vornherein bestimmt, sondern daß das erst geschieht im Verlaufe eines vielfältigen Prozesses, in dem sich der Mensch mit seinen Antrieben und Bedürfnissen an der Welt orientiert und sich mit ihr auseinandersetzt, weil er sich selbst zugleich mit der Welt in den Griff bekommen muß 31). Weiterhin verstehe ich Bildung in ihren Elementen als Erziehung auf dem Wege methodischer Planung, als Entfaltung von Fähigkeiten und die Entwicklung von Fähigkeiten bis zu dem jeweiligen Individuum erreichbaren Optimum 32.
Bildungsarbeit wird verstanden als gestaltende Einflußnahme im Sinne eines Angebots von außen und der Bereitschaft von innen zum Dialog über das Sein des einzelnen wie der Menschheit in ihrer Geschichte. Je umfassender, gründlicher und lebendiger die geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte des einzelnen dafür entwickelt werden, desto günstiger sind die Voraussetzungen für Bildung. Emanzipation, Mündigkeit und Individualität des Menschen sind Ziele, die mit Bildungsarbeit angestrebt werden. Allerdings kann Bildung zwar von außen befördert, aber nur vom Subjekt selbst verwirklicht werden, indem es sich zu sich selbst und zu seiner Umwelt in kritische Distanz stellt. Die Würde des Menschen verbietet jede Funktionalisierung des Menschen für äußere Zwecke. Schließlich ist noch auf den engen Zusammenhang von Bildung, Kultur und Lebenswelt hinzuweisen, die untereinander in Wechselbeziehung stehen 33).
Für unseren Zusammenhang ist das deshalb von Bedeutung, weil diese Beschreibung der Ausgangslage auch das Verständnis von Bildung für die vorliegende Arbeit klärt.
Die Komplexität der modernen Lebenswelt schlägt sich in den Anforderungen an die Bil-dung nieder. Die Gefahr der Funktionalisierung ist nicht erkannt, wenn im gesellschaftlichen Konsens Bildung weiterhin als Qualifizierungsmittel und Instrument zur qualitativen Verbesserung der Marktchancen verstanden wird. Hier müßte deutlich unterschieden und Transparenz hergestellt werden. Deshalb scheint mir diese differenzierte Darstellung wichtig, um das Verständnis für die Zusammenhänge zu erhöhen.
Von Bildung unterscheiden müssen wir das Wissen, das auf Beobachtungen, Kenntnisse und Einsichten über vielfältige Wissensbereiche zielt und eine Voraussetzung für bewußte Lern-, Denk- und Problemlösungsprozesse ist, von denen aus ein Individuum die Welt interpretiert und auf sie verändernd einwirkt. Der Erwerb von Wissen ist nicht nur von kognitiven Faktoren, sondern auch von motivationalen und sozialen Faktoren abhängig.
Auf der Weitergabe des erworbenen Wissens beruht die kulturelle Tradition und die Geschichte der Menschheit. Der Wissensbestand der Menschheit versetzt den Menschen in die Lage, seine eigene Entwicklung zu verstehen und auf dieser Grundlage seine Zukunft zu gestalten. Eine der schwierigsten Aufgaben der Didaktik ist es, das vorhandene Wissen so zu elementarisieren, daß der Erwerb von Allgemeinbildung in der Schule noch möglich ist 34).
Wir sehen, daß auch Bildung einen Maßstab braucht, um bewerten und auswählen zu können.
Schließlich kommt die Zeit ins Spiel. Wissen veraltet immer schneller - zumindest sind Fakten- und Methodenwissen häufig schnell überholt. Dagegen gewinnt Orientierungswissen zunehmend an Bedeutung. Was versetzt mich in die Lage, meine eigene Entwicklung zu verstehen und meine Zukunft zu gestalten? Hier müssen neue Maßstäbe her, damit wir den uns bevorstehenden Herausforderungen gerecht werden können. Ein angemessenes und tragfähiges Verhältnis zwischen Aktualität und Kontinuität des Wissens muß gefunden werden, das den Fortgang der Entwicklung sichert.
Es genügt zweifelsohne nicht, das Faktenwissen sektoral zu kürzen, Methodenwissen auf die jeweils jüngsten, aktuellen Schwerpunkte zu konzentrieren und Orientierungswissen an wenigen traditionellen Werten zu kristallisieren.
Vor dem Hintergrund des bisher Gesagten müssen die Koordinaten unserer Existenz neu definiert werden. Es sollte eine Chance geben, die Komplexität der Lebenswelt auch dann zu akzeptieren, wenn wir sie nicht vollständig verstehen können und unsere eigenen Koordinaten so zu bestimmen, daß etwas von jener Komplexität in Ansätzen spürbar bleibt. Dann kommt es darauf an, die Koordinaten, deren Kenntnis die Bevölkerung in die Lage versetzt, verantwortlich zu handeln, hinreichend konkret zu benennen. Das ist nun nicht mehr eine Aufgabe der Didaktik allein. Hier sind alle gesellschaftlichen Disziplinen aufgefordert mitzuwirken. Bildung schafft die Voraussetzung dafür, daß das überhaupt gelingen kann.
Habe ich für die Kultur das Bild vom Mörtel oder dem Zusammenspiel der Muskeln gebraucht, so möchte ich Bildung mit einem Transportsystem vergleichen, mit dem die vielfältigen Elemente von Wissen und Erfahrungen in einer modernen Gesellschaft vermittelt werden. Es muß so beschaffen sein, daß auch moderne Transportmittel ihren Weg und ihr Ziel finden, zugleich aber die lebens- und überlebensnotwendigen vor den weniger wichtigen Vorfahrt haben.
Bildung entscheidet über Inhalte, Wissensgegenstände und Kenntnis gesellschaftlicher Koordinaten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dies sind die wichtigen Funktionen der Bildung als einem zentralen Handlungsfeld in der Stadtentwicklungsplanung - und darüber hinaus.
3. Bewertungen
Die folgenden Hinweise sind Konsequenzen aus dem bisher dargestellten Sachverhalt. Sie zeigen eine Richtung auf, bedeuten also nicht, daß bisherige Maßstäbe überholt sind. Es hat auch mit der Komplexität unserer Welt zu tun, daß wir das Vorhandene nicht aufgeben können und uns dennoch auf das Neue einlassen müssen.
In letzter Abstraktion meint der Begriff der Komplexität die Einheit des Mannigfaltigen. Die Einsicht, daß es nicht möglich ist, einen mehrdimensional zu messenden Sachverhalt ohne Informationsverlust zur Einheit zu aggregieren, hat zu der Vorstellung geführt, Mannigfaltigkeit als Einheit zu nehmen. Auf diese Weise entgehe ich der Notwendigkeit, im Zuge der Aggregation des Mannigfaltigen zu entscheiden, für welche Zwecke ich welche Aggregationsweise wählen und welche Informationsverluste ich in Kauf nehmen kann. Verstehen wir Komplexität also als Ausdruck der Tatsache, daß eine Vielheit wirksam wird. In diesem Sinne wird der Begriff Komplexität für systemtheoretische Analysen wie auch in der Informationstheorie verwandt. In jedem Falle sind relationierende und limitierende Entscheidungen notwendig. Auch in der soziologischen Gesellschaftstheorie hat der Versuch, das Eine mit dem Vielen zu versöhnen und das auf der Grundlage einer Rekonstruktion gesellschaftlicher Komplexitätserfahrungen, zu keinem Erfolg geführt.
Wird Komplexität dagegen als Abstraktion akzeptiert und verstanden als ein Instrument, um einem Sachverhalt gerecht zu werden, der sich konkreten Begriffen entzieht, dann entfällt die Notwendigkeit, das Eine mit dem Vielen zu versöhnen oder die Perfektion der besten der möglichen Welten zu erzielen durch Kombination von Ordnung und Varietät. Komplexität bleibt abstrakt, weil sie die Erfahrung des Wechsels der Komplexitäts-Bezüge im Alltag des gesellschaftlichen Lebens reflektieren muß 35). Nach diesem philosophisch-wissenschaftstheoretischen Exkurs, den ich Niclas Luhmann verdanke, kehre ich zu unserer Fragestellung zurück.
Mir scheint, daß nur ein solcher Weg gangbar ist, der Offenheit zuläßt und Relationen nicht als stabiles, sondern als das Zusammenspiel dynamischer Systeme begreift. Vielleicht könnten Wissenschaftler jenen Graben überwinden helfen, der es dem Praktiker erschwert, im Sinne Luhmanns, „die Komplexitäts-Bezüge im Alltag des gesellschaftlichen Lebens zu reflektieren“. Wie in anderen Fällen auch, sind die Praktiker aber gefordert, zu entscheiden. In der Stadtentwicklungsplanung geht es darum, heute die Voraussetzungen für jenes Instrumentarium zu schaffen, mit dessen Hilfe die Entscheidungen für die Zukunft getroffen werden. Mein Vorschlag geht deshalb dahin,
· einmal, den Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis zu intensivieren und dieser Fragestellung verstärkt Gewicht beizumessen,
· zum anderen aber, in Kenntnis dieser Zusammenhänge und im Vorgriff auf mögliche Verbesserungen auf diesem Wege, das bereits heute Mögliche in Angriff zu nehmen.
Für die folgenden Hinweise bedeutet das, daß mit jeder Anwendung zu prüfen bleibt, ob und in welcher Weise das Neue das Alte ersetzt, ergänzt oder weiterführt.
Vor fünf Jahren kam der amerikanische Sozialwissenschaftler Richard Sennett zu der Erkenntnis: „Es gibt heutzutage bedrückende Anzeichen dafür, daß die auf eine organische Einheit zielenden Einstellungen zur Welt nicht in die Wahrnehmung der Komplexität und in die Auseinandersetzung mit ihr münden.“ 36). Er tritt ein für das Offenhalten der Unterschiede und für die Bereitschaft, mit ihnen zu leben.
Es hat mit dem Mangel zu tun, von dem Sennett spricht, wenn die Hauptthese dieser Arbeit den Umgang des Menschen mit sich selbst, mit seinesgleichen und mit der Umwelt als Überlebensfrage benennt. Deshalb soll hier der Versuch einer solchen Auseinandersetzung unternommen werden.
An einigen Schwerpunkten werde ich aufzuzeigen versuchen, in welcher Richtung Maßstäbe verändert werden müssen, wenn wir heute Entscheidungen treffen, die auch künftig noch tragfähig sein sollen.
Nachhaltigkeit
Nicht mehr zu gebrauchen und zu verbrauchen als sich wieder erneuert und als nachwachsen kann, ist ein Grundsatz. Im Einzelfall wird es immer wieder zu Kompromissen und zu Ausnahmen kommen. Viel wäre aber schon erreicht, wenn dieser Grundsatz allgemein anerkannt und auf alle Lebensbereiche angewandt werden könnte. Er betrifft nämlich nicht nur die sogenannte „natürliche“ Umwelt, sondern die soziale ebenso wie den Menschen als Individuum selbst.
Das Kürzel „UVP“ steht bei Planern für „Umweltverträglichkeitsprüfung“ und bezeichnet jenen Vorgang, mit dem Projekte daraufhin geprüft werden, ob und in welchem Umfang sie Belastungen für die Umwelt darstellen oder zur Folgen haben.
Für die Nachhaltigkeit könnte ich mir ein ähnliches Prüfinstrument vorstellen, das aber eher als eine „Nachhaltigkeitsbilanz“ ein Projekt daraufhin untersucht und bewertet, in welchem Ausmaß es Ressourcen einschließlich der Kräfte von Menschen und ihrer Kreativität ver-braucht (konsumiert) und andererseits ge-braucht (freisetzt), um Erneuerungsprozesse in Gang zu bringen. Im Bereich von Kultur und Bildung könnte man z. B. jenen Teil, der den Apparat verwaltet, danach überprüfen, mit welchen Anteilen er unmittelbar Freiräume eröffnet sowie Erneuerungen ermöglicht und mit welchen Anteilen er formalen Kategorien oder verwaltungsinternen Vorgaben Rechnung trägt. Man wird auch kommerzielle Angebote, die sich selbst tragen, anders bewerten als jene, die nur entstehen können, wenn Kommunen etwa oder andere Mäzene ihnen ausreichend Freiräume eröffnen. Hier müßte noch näher eingegangen werden auf die Thematik und diese Sichtweise näher untersucht werden, bevor man zu einem anwendungsfähigen Instrument kommt. Dabei sollte auch der Aspekt der Effizienz, der Wirksamkeit von Projekten eine Rolle spielen und in eine solche „Nachhaltigkeitsbilanz“ eingebracht werden.
Auch hier sei wieder an Sten Nadolny erinnert und daran, daß wir wohl alle eine angemessene Komposition der verschiedenen Blicke des John Franklin benötigen - den langsamen Blick (Analyse), den starren Blick (Detail), den Panoramablick (Zusammenhänge). Besonders für die Handlungsfelder Kultur und Bildung gilt jedoch, sich stets von neuem zu vergewissern, daß wir jene Toleranz üben, die mit den verschiedenen individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen lebt.
Ökonomische Tragfähigkeit
Die Erkenntnis, daß wir auf Dauer nicht über unsere Verhältnisse leben können, gilt zwar für alle Lebensbereiche, ist aber auf dem Gebiet der Wirtschaft im ökonomischen Prinzip zu einem Grundsatz von Wissenschaft und Praxis geworden. Mit gegebenen Produktionsfaktoren soll ein Optimum an Nutzen erzielt werden. Mit begrenzten Mitteln wird ein Höchstmaß an Erfolg erreicht.
Der Gesichtspunkt der Tragfähigkeit stellt nun darauf ab, daß man nicht einen größeren Nutzen, oder einen höheren Zweck anstreben sollte, als man mit gegebenen Mitteln tatsächlich erreichen kann. Man sollte nur ausgeben, was man hat - und jede Mark nur einmal. Was auf den ersten Blick einleuchtet, beschreibt aber längst nicht mehr die Realität unserer Tage. „Fund-raising“ ist ein Weg, für vorhandene Projekte Gelder zusammenzubringen. Eine unübersehbare Vielfalt unterschiedlicher Finanzierungswege, einschließlich der Abschreibungsmöglichkeiten und Einwerbung von Fördermitteln sowohl von den öffentlichen Händen als auch von der Wirtschaft haben gemeinsam mit der Gleichsetzung von Wünschen mit Zielen die Grenzen ökonomischer Tragfähigkeit oft verschwimmen lassen. Vielleicht hat auch die Vermischung oder gar Verwechslung kultureller Werte mit dem Marktwert zu Ansprüchen geführt, die mit der Realität wenig mehr zu tun haben.
Der Grundsatz der ökonomischen Tragfähigkeit besagt, daß nur realisiert wird, was man bezahlen kann. Wenn man in den Handlungsfeldern hier an Grenzen stößt, müßten Kreativität und Innovationsbereitschaft gefordert werden, um das Ziel zu erreichen ohne den ursprünglich für notwendig gehaltenen Mitteleinsatz. Projekte auf diesen Handlungsfeldern dürfen nicht die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Gesellschaft übersteigen.
Die Anwendung dieses Grundsatzes bedeutet aber auch, daß Kultur und Bildung zu anderen Handlungsfeldern in eine Relation gesetzt werden, die eine sachgerechte Abwägung ermöglicht.
Die Stellung von Kultur und Bildung dürfte sich im Zusammenhang gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen verändern und im Verein der Vernetzung mit anderen Handlungsfeldern auch Synergieeffekte erzielen, die neue Möglichkeiten eröffnen.
Soziale Balance
„Der deutsche Sozialstaat galt einmal als vorbildlich. Heute ist er in eine schwere Krise geraten. Gefragt sind innovative Konzepte. Aber gegenwärtig sind keine in Sicht. Was heute unter dem Stichwort Umbau des Sozialstaats diskutiert wird, ist kein Umbau, sondern ein Rückbau des sozialen Sicherungssystems, der in nie dagewesener Weise einseitig die sozial Schwächsten belastet. Das ist eine schlimme Entwicklung und wenig Anlaß zur Hoffnung, daß der deutsche Sozialstaat seiner doppelten Aufgabe künftig besser als gegenwärtig gerecht werden kann: „allen Bürgern ein menschenwürdiges Dasein zu sichern“ und „gleiche Voraussetzungen für die freie Entfaltung der Persönlichkeit zu schaffen“ (§ 1 des Sozialgesetzbuches) 37). Haben die beiden Greiffenhagen diese Bilanz noch in ihrem Kapitel „Hinkender Sozialstaat“ gezogen, so spricht ein Jahr später der Oberbürgermeister von Pforzheim, Joachim Becker, bereits vom „erschöpften Sozialstaat“ 38).
Für die Handlungsfelder Kultur und Bildung bedeutet diese Bestandsaufnahme, zur Kenntnis zu nehmen, daß immer weniger Menschen in der Lage sind, aus eigenen Kräften Bildungs- und Kultur-Initiativen zu ergreifen, oder Angebote zu nutzen. Ursache dafür sind nicht nur Einkommensbeschränkungen, die die entstehenden Kosten nicht mehr decken können, sondern auch die Ausgrenzungseffekte, die mit einer Reduzierung des Einkommens verbunden sind. Man spricht von einer Einkommens- und einer Lebenslagenarmut 39).
Es dürfte zu prüfen sein, auf welche Weise und für welche Sparten ein freier Zugang zu Informationen und kultureller Betätigung gesichert werden sollten. Auch eine Nachhaltigkeitsbilanz könnte hier hilfreich sein, wenn damit etwa die zeitlichen und Vorbildungs- wie auch Erfahrungsressourcen z. B. von Arbeitslosen und Rentnern für den gesamtgesellschaftlichen Prozeß aktiviert werden könnten. Man sollte in die Überlegungen auch den Aspekt einer sachgerechten Partizipation einbeziehen, der auf eine solche Weise unterstützt würde.
Auf diesem Gebiet ist noch viel zu tun. Voraussetzung ist eine umfassende und unvoreingenommene Bestandsaufnahme sowie eine Analyse, die unerwünschte Ergebnisse nicht ausklammert.
Hier müssen neue Maßstäbe gesetzt werden. Die Erhaltung der sozialen Balance ist eine unverzichtbare Voraussetzung für eine tragfähige Gesellschaft. Kultur und Bildung können und müssen nach dem bisher vorgetragenen Verständnis erhebliche Beiträge dazu leisten. Von ihrer Funktion her sind sie an alle Bevölkerungsgruppen verwiesen, um ihnen die Wege zu eröffnen, sozialkulturelle Kompetenz zu erwerben, verstärkt auszubilden und in die gesellschaftlichen Prozesse einzubringen. Die künstlerische Avantgarde hat schon immer Ausdruck für Lebensinhalte und -ziele gefunden, der anderen versagt war.
Künftig muß verstärkt die Begegnung gesucht werden, um entweder ein Grundmaß des Verständnisses füreinander zu gewinnen - John Franklins besondere Blicke - oder aber um die Toleranz zu entwickeln, die individuell unterschiedliche Entwicklungen zuläßt.
Neue Dimension des Raumes
Zwei Schlagworte kennzeichnen das Bewußtsein am Ende dieses Jahrhunderts. Sie sind für die Bewertung des Raumes entscheidend: „Grenzen des Wachstums“ und „Global 2000“ beschreiben die Erschöpfbarkeit der Ressourcen auf dieser Welt und die gemeinsame Verantwortung aller Menschen für deren weltweite Verwendung. Auf der Grundlage umfassender Simulationsrechnungen wird hier in zwei verschiedenen Berichten (1972 und 1980) dargestellt, wie lange die Vorräte ausreichen und was die Menschen tun müssen, um sie zu schonen 40).
Einer interessierten Öffentlichkeit eröffnet sich hier erstmals der berechenbare Blick in eine weitere Zukunft. Die Welt beginnt zu schrumpfen. Die Probleme hängen offensichtlich sehr viel enger zusammen, als bis dahin angenommen wurde. Auch die Katastrophe von Tschernobyl (1986) läßt diese Erfahrung deutlich werden. In derartigen Notfällen hat sich im Einzelfall immer wieder gezeigt, daß die Welt ökologisch oder sozial kleiner geworden ist und die Menschen näher aneinandergerückt sind. Bewußtsein und Identität trennen sie aber im übrigen mehr als sie verbindet. Wir erleben hier die doppelte Funktion des Raumes, wie William James sie beschrieben hat - einmal verbindend und zum anderen trennend.
Aber nicht nur im Weltmaßstab hat sich die Dimension des Raumes verändert. Die „Grenzen des Wachstums“ gelten auch für die Möglichkeiten vieler Städte, ihren Einwohnern ausreichend Wohnungen und Arbeitsplätze zur Verfügung zu stellen. Ja, manche sehen das Ende der Urbanisierung nach dem Jahre 2000 in Sicht - und meinen damit, daß die bislang wachsende Bedeutung der Städte nachläßt 41).
Eines ist sicher, die Ballungskerne ziehen mehr Menschen an als dort ausreichend unterkommen können. Die ersten Prognosen zeigen rückläufige Bevölkerungsentwicklungen in den Ballungskernen, Bevölkerungswachstum in den Ballungsrandzonen 42).
Es gibt noch eine andere Begründung dafür, daß der Stadtraum einen Bedeutungswandel erfährt. Die alte Stadtsolidarität hat sich aufgelöst in den gesamtgesellschaftlichen Institutionen der Versicherungen und der öffentlichen allgemeinen Daseinsvorsorge. Arbeit, Raum und Zeit beginnen, sich zu entkoppeln; damit verliert der Raum zugunsten der Zeit an existentieller Bedeutung. Die Folge ist die Auflösung der Stadt von ihrer Peripherie her. Diese räumlich-funktionale Auflösung der Stadt bedeutet zwar einerseits einen unwiederbringlichen Gestaltverlust, andererseits aber auch, daß sich die räumlich-funktionalen Zwänge gelockert haben und die Stadt damit im Grunde an Gestaltungsfreiheit und Offenheit gewonnen hat. Wenn wir es wollten, könnten wir die Stadt unter soziokulturelle Bedingungen stellen. Natürlich müßten wir dabei die allgemeinen wirtschaftlichen Grenzen beachten. Das gelänge aber nur, wenn wir überzeugende Ziele für eine solche soziokulturelle Politik fänden. Doch dafür finden sich wenig Anzeichen. Die neuen „Freiheiten“ der Stadtgestaltung schlagen sich einerseits in einer ästhetischen Verherrlichung und Überhöhung der kapitalistischen Dynamik nieder oder führen zu nostalgischer Rückbesinnung auf die vorindustrielle Zeit. Es wird aber bereits erkannt, daß nur in gemeinsamer Verantwortung von Städtebau, Sozial- und Kulturpolitik ein neuer soziokultureller Gestaltungsspielraum gewonnen werden kann. Strukturwandel und Modernisierung der Gesellschaft haben Defizite erzeugt, die zu benennen wären. Drei Defizite und Gefahren seien hier beispielhaft genannt:
· Defizit an alltäglicher Realitätserfahrung.
· Defizite an Entfaltungsraum für ökonomisch und sozial benachteiligte Randgruppen.
· Gefahren von Katastrophen ökologischer und ökonomischer Art.
Wir brauchen die Stadt als Feld der einfachen, alltäglichen Wirklichkeitserfahrung, als Kompensation für den Verlust an konkreter Realität, spontaner Begegnung und Sinneserfahrung, der notwendig mit arbeitsteilig-abstrakter Arbeit verbunden ist.
Wir brauchen die Stadt aber auch als Ort mit Raum für ganzheitliche Lebensentwürfe für ökonomisch benachteiligte oder aus anderen Gründen weniger mobile Bevölkerungsgruppen. Wir brauchen nicht zuletzt eine Stadt, die weniger katastrophen- und krisenanfällig ist, mit mehr Spielraum und mehr unmittelbarem Naturerlebnis als einen Ort, der sich weniger schadenstiftend in die Naturkreisläufe einfügt und mit den Ressourcen auskommt, die ihm zustehen 43). Diesen von Thomas Sieverts auf dem Cappenberger Gespräch des Jahres 1993 in Münster vorgetragenen Gedanken über die Zukunft der europäischen Stadt muß nun noch eine andere Überlegung folgen.
Europa wächst zusammen, die Nationalstaaten verändern sich, ein neues Bewußtsein für die Region, in der man lebt, entsteht. Es gibt auch praktische Gründe, die den Regionen neues Gewicht geben. Von Brüssel zu den Gemeinden ist ein zu langer Behördenweg - es muß unmittelbare Verbindungen geben. So verlagert sich ein Schwerpunkt der Entwicklung deutlich, wenn auch erst noch allmählich von den Städten auf die Regionen. Die Region gewinnt als Raum eigene Bedeutung und erfüllt Identifikationsfunktionen. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, daß seit einem Jahr ein „Gesetz über die Kulturräume in Sachsen“ gilt, nach dem es in Sachsen acht Kulturräume und drei Kulturstädte gibt 44).
An dieser Stelle lassen sich die vielfältigen Aspekte räumlicher Dimension und ihrer Veränderung zum Ausgang dieses Jahrhunderts nicht annähernd darstellen. Aber diese Hinweise dürften ausreichen, um erkennen zu lassen, daß räumliche Konzeptionen erneuert werden müssen - und daß Kultur und Bildung dabei eine entscheidende Rolle spielen werden.
Schließlich sollten die unterschiedlichen Einwirkungen auf die Raumentwicklung nicht unterschätzt werden. Sowohl die Produktionstechnologien als auch die Zeitstrukturen, etwa Arbeits-, Betriebs-, Freizeit oder etwa die Maschinenzeit wirken auf die Nutzung des Raumes ein und verändern sie 45).
Konkret bedeutet diese Entwicklung, daß Entferntes näher rückt und Nahes eine neue Identität gewinnt.
Begegnungen, Netzwerke und Kommunikationswege aller Art müssen erprobt, installiert und auf breiter Basis etabliert werden, d. h. nutzbar für alle und jeden. Unfähigkeit und Unkenntnis dürften die häufigsten Ursachen für Gewaltausübung und Diskriminierung gegenüber Fremden und für den weltweit verbreiteten Mangel an Solidarität sein. Der von Schulze beschriebene Rückzug auf die eigene Subjektivität fördert diesen Zustand und erschwert Identitätsarbeit, die in einer Zeit grundlegenden Wandels notwendig ist. Hier stellen sich nicht nur neue und wichtige Aufgaben in den beiden Handlungsfeldern - es sind darüber hinaus Hinweise zu erkennen, daß die Bewertung beider Handlungsfelder im gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu überprüfen ist.
Neue Kategorie Zeit
„Time is money“ 46) ist das Motto des beginnenden Industriezeitalters. Im ersten Drittel unseres Jahrhunderts entsteht die Erfahrung des Menschen, im Massenzeitalter könne man an mehr Orten sein als früher, Ankunft und Abreise öfter genießen und in kürzere kosmische Zeit mehr gelebte zusammendrängen 47).
Die Zahl der Veröffentlichungen zum Thema Zeit hat um die Mitte der 80er Jahre deutlich zugenommen. Von der „Entdeckung der Langsamkeit“ (1983) war schon die Rede. Die Erfahrung, daß es im sozialen Leben auch eine biographisch bestimmte Eigenzeit gibt, die jeder Mensch in sich trägt, führt zu der Erkenntnis, daß es eine gesellschaftliche Aufgabe sein könnte, die Eigenzeiten der Menschen zu koordinieren. Diese Aufgabe aber kann nicht individual-psychologisch, sondern muß auch sozial und politisch verstanden werden 48). Man wird dabei darauf achten müssen, daß nicht weite Teile der Bevölkerung zeitlich zurückgelassen werden.
Ich will mich bewußt auf diesen Gesichtspunkt beschränken und auf die Aspekte Lebenszeit, Weltzeit, Tiefenzeit, Gleichzeitigkeit und Ungleichzeitigkeit sowie auf die Wechselwirkung von Zeitstrukturen auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht eingehen, weil das den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde. Dennoch scheinen mir die Erkenntnisse aus diesen Entwicklungen insgesamt wichtig für die Handlungsfelder Kultur und Bildung sowie für deren Neubewertung im gesellschaftlichen Zusammenhang.
Notwendig ist aber, das Verhältnis von Zeit zur Stadtentwicklungsplanung näher zu betrachten. Das Deutsche Institut für Urbanistik - Difu - in Berlin hat in den Jahren 1988/89 in zwei Veröffentlichungen das Thema bearbeitet. Zunächst wurde ganz von der Verwendung her die Frage nach der Auswirkung von Arbeits-, Betriebs- und Freizeit auf die Entwicklung des Raumes gestellt 49). An erster Stelle der Ergebnisse ist festzuhalten, daß die Entwicklung des Raumes in engem Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung steht. Zeitveränderungen haben quantitative und qualitative Aspekte. Sie gilt es, künftig verstärkt in Planungsprozessen zu berücksichtigen, sowohl inhaltlich, etwa bei der Zielformulierung, aber auch verfahrensmäßig, etwa bei der Etablierung von Partizipationsverfahren.
Im Jahr darauf stellt sich das Thema konkret als eine Analyse von „Zeitstrukturen und Stadtentwicklung“. Im Schlußkapitel „Planung und Zeit“ werden drei Planungsaspekte beschrieben, Planung der Zeit, Planung mit der Zeit und Planung in der Zeit. Nur an einer Stelle erscheint ein inhaltliches Thema der Stadtentwicklungsplanung - und das ist die Kultur. Hier wird von der Erhaltung traditioneller Zeitmuster, der Sicherung von zeitlicher Identität, Sicherung von Zeitwohlstand und von lokaler Identität gesprochen. Nicht zuletzt hat auch die Verwendung von Freizeit einen kulturellen Aspekt 50).
Eine neue Dimension der Zeit entsteht auch durch die veränderte Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Hier wird das Strukturmuster von Eigenzeit und Fremdzeit in hohem Maße wirksam und erfordert eine spezifische Form von Vernetzung. Es entstehen Zeitklammern und Zeitknoten als Formen von Zeitrestriktionen und Zeitoptionen, denen sich Frauen in besonderer Weise ausgesetzt sehen 51).
Als Ergebnis halte ich fest, daß Zeit nicht mehr funktionalisiert werden darf, sondern vielfältig eingeführt werden muß in das komplexe Geschehen der Stadtentwicklungsplanung und in ihrer gesellschaftlichen Funktion sowohl Objekt wie Instrument der Beobachtung und der Analyse sein sollte.
Identität
Ich greife zurück auf die eingangs gestellten Fragen „Woher?“, „Wo?“ und „Wohin?“, die sich zusammenfassen lassen in die eine Frage „Wer bin ich?“. In der Vergangenheit hat es weitgehend gesellschaftliche Rahmenbedingungen, Normen, Konventionen gegeben, die auf diese Frage zumindest Teilantworten zuließen. Als Folge der jüngsten Entwicklungen und der Veränderungen, die hier in einigen Schwerpunkten beschrieben wurden, lassen sich diese Antworten so nicht mehr geben. Die historischen Brüche erschweren es nicht nur den Deutschen zu erkennen und zu akzeptieren, wer sie heute nun gemeinsam sind und künftig sein werden. Bis in die aktuelle Politik hinein fällt es ja auch unter diesem Aspekt schwer, Ziele zu formulieren. Auch im Osten hat eine Auflösung der Identität eingesetzt, an deren Stelle neue treten müssen. Die Etablierung der Europäischen Union stellt eine weitere Frage nach einer neuen, vielleicht einer zusätzlichen Identität. Der „Unionsbürger“ ist Gegenstand der Maastrichter Verträge 52).
Richard Münch beschreibt den Weg zu einer europäischen Gesellschaft in fünf Kapiteln mit den bezeichnenden Überschriften Identität, Ökonomie, Politik, Solidarität und Kultur. Er versucht aufzuzeigen, unter welchen Voraussetzungen sich eine europaweite kollektive Identität entwickelt 53).
Hier soll nur auf diese Fragestellung hingewiesen und eine praktische Konsequenz angesprochen werden. Im Rahmen verschiedener Fördermaßnahmen vergibt die Europäische Union Mittel an Träger von Maßnahmen oder auch an Kommunen unter der Voraussetzung, daß zwei Partner an dem Projekt beteiligt werden, von denen einer Mitglied der Europäischen Union sein und ein anderer in einem bestimmten geförderten Staat liegen muß, das kann auch ein osteuropäischer Staat sein 54). Bestünde die angesprochene kollektive Identität schon, wäre es relativ leicht, entsprechende Partner zusammenzubringen. So aber gelingt es vorerst nur wenigen, die Chance solcher Zusammenarbeit zu nutzen und auf diese Weise den Weg zur kollektiven Identität der Europäer zu beschreiten.
Münch spricht von Kultur in ihrer Funktion als Legitimation gemeinsamen Handelns und beschreibt ihre Globalisierungstendenzen. In einem europäischen und globalen Kulturraum gewinnt die Anerkennung von Bürger- und Menschenrechten an Bedeutung, wird aber auch die kulturelle Artenvielfalt reduziert. Ein europaweiter und globaler Kulturmarkt prägt in zunehmendem Maße die Kultur. Als eine weitere Erscheinung zeigt sich verstärkt das Bild einer multikulturellen Gesellschaft, allerdings unter der Vorherrschaft einer universalistischen Einheitskultur. In einer Konsequenz seiner Untersuchungen kommt Münch zu dem Ergebnis: Je heterogener die einzelkulturellen Weltsichten sind, um so weniger wahrscheinlich werden einvernehmliche Lösungen. Je mehr das Zusammenwachsen Europas europaweite Probleme schafft, um so mehr wird man die zentrale Entscheidungsmacht stärken müssen und um so weniger politische Teilnahme wird zu verwirklichen sein, weil diese eher auf dem niedrigeren regionalen und lokalen Ebenen möglich ist 55).
Von Zeitidentität war bereits an anderer Stelle die Rede. Zeit am Ausgang des 20. Jahrhunderts beginnt, sich mit anderem Inhalt zu füllen, neue Funktionen zu übernehmen und zunehmend eigene inhaltliche Qualität zu gewinnen.
Transparenz und Konsens
Auch zu diesem Begriffspaar kann der europäische Einigungsprozeß Anschauungsmaterial liefern. Die Verträge von Maastricht waren paraphiert und auf dem Weg, in den Mitgliedstaaten bestätigt zu werden. Doch bereits im ersten Verfahren erleben die Politiker eine unerwartete Reaktion. In einer Volksabstimmung lehnen die Dänen den Beitritt zur Europäischen Union ab. Zwei Dinge fehlten. Einmal war für den Durchschnittseuropäer nicht zu erkennen, wie die wesentlichen Strukturen dieses neuen Europa aussehen sollten. Es ging immerhin um Außen- und Sicherheitspolitik, Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik. Mit gewisser Berechtigung befürchtete er, daß mit der Stärkung Europas das demokratische Element zunehmend zurückgedrängt würde. Ich möchte daran erinnern, daß für Fukuyama das Ende der Geschichte durch die liberale Demokratie gekennzeichnet wird, also einer Gesellschafts- und Staatsform von herausragendem Wert. Zum andern wurde deutlich, daß die verantwortlichen Politiker über die fehlende Transparenz hinaus versäumt hatten, den erforderlichen Konsens in der Bevölkerung aller Mitgliedstaaten anzustreben.
Kurt Biedenkopf erklärte einmal, Antworten auf nicht gestellte Fragen würden nicht verstanden und seien deshalb mit Sicherheit auch nicht zustimmungsfähig. Vor allem unter demokratischen Bedingungen lasse sich nichts gestalten, was die Menschen nicht begreifen können 56).
In Lissabon haben die Verantwortlichen die Konsequenzen gezogen. Die Europäische Union ist inzwischen Realität - und seit Januar 1995 hat sich die EU um drei weitere Mitgliedstaaten erweitert.
Für unseren Zusammenhang gilt aber jetzt, daß Transparenz und Konsens unverzichtbare Voraussetzungen für jede fortschreitende Entwicklung sind und daß eine Vernachlässigung eines der beiden Grundsätze auf Dauer schwerwiegende Folgen haben kann. Hinzu kommt die Konsequenz dessen, was ich den Glucksmannschen Tunneleffekt nennen möchte. Schein-Transparenz und Schein-Konsens werden in entwickelten demokratischen Industriegesellschaften am Ausgang des 20. Jahrhunderts als solche erkannt und führen zu schweren gesellschaftlichen Verwerfungen. Auch hier sind neue Dimensionen zu erkennen.
Partizipation
Die Beteiligung Betroffener und Beteiligter an Entscheidungen ist ein allgemeines demokratisches Prinzip. Es ist im Zuge einer arbeitsteiligen, hochentwickelten Industriegesellschaft in Verbindung mit der Verbreitung einer repräsentativen Demokratie etwas in den Hintergrund getreten bis es Anfang der 70er Jahre mit zusätzlichen Ansprüchen gefüllt neues politisches Gewicht erhielt. Es handelt sich um die emanzipatorische Komponente der Partizipation.
Dabei geht es aus meiner Sicht nicht so sehr um die Partizipation an sich, als darum, daß die Teilnahme an partizipatorischen Prozessen die persönliche Kompetenz der Betroffenen und Beteiligten stärkt. Im Verlauf eines solchen Prozesses entsteht ein emanzipatorischer Effekt, der diese Gruppen in die Lage versetzt, in partnerschaftlicher Weise an einem Entscheidungsprozeß mitzuwirken. Voraussetzung dafür ist Transparenz auf allen Ebenen des Prozesses. Als Folge aber läßt sich aber auch ein erhöhtes Maß an Konsens erreichen. Deshalb muß Partizipation gefördert und intensiviert werden.
4. Instrumente
Nachdem einige Aspekte der Veränderungen auf dem Gebiet der Bewertungen komplexer Sachverhalte angesprochen worden sind, geht es jetzt um die Frage, welche Instrumente eingesetzt werden können, um diesen veränderten Maßstäben gerecht werden zu können.
Eines sei vorweg erklärt:
Bisher eingesetzte Instrument sollen nicht grundsätzlich durch neue abgelöst werden. Es geht vielmehr darum zu prüfen, ob und ggf. wann das vorhandene Instrumentarium erweitert, auch zum Teil ersetzt werden sollte durch neue Instrumente, die den veränderten Rahmenbedingungen und Anforderungen besser gerecht werden.
Szenario
Selten war eine Aussage, die sich mit der Verantwortung gegenüber der Zukunft beschäftigte, so wirkungsvoll wie jene von den Grenzen des Wachstums. Auf der Grundlage hochentwickelter Simulationsmodelle hat das Massachusetts Institute of Technology (MIT) die rechnerischen Grundlagen für den von Dennis und Donella Meadows, Erich Zahl und Peter Milling an den Club of Rome gerichteten Bericht vorgelegt. Vor drei Jahren haben Dennis und Donella Meadows, dieses Mal gemeinsam mit Jørgen Randers einen zweiten Bericht erarbeitet, der auf einem entwickelten Simulationsmodell (WORLD 3) aufbaut. Dieser neue Bericht enthält eine Anleitung für den Leser, in dem Struktur und Arbeitsweise des Simulationsmodells in den Grundsätzen beschrieben sind und eingeladen wird zum Bezug der Software. Hier ist eine wichtige Grundlage vorgestellt worden, die es nun jedem ermöglicht, sich mit den „neuen“ Grenzen des Wachstums auseinanderzu- setzen 57).
Seit mehr als zehn Jahren stellen Wissenschaft und Praxis den umfassenden Rechenmodellen in zunehmendem Maße Szenarien an die Seite, die nicht mehr die Wirklichkeit abzubilden versuchen, sondern sich auf einige wesentliche Strukturelemente konzentrieren und deren voraussichtliche Entwicklung beobachten. Die größere Überschaubarkeit und die Loslösung von Rechenoperationen als zentraler empirischer Grundlage erleichtern die Berücksichtigung der jeweils notwendigen Korrekturen und der nicht durch Zahlen auszudrückenden Sachverhalte. Während das Simulationsmodell auf stringenten Rechnungen basiert, stützt sich die Szenario-Methode auf assoziative, deskriptive Elemente, die neben persönlichen Erfahrungen zusätzlich auch rechnerische Ergebnisse und Erkenntnisse berücksichtigt 58).
Eine besondere wichtige Komponente der Szenario-Methode ist die Expertenbefragung. In mehreren Workshops unterziehen sich die Befragten einer gegenseitigen Überprüfung, ehe das Ergebnis in das Szenario eingeht.
Eine kleine Kostprobe haben Henckel u. a. im Einleitungskapitel ihres Buches gegeben, als sie „Bissinger & Mager - eine Firmenchronik“ beschrieben: Den gegenwärtigen Zustand und danach in zwei Entwicklungsstufen - den in jeweils fünf weiteren Jahren. Zunächst ein Familienunternehmen im Herzen der Stadt, hat sich der Firmensitz nach fünf Jahren auf die grüne Wiese verlagert. Nach weiteren fünf Jahren sind die Gründer ausgeschieden und haben die Firmenleitung einem Manager übertragen, der die Firmenleitung nach auswärts verlagerte und eine ganze Anzahl von Zweigwerken in Europa gründete. Aus dieser Grundnahme lassen sich nun soziale, kulturelle, ökonomische - aber auch natürlich bildungspolitische Szenarien entfalten, die alle auf ihre Weise eine bestimmte Aussage über die künftige Entwicklung der Firma enthalten. Übrigens hat das zitierte Beispiel auch eine kulturpolitische Komponente: Das verwaiste Firmengelände im Innern der Stadt soll zu einem Kulturzentrum werden 59).
Ein literarisches Szenario hat Aldous Huxley (1894 - 1963) mit seinem Roman „Schöne neue Welt“ (1932) geschaffen. Knapp dreißig Jahre später mißt er die Aussagen des Romans an der Wirklichkeit in einem Essay. Im abschließenden Kapitel „Was läßt sich tun?“ behauptet er, die Freiheit sei bedroht und Erziehung zur Freiheit dringend vonnöten. Vieles spricht dafür, daß diese Feststellung an Aktualität gewonnen hat.
Um einer komplexen menschlichen Situation gewachsen zu sein, müssen wir alle Faktoren von Belang, nicht bloß einen einzigen, in Rechnung stellen 60).
Hier können verschiedene Instrumente eingesetzt werden und wird eben nicht eine Voraussage gewagt - oder gar gerechnet. Der Entwurf einer möglichen Entwicklung wird in sich schlüssig und nachvollziehbar für andere vorgestellt. Auf diese Weise lassen sich Abhängigkeiten und auch unterschiedliche Faktoren darstellen und variabel gestalten. Dies ist eine Methode, die jenen besonderen Blickweisen des Nadolny’schen Helden John Franklin gerecht wird und auch die Toleranz zuläßt, die sich auf verschiedene Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen stützt.
Mir scheint, daß hier noch ein erheblicher Mangel in der Gesellschaft besteht. Es ist nach wie vor äußerst schwierig, sich auf eine Vielfalt von Wirkungsfaktoren einzustellen und in die Zukunft hinein zu denken. Kultur und Bildung sind bevorzugte Handlungsfelder, auf denen Sensibilität für komplexe Sachverhalte und Zukunftswissen vermittelt, etabliert und zu eigenen Entfaltungsmöglichkeiten gebracht werden kann.
Informations-Pool
Die Notwendigkeit, sich komplexen Sachverhalten zu stellen, erfordert die Zusammenfassung von Informationen jeder Art und die Möglichkeit des Zugriffs durch unterschiedliche Nutzer. Ähnlich wie im Wirtschaftsleben im Pool Gewinne und Gewinnbeteiligungen zusammengelegt werden, so sind in Informationspools Daten und andere Informationen zusammengefaßt, die für alle am Pool Beteiligten nützlich und jederzeit für ihre Zwecke verwendbar sind. Aus der Sicht der Handlungsfelder Kultur und Bildung kommt es darauf an, daß diese Informationspools in einem bestimmten Umfange eben nicht nur einem ausgewählten Kreis, sondern allen zugänglich sind ohne Zugangsvoraussetzungen. Nur so lassen sich Transparenz und im weiteren Verlauf auch gesamtgesellschaftlicher Konsens erreichen.
Informationspools verhindern Datenfriedhöfe, weil sie verknüpfen, was gesammelt wird und durch diese Verknüpfungen neue Informationen erschließen.
Sie lassen darüber hinaus auf Dauer auch die Verringerung der Datenbestände zu, weil nicht mehr für jeden Verwendungszweck eigene Daten erhoben und aufbereitete werden müssen. Für den Bereich der Statistik gibt es derartige zentrale Datenbanken wohl in Form der Statistischen Ämter auf kommunaler, Landes- und auf Bundesebene. Auch auf europäischer Ebene in Luxemburg und weltweit auf UNO-Ebene werden derartige Pools gepflegt. Für die verschiedensten Arbeitsgebiete bestehen sie auch über rein statistische Pools hinaus. Aber was weithin noch fehlt, sind die umfassenden Informationspools für jedermann mit wirklich relevant aufbereiteten Daten und Informationen. Die Europäische Union (EU) bemüht sich zur Zeit, die Voraussetzungen auch dafür zu schaffen. Sie setzt auf den freien Markt, den Wettbewerb, der dieses Angebot schaffen soll. Ich bin noch skeptisch, ob das ausreicht 61). Andererseits aber ist es notwendig, daß die Menschen in die Lage versetzt werden, nach diesen Informationen auch zu fragen.
Eine wichtige Entwicklung wird zur Vernetzung auch dieser Pools führen. Dies ist notwendig, weil bislang der Komplexität heutiger Fragestellungen kein angemessenes Informationsangebot gegenübersteht 62). Andererseits müssen auch die Gefahren gesehen werden. Der Datenschutz des einzelnen vor dem allmächtigen Staat und der Wirtschaftsmacht des Marktes muß gesichert werden - und auch die heute nicht bekannten Gefahren der Zukunft müssen auf Sicherungen treffen.
Eine ganz wichtige Sicherung ist eine Vielzahl sozialkulturell geprägter Persönlichkeiten sowie ein weitflächiges und starkes Netz kultureller Initiativen.
Analytisches Vorgehen
Ein hoher Anteil der Informationsfülle, die uns überflutet, besteht in Faktenwissen, jenem Wissen, das Tatsachen enthält, weitergibt und speichert. Es wird immer schwieriger, aus der Überfülle dieser Informationen die entscheidenden und tragfähigen für unsere Entscheidungen herauszufinden. Ein Hilfsmittel dafür ist das analytische Vorgehen. Die Analyse übernimmt Informationen und Tatsachen nicht nur einfach, sie untersucht diese systematisch und methodisch. Dabei prüft sie nach vorgegebenen Grundsätzen einmal, was hinter den Informationen und Tatsachen steht - etwa die Ursachen, die Entstehungsgeschichte - und zum andern, was man über die Wirkungen sagen kann - die Folgen und Konsequenzen bestimmter Tatsachen.
Strukturanalyse
Die Strukturanalyse untersucht den inneren Aufbau, das Bezugs- und Regelungssystem einer komplexen Einheit, in dem alle Elemente innerhalb dieses Ganzen eine je eigene Aufgabe erfüllen 63). Diese Erklärung stelle ich deshalb bewußt an den Anfang dieses Abschnittes, weil hier die grundsätzliche Bedeutung der Methode beschrieben - und auch die Zielrichtung angegeben wird, mit der sie angewandt werden soll.
Die komplexe Einheit, um die es uns geht, ist die Gesellschaft. Die Bezugs- und Regelungssysteme sind die Beziehungen, die Gegenstand unserer Untersuchungen sind.
Nach meiner Überzeugung wird man künftig wesentlich mehr als bisher analytisch denken und planen. Allerdings scheint es mir weithin an geeigneten Analyseverfahren zu fehlen. Die zergliedernden Elemente, die das Ganze auflösen, haben in dem uns zur Verfügung stehenden Instrumentarium einen erheblich höheren Anteil als jene, die wieder zum Ganzen zurückführen.
Gerhard Schulze wendet sich in seiner umfangreichen Kultursoziologie der Gegenwart, die im Verlaufe eines Jahres bereits in dritter Auflage erschien, gegen die konsequente „Nichtbenutzung des Informationspotentials von Daten“ und fordert, die Datenanalyse zu ergänzen durch eine theoretische Analyse. Erst wenn aus dem Einzelfall das grundsätzliche Element herausscheint, lassen sich Schlußfolgerungen für den Zustand der Gesellschaft heute und für ihre künftige Entwicklung aus den Daten ableiten, die uns zur Verfügung stehen.
Empirische Daten und deren Analyse sind nur ein Baustein der theoretischen Analyse. Andere müssen hinzukommen. Als Beispiele seien genannt: Gedankenexperimente, Sozial- und Kulturgeschichte, langjährige Lebenserfahrung in dem kulturellen Kontext, dessen Analyse ansteht, und auch Intuition, verstanden als ganzheitlich typologisches Denken, dessen Wichtigkeit unbestritten bleibt 64).
Weil das so ist, reicht es nicht aus, die „So-und-soviel-denken-soundso-Methode“ anzuwenden 65). Die Forderung nach einer Strukturanalyse zielt auf einen Ansatz, der stets das Ganze im Blick behält, auch wenn das einzelne untersucht wird.
Ich habe den Eindruck, daß einerseits beachtliche Erfolge auf diesem Gebiet zu verzeichnen sind. Auf dem Gebiet der Kultursoziologie etwa legen die beiden Greiffenhagen und Gerhard Schulze im gleichen Jahr zwei ganz unterschiedliche Werke in 2. bzw. 3. Auflage vor, die beide auf ihre Weise stets der ganzheitlichen Methode verpflichtet bleiben 66).
Andererseits aber scheint doch weithin die Bereitschaft, vielleicht gelegentlich auch die Fähigkeit, zu fehlen, diese Forschungsergebnisse zur Kenntnis zu nehmen, sie sachgerecht aufzuarbeiten und daraus Konsequenzen für die konkrete Arbeit abzuleiten. Allerdings ist Schulze zur Zeit im Kommen. Ich frage mich, ob das Maß der Aufmerksamkeit, die man ihm zuwendet, auch dem der Intensität entspricht, mit dem man sich der inhaltlichen Aussagen seines Werkes und deren Fortführung und Anwendung widmet.
Nach meiner Auffassung fehlt ein hinreichend etablierter Transfer von der Wissenschaft zur Praxis. Auf technischem und naturwissenschaftlichen Gebiet sind auf diesem Gebiet erhebliche Fortschritte gemacht worden, für die Geisteswissenschaften dürften es eher Einzelerscheinungen sein, die wir wahrnehmen. Ein schwieriges Feld scheinen auch die Praktiker aus Politik und Verwaltung zu sein.
Dennoch gewinnen in jüngerer Zeit interdisziplinäre Veranstaltungen mit work-shop-Charakter zunehmend an Bedeutung und es bleibt zu hoffen, daß sie in absehbarer Zeit zu einem selbstverständlichen Arbeitsinstrument auf allen Gebieten mit komplexen Fragestellungen und zu einem wichtigen Transmissionselement zwischen Wissenschaft und Praxis werden.
Für mich ist es ein faszinierender Gedanke mit erhellender Wirkung, mir die Blicke des Nadolny’schen Helden vorzustellen. Wie mögen der darstellende und der bildende Künstler, wie mag der Politiker, die Verwaltungsfrau, eine Pädagogin oder wie mögen wohl auch einige Bürger ihre „langsamen“, „starren“ und „Panoramablicke“ einbringen und wie mag sich ihre Toleranz gegenüber den individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen auf das Ergebnis eines solchen Workshops auswirken?
Meinungsanalyse
Mit Recht hat es selbst unter Fachleuten lange Zeit kritische Zurückhaltung gegeben, Meinungsumfragen in die konkrete sachliche Planungsarbeit einzubeziehen. Noch heute wird oft die demokratische Komponente mit einer Meinungsumfrage verwechselt. Der demokratische Planungsprozeß zeichnet sich dadurch aus, daß in einem offenen geregelten Prozeß Meinungen argumentativ ausgetauscht und im Verhältnis zueinander gewertet werden. Die Meinungsumfrage stellt fest, was Menschen denken - oder zu denken vorgeben.
Dennoch prägt auch eine solche Meinung die gesellschaftliche Wirklichkeit. Deshalb müssen Wege gefunden werden, hier tragfähige Instrumente zu finden, um der reinen Faktenbasis auch eine sachgerecht aufgearbeitete Meinungsbasis gegenüberzustellen.
Die kommunale Umfrageforschung hat auf diesem Gebiet seit gut zehn Jahren Erfahrungen gesammelt und verfügt inzwischen über ein beachtliches Instrumentarium, das es zuläßt, von einer Meinungsanalyse zu sprechen. Der Einzelfall wird auf seine Relevanz geprüft, das Grundsätzliche herausgeschält und in angemessener Weise in Langzeitanalysen dokumentiert. Hier gewinnt die Zeit als ein Forschungs- und Planungsinstrument eine besondere Bedeutung. Erst im mehrjährigen Vergleich und in vertiefender Analyse erhält die Meinungsanalyse jene Aussagekraft, die sie als Korrelativ auch im Planungsprozeß gleichberechtigt neben anderen Instrumenten wirksam werden läßt 67).
Der Meinungsanalyse kommt besondere Bedeutung zu vor dem Hintergrund der Tatsache, daß sich unter demokratischen Bedingungen nichts gestalten läßt, was die Menschen nicht begreifen können 68). Und Gestaltungskraft wird im Blick auf die künftige Entwicklung von Politikern und Planern sowie von den Persönlichkeiten in herausragender Weise gefordert, die für Kultur und Bildung verantwortlich sind.
Die vorliegende Arbeit soll einen kleinen Beitrag leisten, noch annähernd rechtzeitig jene Instrumente bereitzustellen, die dazu notwendig sind.
Kooperative Koordinierung
Die Welt moderner Lebenserscheinungen führt dazu, daß auch gesellschaftliche Lebensvollzüge nicht mehr ohne Koordination auskommen. Das gilt erst recht natürlich für die Stadtentwicklungsplanung, die ihrem Wesen nach koordinierende Funktionen ausübt, d. h. darauf hinwirkt, daß unterschiedliche Planungs- und Entscheidungsprozesse in einen sinnvollen, zielgerichteten Zusammenhang gebracht und im Rahmen einer ökonomisch, sozial und ökologisch tragfähigen Form umgesetzt werden.
Eine solche Aufgabe ist bislang bürokratisch, im hierarchischen Sinne so gelöst worden, daß die jeweils höhere Instanz entscheidet, wenn zwei gleichgeordnete nicht zu einer gemeinsamen Lösung kommen können. Es bleibt selbst heute noch weithin unberücksichtigt, daß auch gleichgeordnete Institutionen durch einen entsprechend organisierten Kooperationsprozeß zur Koordinierung ihres Handelns veranlaßt werden können.
Der Stadtentwicklungsplanung käme bei einer solchen Konstruktion die Funktion eines Katalysators zu, der den Prozeß inhaltlich nicht verändert, durch dessen Anwesenheit aber die Qualität des Prozesses verbessert wird.
Kooperative Koordination ist ein Arbeitsansatz, der von der Bereitschaft aller ausgeht, zusammen arbeiten zu wollen und sich im Verlaufe dieser Zusammenarbeit auch darauf einzulassen, diese Arbeit zu koordinieren.
Kooperation verlangt einmal zunächst viel Zeit, weil man sich aufeinander einstellen, miteinander abstimmen und auf eine gemeinsame Linie der Zusammenarbeit einigen muß. Im Verlaufe des Prozesses wird sich dieser Zeitverlust günstig bemerkbar machen, weil die späteren Planungsphasen wesentlich zügiger ablaufen werden. Die Zusammenarbeit vermittelt Erfahrungen, die die einzelnen Kooperationsphasen wesentlich erleichtert und verkürzt.
Entsprechendes gilt für die Koordinierungselemente dieses Prozesses.
Weshalb aber sind diese Elemente so wichtig?
Am Ende eines kooperativen Prozesses steht ein Identifikationseffekt, der sich auf das Ergebnis insgesamt bezieht oder auf einen Teil davon. Vor dem Hintergrund einer solchen Zusammenarbeit ist dann eine Koordinierung eher und mit mehr Erfolg anzugehen als ohne diese kooperativen Elemente. Hinzu kommt, daß im Verlauf des Prozesses die Transparenz wesentlich erhöht wird.
Wir müssen künftig verstärkt Wege suchen, wie wir gemeinsam handeln können und Ziele und auch Wege miteinander abstimmen. Einerseits können wir auf diese Weise mehr Menschen veranlassen, unsere Ziele anzustreben, andererseits bündeln wir unsere Kräfte und können mit weniger Aufwand mehr erreichen (Synergieeffekte).
Was bedeutet dies alles nun im Blick auf die Handlungsfelder Kultur und Bildung?
Wie schwer fällt es uns, zu einer neuen Identität zu finden, Inhalt und Richtung unseres Lebens immer wieder neu auszurichten in einer sich ständig verändernden Welt! Hier vermag kooperative Koordinierung viel zu bewirken für die Institutionen, für die Beteiligten und für die Betroffenen - auch für die Effizienz von Planungsprozessen. Denken wir daran, daß nach Biedenkopf nur Zustimmung findet, was verstanden wurde. Und schließlich ist so auch der Einsatz der Ressourcen jeder Art wesentlich günstiger zu gestalten.
Überprüfung des Bestehenden
Nichts kann sich ändern, wenn Bestehendes nicht vergeht oder sich selbst ändert. In unserem Zusammenhang bedeutet das, bestehende Zustände, Wert- und Zielvorstellungen immer wieder einem Test zu unterziehen, ob sie für unsere Gegenwart und für den Weg in die Zukunft noch tragfähig sind.
Zu Beginn dieses Jahrhunderts war vieles noch fester Bestandteil eines gesellschaftlichen Wertekanons, was heute sozial überhaupt nicht mehr zu vertreten ist. In der Mitte dieses Jahrhunderts war Standard, was heute, im Jahre 1995, aus ökologischen Gründen längst ausgemerzt worden ist. Kultur als eine Verfeinerung des Lebensgefühls eines gehobenen Bildungsbürgertums kann heute keinen gesamtgesellschaftspolitischen Anspruch erheben. Wenn sie sich nicht der Gesamtheit der Bevölkerung öffnet und den Zugang zur Überwindung von Bildungsschranken freigibt, verliert sie ihre demokratische und gesamtgesellschaftliche Legitimation 69). Die von mir angesprochenen Schwerpunkte künftiger Entwicklungsproblematik finden sich bereits in Erörterungen, die bis zu zehn Jahre zurückliegen 70). Bildung ist angelegt auf die Entfaltung autonomer Selbstbestimmung in sozialer Verantwortung und längst nicht mehr auf die Vermittlung von Fakten und praktischen Fertigkeiten fixiert wie in der Vergangenheit 71).
Diese Prozesse dürfen nicht beendet werden. Es ist notwendig, einen ständigen Kontrollmechanismus zu installieren, der erforderliche Veränderungen ermöglicht. Allerdings gehört zwingend dazu, daß nicht jeder Mode gefolgt, sondern auch Veränderungstendenzen analysiert und kritisch geprüft werden.
Zur Überprüfung des Bestehenden gehört auch die Feststellung von Max Fuchs aus dem Jahre 1989, wonach es Kulturpädagogik offenbar schwer habe mit der Anerkennung als erziehungswissenschaftlicher Disziplin 72). Die Kulturpädagogik ist als feste Position der Erziehungswissenschaft zeitbedingt und historisch überholt, in ihren grundlegenden Fragestellungen nicht überholbar 73). Auch eine zweite Anmerkung begründet die Notwendigkeit einer Überprüfung. Drei Jahre später faßt Max Fuchs das Ergebnis einer Veranstaltung mit folgenden Worten zusammen: „Ist nun die kulturelle Identität ein Thema für die Jugendkulturarbeit? Da jetzt hier viele sitzen, die mit Jugendkulturarbeit beruflich zu tun haben und auch davon leben, kann uns ... ein Stein vom Herzen fallen. Es ist ein Thema, das Fragezeichen kann entfernt werden. Im Hinblick auf unsere berufliche Identität immerhin ein erstes Ergebnis“ 74). An beiden Äußerungen wird aber auch eine Gefahr deutlich, die einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema und der erforderlichen Transparenz schaden könnte. Es wäre bedenklich und könnte die Überzeugungskraft der eigenen Argumente beeinträchtigen, wenn der Eindruck entsteht, Sachargumente würden gesucht, um die persönliche Position abzusichern. Aus der sachlichen Argumentation erst sollte die persönliche Positionsbestimmung oder berufliche Legitimation abgeleitet werden - nicht umgekehrt. Sonst besteht - zumindest in der politischen Diskussion - die Gefahr, daß beides miteinander vermengt wird und damit beiden Argumentationsebenen Unrecht geschieht.
Zur sachlichen Argumentationslinie habe ich hoffentlich hinreichend Material vorgelegt. Für die Legitimation der pädagogischen Vermittlungskompetenz möchte ich ergänzend zur inhaltlichen, von der diese hier abzuleiten wäre, noch ergänzend anmerken, daß sich die praktische Vermittlungstätigkeit durch Erfolge am besten legitimiert. Hier scheinen mir in den letzten Jahren z. B. die Museumspädagogen einen besonders wichtigen Schritt getan zu haben. Mir ist bewußt, daß sie dazu entsprechenden Spielraum brauchten - personell wie materiell. Wer engagierte und fähige Museumspädagogen bei ihrer Arbeit mit Kindern, Mutter-Kind-Gruppen, Behinderten - etwa Blinden -,mit Senioren oder auch in heißen Diskussionen mit aufgebrachten Bürgern erlebt hat, der wird zugestehen, daß hier viel getan wird, um die Entwicklung zur sozialkulturellen Persönlichkeit zu fördern und Identität zu entfalten.
Bündelung und Aggregation
Die Gefahr der Vereinzelung von Initiativen und der isolierten Betrachtung von Problemen wächst mit der Zunahme der Pluralität der Gesellschaft. Bald verliert jeder den Überblick und es besteht keinerlei Chance, in der Einheit noch die Vielfalt oder in der Vielfalt noch die Einheit zu erkennen 75). Das aber ist notwendig, wenn demokratische Prozesse auch in Zukunft in Gang kommen und Identifikationsprozesse gelingen sollen.
Die Bündelung bewahrt die einzelnen bestehenden Kräfte und verstärkt sie durch den Einsatz für gemeinsame Ziele. Dagegen führt Aggregation zu neuen Kräften, in denen die alten aufgegangen sind um der Erreichung eines neuen Ziele willen, das mit der Bündelung der einzelnen Kräfte nicht zu erzielen war. Insbesondere die Aggregation kann auch zu erhöhter Übersichtlichkeit führen, weil viele einzelne durch wenige ersetzt werden.
Im Grunde sind diese Instrumente nicht neu. Kooperative Koordination sowie Bündelung und Aggregation haben in besonders ausgeprägter Weise zum Entstehen von Netzwerken der verschiedenen Art geführt, insbesondere auf sozialem, kulturellen und bildungspolitischen Handlungsfeldern 76).
5. Neue Maßstäbe
Die neuen Maßstäbe ziehen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen. Sie lehnen die bisherigen nicht ab, aber sie relativieren sie. Deshalb erteilen die neuen Maßstäbe jeder Art von Diktat eine radikale Absage - dem Diktat der Geschwindigkeit, dem Diktat des Verbrauchens, des Wachstums und dem Diktat der ständigen Veränderung/Abwechslung.
An deren Stelle setzen sie
· eine neue Dimension der Zeit, die mit Nadolnys Helden John Franklin den langsamen, den starren und den Panoramablick übt mit einer Toleranz, die aufbaut auf der Verschiedenheit der individuellen Geschwindigkeiten und Geschwindigkeits-Phasen,
· eine neue Qualität des Gebrauchs, die auf Bewahrung und Erneuerung aller unserer Kräfte zielt, auch der in der Natur,
· eine neue Qualität der Verträglichkeit, die jene des ständigen Wachstums ergänzt, weil nur jenes Wachstum erwünscht ist und angestrebt wird, das verträglich ist - ökologisch, sozial, wirtschaftlich, kulturell-,
· ein neues Verständnis von Beständigkeit im ständigen Wandel, das gegenüber der Beliebigkeit im Wandel Profil entfaltet.
Dies alles, verbunden mit jenen Aspekten kommunikativer Vernunft, die Peter Ulrich für erforderlich hält, bilden die neuen Werte, die in Verbindung mit den Instrumenten die neuen Maßstäbe ergeben.
Eine weitere Erkenntnis ist noch nicht deutlich ausgesprochen worden. Die neuen Werte setzen nicht mehr auf in sich schlüssige Systeme oder Veränderungen in einem Schritt. Sie öffnen sich und sind aufnahmefähig für offene Entwicklungen sowohl bei den Werten wie auch bei den Instrumenten. Nur so kann eine Kultur der Fehlerfreundlichkeit, der Langsamkeit und jener Toleranz entstehen und lebendig bleiben, die auf einer Toleranz gründet, die individuellen Geschwindigkeiten Raum gibt.
Schließlich ist es notwendig zu erkennen, daß Werte und Instrumente untereinander in Wechselbeziehungen stehen, innerhalb der beiden Kategorien.
6. Handlungsvorschläge
Die folgenden Vorschläge gehen davon aus, daß über die bisher vorgetragenen Tatbestände, Wertungen und Hinweise keine allgemeine Übereinstimmung besteht - zwar auf fast allen Gebieten einschlägige Überlegungen angestellt und einzelne Schritte vollzogen wurden, aber ein inhaltliches Gesamtkonzept noch nicht in Aussicht steht - und daß nicht alle Themen gleichzeitig behandelt werden können.
Sie haben deshalb zum Ziel darzustellen, wie man realistischerweise vorgehen könnte, um erste Schritte in die bisher aufgezeigte Richtung zu gehen.
Man sollte sich auf drei Ebenen Aufgaben nähern, neue Maßstäbe zur Bewertung komplexer Sachverhalte in der Stadtentwicklungsplanung zu erproben und in der Praxis einzusetzen.
Einmal geht es darum, daß man sich auf die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Verfahren einläßt. Wissenschaftliche Forschung und praktische Erprobung müssen parallel erfolgen, wenn eine Chance der Realisierung bestehen soll. Eine wechselseitige Rückkopplung ist darüber hinaus erforderlich. Diese Verfahrensparallelität betrifft auch die unterschiedlichen Ebenen und die einzelnen Sparten von Kultur und Bildung.
Zum anderen geht es darum, zu einem einheitlichen Bewertungskonsens zu kommen. Vermutlich wird man ein solches Ziel nicht vollständig erreichen können. Es ist deshalb um so dringlicher, die Arbeit an einem solchen Konsens frühzeitig zu etablieren und so zu operationalisieren, daß einmal die Chance nicht ausgeschlossen wird, zu einer weitgehenden Übereinstimmung zu kommen, andererseits aber auch die Rückkopplung mit der Praxis kontinuierlich erfolgt. Es müßte ein gewisser Regelungskreislauf eingeführt werden, der es zuläßt, daß Teilergebnisse im Wertekonsens bereits in die praktische Arbeit einfließen können - und so eine gegenseitige Förderung möglich wird.
Vor diesem Hintergrund schlage ich vor,
· Interdisziplinäre Fachtagungen, Symposien und Werkstattgespräche zu veranstalten, die sich gezielt mit der Frage neuer Wertvorstellungen vor dem Hintergrund der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beschäftigen. Inhaltlich würde ich die neue Kategorie der Zeit als Gegenstand vorschlagen und anregen, das Instrument des Szenarios auf diese Fragestellung in verschiedenen Sparten anzuwenden.
· Forschungsaufträge zu erteilen, die gezielt die Auswirkungen einer veränderten Bewertung der Zeit für die Gesellschaft untersucht und Wege aufzeigt, wie eine solche Veränderung in der Bewertung erreicht werden kann.
· Netzwerke zu etablieren mit dem Ziel, Synergieeffekte zu erzielen und Identitätsarbeit zu unterstützen.
Dies alles kann nur ein Einstieg sein. Eine konsequente Weiterführung der einmal begonnenen Arbeit wäre notwendig, wenn sie Erfolg haben soll.
Für die Handlungsfelder Kultur und Bildung schlage ich konkret folgende Pilotprojekte vor:
· Arbeitstagung
„Zeit und Raum - neue Wertkategorien für die Kulturpolitik. Absage an das Diktat der Geschwindigkeit. Örtliche Kultur im europäischen Blickfeld“
In Einführungsreferaten - vielleicht auch in vorbereitenden Tagungspapieren - sollten die in dieser Arbeit angesprochenen einschlägigen Wertkategorien mit ihren Veränderungen vorgestellt und in ihren Konsequenzen aus der Sicht der Referenten dargestellt werden.
Die Arbeitstagung sollte sowohl von der Forschung als auch von der Praxis her interdisziplinär besetzt sein, diese Darstellungen kritisch prüfen und Vorschläge für die Umsetzung der notwendigen Veränderungen erarbeiten.
Veranstalter könnte sein: Deutsches Institut für Urbanistik - Difu -, Kulturpolitische
Gesellschaft, vielleicht in Verbindung mit einer Hochschule.
· Werkstattgespräch
„Die Stadt - Kulturraum 2010“ - Abkehr vom Diktat der Geschwindigkeit, Stadtraum als Teilraum, Gebrauch statt Verbrauch -
Hier könnte im Sinne eines Szenarios von Praktikern der Frage nachgegangen werden, wie sich eine konkrete Stadt unter den Vorgaben des neuen Verständnisses von Zeit, Raum und Gleichgewicht bis zum Jahre 2010 verändert haben wird. Wissenschaftliche Begleitung ist dabei unverzichtbar.
Veranstalter: siehe oben, zusätzlich: Bundesministerium des Innern, Bundesministeri-
um für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau
· Symposion
„Zeit und Raum in der Bildungspolitik von Bund und Ländern - Abkehr vom Qualifizierungsdiktat der Wirtschaft“
Das Symposion sollte bei interdisziplinärer Besetzung der Frage nachgehen, wie bei dem in der vorliegenden Arbeit dargelegten neuen Verständnis von Zeit, Raum und Bildung unter Berücksichtigung eines veränderten Verständnisses von ökonomischem Wachstum, der Fehlerfreundlichkeit und der Toleranz die Ziele der Bildungspolitik zu formulieren und Wege zu ihrer Umsetzung etabliert werden können. Hier sollte auch an eine europäische Harmonisierung gedacht werden.
Veranstalter: Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft, Landesministerien,
Zentrale für politische Bildung, Hochschulen
· Informationsnetze
Dieses Pilotprojekt wird nur thematisch vorgestellt. Sein Ziel wäre es, unter den in dieser Arbeit vorgetragenen veränderten Wertvorstellungen der Frage nachzugehen, nach welchen Kriterien Informationsnetze entstehen und unterhalten werden könne, die die Voraussetzungen für künftig tragfähige Bewertungssysteme der Handlungsfelder Kultur und Bildung zu schaffen.
Vorarbeiten unter gänzlich anderen Voraussetzungen liegen vor, etwa für die Struktur kommunaler Kulturverwaltungen oder von Museen 77).
Mein Versuch, die aktuellen Entwicklungen auf dem Gebiet des strategischen Managements im Blick auf die kommunalen Erfahrungen in diese Arbeit einzubringen, blieb ohne Ergebnis. Anscheinend ist die Entwicklung noch nicht so weit fortgeschritten, daß man bereits konkrete Ergebnisse vorlegen und im Blick auf ihre Verwendbarkeit im hier angesprochenen Sinne überprüfen könnte. Hinzu kommt, daß die Zielrichtung derartiger Projekte eher fiskalisch-wirtschaftlich ist 78).
7. Ausblick
An der Schwelle zum 21. Jahrhundert könnte eine ziemlich neue Ordnungsvorstellung darin bestehen, das Chaos zu begrenzen - nichts weiter. Es wird auf jeden Fall besser sein, sich auf ein Minimum zu verständigen als überhaupt nicht 79). Klar ist in diesen Tagen, daß wir keiner „neuen Weltordnung“ gegenüberstehen, sondern auf einen problembeladenen Planeten und zerrissenen Planeten blicken. Die Kraft und die Komplexität der Kräfte des Wandels sind enorm und einschüchternd; dennoch mag es noch immer intelligenten Frauen und Männern möglich sein, ihre Gesellschaften in die komplizierte Aufgabe der Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert zu führen 80). Wenn der historische Prozeß wirklich auf den beiden Pfeilern der vernunftgeleiteten Anerkennung ruht, wenn die moderne liberale Demokratie diese beiden Bedürfnisse am besten befriedigt und einer Art Gleichgewicht hält, dann liegt die schlimmste Bedrohung der Demokratie offensichtlich darin, daß wir nicht wirklich wissen, was auf dem Spiel steht. Während die modernen Gesellschaften immer demokratischer geworden sind, ist das moderne Denken in eine Sackgasse geraten. Man kann sich nicht mehr einigen, was den Menschen ausmacht und worin seine spezifische Würde besteht und ist deshalb nicht mehr in der Lage, die Menschenrechte zu definie- ren 81).
Das Chaos als Minimalkonsens, ein mühsamer, kaum geordneter Prozeß der Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert und eine Gesellschaft, deren Denken in eine Sackgasse geraten ist - das wäre das Fazit dreier Autoren aus einer Bilanz des 20. Jahrhunderts. Welche Schlußfolgerung können wir daraus für einen Ausblick ziehen?
Ordnungsvorstellungen verlieren ihre beherrschende Kraft. Wir müssen mit mehr Chaos leben lernen. Die Wissenschaft arbeitet bereits an einer Chaos-Theorie 82). Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Stadtentwicklungsplanung und für ihre zentralen Handlungsfelder Kultur und Bildung?
Die Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert als ein mühsamer, von einigen Männern und Frauen verantworteter Prozeß? Das scheint mir wenig realistisch zu sein. Der Prozeß muß auf einer wesentlich breiteren Basis von Wissenschaft, Bildung und Kultur verantwortlich vorbereitet werden. Ich halte das nicht für ausgeschlossen. Es wäre aber gut, möglichst bald anzufangen. Es gibt manche Beispiele für einen solchen Beginn. Ich nenne Ulrich von Weizsäcker, den Politiker Al Gore und den Unternehmer Stephan Schmidheiny 83). Kultur und Bildung sind auf jeder Ebene gefordert, sich in diesen Diskurs hineinzubegeben - ganz besonders deshalb, weil die ökologische und die ökonomische Thematik nur abgeleitete Fragen sind und der Umgang des Menschen mit sich und seinesgleichen erst die zentrale Aufgabe darstellt.
Ist das moderne Denken tatsächlich in eine Sackgasse geraten? Sind wir nicht mehr in der Lage, für alle konsensfähig festzustellen, was den Menschen ausmacht und was die Menschenrechte sind? Ich bin mir da nicht so sicher. Wenn diese Aussage zuträfe, sollte hier ein konkreter Anlaß sein, über die Handlungsfelder Kultur und Bildung Wege zur Öffnung dieser Sackgasse zu suchen. Für mich ist die Aktivierung des von mir erweiterten Greiffenhagenschen gesellschaftlichen Koordinatensystems ein wichtiger Schritt auf diesem Wege 84). Und darüber hinaus dürfte zum gegenwärtigen Zeitpunkt die liberale Demokratie noch die politisch, sozial und ökologisch tragfähigste Gesellschaftsform sein - auch gegenüber den Herausforderungen des kommenden Jahrhunderts. Insofern stimme ich Fukuyama zu.
Der globalen Betrachtung, der wir uns am Ende des 20. Jahrhunderts nicht mehr entziehen können, sollen schließlich noch Stadtperspektiven gegenübergestellt werden, die die Entwicklung der Städte in Deutschland näher betrachten.
Das deutsche Städtesystem zeichnet sich durch eine bemerkenswerte Stabilität aus. Probleme und Aufgaben als Folge der deutschen Vereinigung gehen weit über das erwartete Maß hinaus. Das vereinte Deutschland wird ökonomisch, politisch, kulturell ein anderes Deutschland sein als eine um fünf neue Länder erweiterte Bundesrepublik. Mit der Vereinigung ist die politische Bedeutung Deutschlands international gewachsen, die geographischen Kraftlinien in Europa haben sich verschoben, und auch innerhalb Deutschlands bedeutet die Vereinigung eine Umverteilung von Entwicklungsimpulsen, von Funktionsgewinnen und Zentralitäten. Das Land dürfte auf längere Zeit noch durch erhebliche Polarisierungen und Spaltungen gekennzeichnet sein. „Erschütterungen“ in vielen Bereichen erfordern die Herausbildung einer veränderten Struktur, eines veränderten Landes. Von diesem Prozeß werden die Städte in besonderem Maße betroffen sein 85).
Die großen Themen der Zukunft deutscher Städte sind „Stadt und Region“, „soziale und gesellschaftliche Konflikte“, „Umwelt“, „Infrastruktur“, „Überwindung der Ressortpolitik“ 86). Damit sind aktuelle kommunalpolitische Aufgabenfelder beschrieben, die für die Zukunft Schwerpunkte der Entwicklung behandeln.
Stadt und Region - an dieser Stelle wird die Frage nach der neuen Dimension des Raumes gestellt, die sich nicht nur auf die sogenannte Transformation der Stadt unter kulturellen, sozialen und ökologischen Zielsetzungen bezieht 87), sondern darüber hinaus die Stadt in ihrer Region als integralen Bestandteil Europas versteht 88).
Soziale und gesellschaftliche Konflikte - für mich ist bezeichnend, daß hier aus kommunaler Sicht der Sachverhalt, das auslösende Element für kommunales Handeln und kein kommunales Ziel genannt wird. Es werden aber Analysen vorgetragen. Eine Stadt kann sich globalen Prozessen nicht entziehen, diese erscheinen unumkehrbar. Die Aufmerksamkeit für die vom Wachstum abgekoppelten Räume, Wirtschaftsbereiche und sozialen Gruppen darf nicht verloren gehen. Die Ausgleichspolitik muß intensiver gewollt und kraftvoll durchgesetzt werden. Die bestehenden Umverteilungssysteme auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene reichen dazu nicht mehr aus: Das ist der eigentliche Grund für die soziale Problematik, die in einer wachsenden Polarisierung besteht. Dieser Entwicklung ist nur durch Integration und Solidarität zu begegnen; Strategien im Sinne einer „solidarischen Stadt“ sollten dort zuerst umgesetzt werden, wo die Verlierer der Polarisierung in Wohn- und Lebenssituationen konzentriert werden, die sie zusätzlich benachteiligen. Bislang kollidieren diese Ziele mit den Standortkonzepten 89).
Gefordert wird eine „Stadtentwicklungspolitik gegen Armut und Ausgrenzung 90). Hier wird beschrieben, was ich in dieser Arbeit die soziale Balance nenne. Auch sie ist ein Thema von Kultur und Weiterbildung, denn Ausgrenzung hat mit Selbstverständnis und sozialer Verantwortung eines jeden einzelnen zu tun. Hinzu kommt, daß in einer modernen demokratischen Gesellschaft, vor allem, wenn sie unter marktwirtschaftlichen Regeln agiert, der Erwerb und die Ausübung von Bildungskompetenz sowie sozialer und kultureller Kompetenz ein bestimmtes Maß auch materieller Integration in die Gesamtgesellschaft voraussetzen. Das bedeutet in unserem Zusammenhang die Beseitigung von Lebenslagenarmut 91).
Jetzt scheint sich ein Wechsel des Leitbildes „Stadt“ abzuzeichnen. Die Vorstellung, die Städte müßten sich an die durch die Zunahme des Kraftfahrzeugverkehrs entstandenen Zustände anpassen und dies sei ihre wichtigste Aufgabe im Blick auf künftige Entwicklungen 92), ist allgemein als das Leitbild von der „autogerechten Stadt“ bekanntgeworden. Inzwischen wurde es de facto abgelöst von dem der „marktgerechten Stadt“ 93). Ob das Leitbild einer „solidarischen Stadt“ Aussicht hat, wahrgenommen oder sogar anerkannt zu werden? Hier würde wohl eine Sensibilität eingefordert, die bislang kaum Niederschlag in offiziellen Stadtkonzepten und Planungsvorstellungen fand. Über die Solidarität mit den Folgegenerationen könnten auch die Elemente Ökologie, Ökonomie und der Bereich der Kultur betroffen sein.
Umwelt - Ökologische Fragestellungen werden benannt, zugleich aber auch Grenzen finanzieller Ressourcen aufgezeigt. Im Ergebnis jedoch wird als notwendige Aufgabe der Städte erkannt:
· aktive Politik der Stadtökologie,
· Abstimmung von Ökologie, Ökonomie und Politik,
· Verankerung von Stadtökologie als ökologisches Denken und als konkretes Verwaltungshandeln,
· Wende von nachsorgender zu präventiver Umweltschutzpolitik 94).
Infrastruktur - Das Thema wird fast ausschließlich unter dem Finanzierungsaspekt oder unter dem der Standortdiskussion erörtert. Diese Betrachtungsweise greift auch auf dem Difu-Symposium 1993 zu kurz 95). Für mich muß die Infrastrukturdiskussion beginnen mit einer Überprüfung der bisherigen Ziele. Nach den Grundsätzen von Bündelung und Aggregation müssen sich künftig verstärkt Synergieeffekte erzielen lassen. Von diesen gebündelten Zielen her, sollte dann auch ein neuer Finanzierungsmodus - vor allem auch ein für alle einsichtiger Vorrang entstehen. In diesem Zusammenhang werden auch Kultur und Bildung ihrer neuen Bewertung entsprechend in die Betrachtung einzubeziehen sein.
Überwindung der Ressortpolitik - ein Sonderthema in der abschließenden Zusammenfassung der Ergebnisse auf dem Difu-Symposium 1993. Es geht einmal um das Spezialistentum, andererseits aber auch um die Abschottung ganzer Sparten gegenüber spartenfremden Entwicklungen. Pluralismus darf nicht zum Separatismus werden - das gilt für die Spezialisten, wo immer sie tätig sind, das gilt für die verschiedenen Bereiche in der Verwaltung und auch für die Politik. Es kommt darauf an, daß auch künftig noch das Gemeinsame erkennbar bleibt und zur Identität sowohl des einzelnen wie der Gesellschaft entscheidend beiträgt. Auf kommunaler Ebene ist das Instrument der Stadtentwicklungsplanung ein politisches Führungsinstrument, das dies ermöglichen kann.
Neue Maßstäbe für das Kommende
Das neue Jahrhundert ist in Maßstäben unterschiedlicher Art angeklungen. Können neue Maßstäbe und neue Instrumente sich diesen Anforderungen mit Erfolg stellen?
Stichwort: CHAOS
Die neuen Maßstäbe können bestehende Strukturen von ihren Verkrustungen befreien. Was hat „Nachhaltigkeit“ allein schon im Bewußtsein der Bevölkerung verändert! Das getrennte Sammeln von Müll ist nahezu zur Selbstverständlichkeit geworden. Aber es blieb sektoral und fand nicht die logischen Konsequenzen in der Wirtschafts- und Strukturpolitik. Die neue Kategorie Zeit ist in ihren Auswirkungen noch kaum zu erkennen. Wenn es aber gelingt, das Diktat der Geschwindigkeit aufzuheben und vielleicht durch die „Entdeckung der Langsamkeit“, einer „neuen“ Langsamkeit im Sinne der Nadolnyschen Blicke zu ersetzen, dann wird diese neue Gesellschaft wieder fehlerfreundlicher werden können, dem Menschen näher und auch dem Chaos gegenüber weniger abweisend als bisher. Jüngere Erkenntnisse der Wissenschaft belegen, daß das Chaos zum Leben gehört wie die Ordnung. Die neuen Maßstäbe werden Spielräume auch für chaotische Entwicklungen zulassen 96), zugleich ziehen aber auch die neuen Maßstäbe Grenzen, wenn etwa von der ökonomischen Tragfähigkeit oder der Nachhaltigkeit die Rede ist.
Mit ihrer Fehlerfreundlichkeit und mit ihren neuen Wertkategorien erhöhen sie die Kompetenz des Menschen, seine Möglichkeiten auszuschöpfen und Grenzen anzunehmen - und damit auch die Fähigkeiten zu entwickeln, mit chaotischen Entwicklungen umzugehen, ohne in Panik zu geraten. Das ist eine kulturelle Fähigkeit hohen Grades.
Stichwort: MODERNES DENKEN IN DER SACKGASSE
Die Öffnung der neuen Kategorie Zeit gegenüber wird - ähnlich wie eben dargelegt - auch hier eine grundlegende Veränderung herbeiführen. Eine Ursache für die „Sackgassen-situation“ unserer Gesellschaft ist die Tatsache, daß sie weithin Aufgaben des 20. Jahrhunderts mit Instrumenten lösen will, die noch aus dem 18. oder 19. Jahrhundert stammen. Im Vorfeld des 21. Jahrhunderts aber stellen sich die meisten dieser Instrumente als dringend überholungsbedürftig dar. Es geht nicht mehr um den technischen Fortschritt und die Ausnutzung seiner Möglichkeiten, sondern um die Wiedergewinnung der menschlichen Dimension in der Lebenswelt der vielen und um ein globales Gleichgewicht von Lasten und Chancen - auch für die Natur. Hier finden Nachhaltigkeit, soziale Balance, Identität und dann auch Transparenz und Konsens ihren Platz. Die neuen Maßstäbe können bei sachgerechter und konsequenter Anwendung dazu führen, daß die Greiffenhagenschen Koordinaten gesellschaftlicher Existenz aktiviert und die aktive Beteiligung mündiger Bürger an Willens- und Entscheidungsprozessen Wege in eine Zukunft eröffnet, die zur Zeit noch als Sackgassen erscheinen.
Stichwort: STABILITÄT DES DEUTSCHEN STÄDTESYSTEMS
Die von Kernig und Sieverts beschriebenen Auflösungstendenzen beziehen sich auf eine globale Entwicklung von Mehr-Millionen-Städten. Gegenüber der weltweiten Entwicklung hat das deutsche Städtesystem eine besonders stabile und einzigartige Struktur, die grundsätzlich ein dynamisches Gleichgewicht zuläßt. Hier können die neuen Maßstäbe für das kommende Jahrhundert Grundlagen schaffen, dieses Gleichgewicht auch für die Zukunft zu erhalten.
Ob das deutsche Städtenetz aber das Ende der Urbanität überdauert? Urbanität meint ja nicht die Erscheinung des unsteuerbaren Molochs Megalopolis, sondern eher jenen Ausdruck des Lebensgefühls der Menschen, die in einer Stadt leben und deshalb Zugang zu den geistigen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen, sozialen, kulturellen, politischen Entwicklungen in der Welt haben. Wenn in dem sozialen Erscheinungsfeld Stadt die Beziehung der Menschen eine je spezifische Ausprägung erhält, die jeder Stadt ein unverwechselbares Fluidum verleiht, dann könnte man das Urbanität nennen. Überall dort, wo Städte untergehen in einer anonymen Beliebigkeit, wo sie ihr Gesicht verlieren oder überhaupt keines gewinnen können, da ist Urbanität in Gefahr. Verstehen wir Urbanität in diesem Sinne, dürfte wohl verständlich sein, daß die neuen Maßstäbe hier entscheidend mitwirken dürften, Urbanität zu erhalten und neue zu entfalten.
Stichwort: STADT UND REGION
Alle Welt weiß es, die Region ist im Kommen. Dennoch sind die Regionen unbeliebt. Der Bund mag nichts an Einfluß abgeben an die Länder und verliert ständig Kompetenz an die Europäische Union. Die Länder sehen auch ihren Einfluß schwinden und versuchen mühsam als Regionen im europäischen Kontext Terrain zu gewinnen. Die Kommunen sind in der deutschen Ausprägung ein Unikat in Europa - und kaum annähernd in vergleichbaren Strukturen anderswo zu reproduzieren. Und dennoch dürfte einiges dafür sprechen, daß sie es sein könnten, die durch freiwillige Zusammenschlüsse jene Identifikationsräume schaffen, die stabilisierende und tragende Funktionen für ein neues Europa ausüben. Sie müßten sich dann allerdings bereit finden, sich als Teil eines neuen Zusammenhangs zu verstehen, der Region. Es muß zu einer Symbiose von Stadt und Land kommen, sonst kann dieser Weg zu einer Sackgasse werden. Die neuen Maßstäbe sind deutliche Merkzeichen für eine Veränderung auch dieser Sichtweise, die dann vielleicht doch zu einem neuen Verständnis kommunaler Kooperation führen könnte.
Stichwort: SOZIALE UND GESELLSCHAFTLICHE KONFLIKTE
Diese Problembeschreibung ist wenig hilfreich. Da ziehe ich den Begriff der sozialen Balance vor, weil er ein Ziel beschreibt, das anzustreben ist. Er läßt auch Konflikte zu, erfordert aber jene Kompetenz, die den Umgang mit Konflikten als notwendig erkennt. Die neuen Maßstäbe sind dann hilfreich, um diese Konflikte auszuhalten und nach Lösungsmöglichkeiten zu suchen.
Wie immer man die Konflikte in der Gesellschaft zu erklären versucht, in jedem Fall hängen sie mit der Komplexität unserer Lebenswelt, dem Glucksmannschen Tunneleffekt in der Biographie vieler einzelner Menschen, mit dem Identiätsverlust der vielen in der Gesellschaft verbunden mit einer weit verbreiteten Sprachlosigkeit zusammen und nicht zuletzt auch mit dem Irrtum, daß der Markt mit seinen Gesetzen alle Probleme lösen könnte.
Versucht man auf diese Weise die gegenwärtige Situation zu erklären, dann gewinnen die neuen Maßstäbe auch eigene Plausibilität.
Stichwort: UMWELT
Die Forderungen aus dem Difu Symposium 1993 klingen fast wie abgestimmt auf das von mir vorgestellte Konzept neuer Werte in Verbindung mit ihren Instrumenten. Nachhaltigkeit, ökonomische Tragfähigkeit und Transparenz, Konsens und Partizipation sind genau jene Elemente, die einer konsequenten Stadtökologiepolitik einen festen Platz im breiten Spektrum kommunaler Aufgaben einräumen und sichern könnten - und das weit über das Jahr 2000 hinaus 97).
Stichwort: INFRASTRUKTUR
Es fehlen vernetzte Systeme. Könnten sich Nachhaltigkeit und sparsamer Umgang mit dem Geld die Hand reichen - regenerierbare Fernwärme wäre die zentrale Energiequelle, Autos würden um die Hälfte weniger Betriebsstoffe brauchen und ihre Lebensdauer hätte sich verdoppelt. Gebäude würden von Beginn an für wechselnde Nutzungsmöglichkeiten hergerichtet - als Schulen, Kindertagesstätten, Altenclubs und Bürgerhäuser. Bauten für kulturelle Zwecke verlören ihren kulthaften Charakter und könnten zu Kommunikationsräumen für alle Bevölkerungsgruppen werden.
Es sähe vieles anders aus, hätte man die Chance, in Ansätzen zu verwirklichen, was die neuen Maßstäbe und die neuen Instrumente ermöglichen. Sie sind nicht zur Ergebnislosigkeit verurteilt. Schritt für Schritt gewinnen sie Raum - ob noch rechtzeitig und für wen dann, das bleibt offen. Jedenfalls muß für die Infrastruktur in der Stadt wie in Land und Bund der Weg gefunden werden, der zu mehr Flexibilität in den Grundrissen, in den Nutzungsmöglichkeiten und in der Finanzierung der Gebäude führt. Andernfalls ist der Verbrauch an Grund und Boden und ist auch der Spekulation nicht mehr wirksam zu begegnen.
Stichwort: ÜBERWINDUNG DER RESSORTPOLITIK
Hier kommen die neuen Maßstäbe voll zur Geltung, weil sie - fast - alles verändern und in erster Linie auf eine ganzheitliche Sicht zielen. Isolierungstendenzen wird nachhaltig begegnet, weil sich kein Ressort allein und für sich durchsetzen kann. Transparenz und Konsens als starke Elemente des Instrumentariums insgesamt lassen Alleingänge nicht mehr zu. Sie lassen sich nicht in begrenzte Kompetenzen einbinden und sind angelegt auf Vernetzung und auf Grenzen, die verbinden statt trennen.
Neue Maßstäbe für ein neues Jahrhundert?
Das sind sie vielleicht nicht, denn ein Jahrhundert ist lang - und die Zeiten ändern sich wie wir mit ihnen. Es wäre aber schon viel erreicht, könnten die Menschen die Langsamkeit neu entdecken, etwas mehr an andere denken und schließlich weniger in der Vielzahl von Erlebnissen als vielmehr in jener bewußt erfahrenen Identität, den Sinn ihres Lebens sehen, den sich solidarisch weiß mit den anderen.
Insofern könnten die von mir vorgestellten Maßstäbe und Instrumente tatsächlich realistisch gangbare Wege in ein neues Jahrhundert aufzeigen - nicht durch dieses hindurch, aber doch wenigstens eine Strecke weit hinein.
Kultur und Bildung - die liberale Demokratie
Wenn Fukuyama das Ende der Geschichte mit der liberalen Demokratie erreicht sieht, dann ist für ihn diese Gesellschafts- und Staatsform die höchste der erreichbaren. Auch ich kann mir unter den bekannten kaum eine bessere vorstellen. Dennoch möchte ich der Entwicklung eine Chance geben, mir und der Menschheit bisher noch unbekannte und noch bessere zur Entfaltung zu bringen, denn auch die liberale Demokratie hat ihre z. T. erheblichen Mängel. Einer ihrer größten Fehler - zugleich wohl auch eine ihrer Stärken - ist ihre Anfälligkeit für Mißbrauch.
Doch soll dieser Schlußabschnitt nicht die liberale Demokratie als anzustrebendes gesellschaftliches Ziel diskutieren. Weil sie als das höchste zur Zeit erreichbare Ziel gesellschaftlicher und staatlicher Entwicklung angesehen wird, sollen Kultur und Bildung zu ihr in Beziehung gesetzt werden, um ihre Bedeutung für die Gesellschaft zu beschreiben - einer Gesellschaft der Zukunft, des 21. Jahrhunderts.
Ich darf mich auf die Vorstellung der beiden Handlungsfelder beziehen, der Kultur, die entsteht auf dem Boden einer eigenständigen Identität einzelner und von Gesellschaften, die getragen ist von einem Koordinatensystem der geschichtlichen, kulturellen, sozioökonomischen, ökologischen und seelischen Existenz und der Bildung, als einem offenen Angebot zum Dialog über den Menschen und die Gesellschaft, das die geistigen, seelischen und körperlichen Kräfte der Menschen anregt, sich zu entfalten.
Die liberale Demokratie lebt von diesen Elementen. Sie ist ohne sie nicht denkbar - und in der Vergangenheit immer in Gefahr geraten, wenn sie hier Defizite und Schwächen aufwies.
Deshalb sind sie auch in jenen Passagen dieser Arbeit, in denen sie anscheinend nicht behandelt wurden, immer mit gemeint gewesen. Ob sie in ihrer Bedeutung rechtzeitig und umfassend genug erkannt werden, dürfte vermutlich entscheidend sein dafür, daß die Menschen künftig überleben - auch im 21. Jahrhundert.
Anmerkungen
Der Verfasser ist seit dem Jahre 1972 im Bereich Stadtentwicklungsplanung bei der Stadtverwaltung Leverkusen tätig. Die Arbeit wurde im Februar 1995 abgeschlossen.
1) vgl. Lothar Königs „Erfolgskontrolle und Evaluierung kommunaler Entwicklungsplanung“, Dortmund 1989, „Dortmunder Beiträge zur Raumplanung 54“; Hellmut Wollmann und Gerd-Michael Hellstern (Hrsg) „Evaluierung und Erfolgskontrolle in Kommunalpolitik und -verwaltung“, Basel 1984, „Stadtforschung aktuell Band 6“
2) vgl. Joachim Jens Hesse „organisation kommunaler Entwicklungsplanung“, Stuttgart 1976, „Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik“ Band 57, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung - KGSt - (Hrsg) „Kommunale Entwicklungsplanung in der Bundesrepublik Deutschland“ (Ergebnisse einer Erhebung), Köln 1980
3) vgl. Helmut Böhme „Zur Eingliederung von Kulturentwicklungsplanung in die Stadtentwicklungsplanung“ in „Der Städtetag“ 11/1979, S. 663ff; Wolfgang Börstinghaus „Problemaufriß: Kultur als Element der Stadtentwicklung“ in „Kultur 90“, Köln 1988, S. 105 ff
4) Ronald Inglehard „Kultureller Umbruch. Wertewandel in der westlichen Welt“. Frankfurt/Main, 1989, 2. A. 1995
5) Ulrich Wickert „Der Ehrliche ist immer der Dumme. Über den Verlust der Werte“, Hamburg 1994
6) Lothar Baier „Volk ohne Zeit“, Berlin 1990
7) aaO, S. 14, 74, 78, 94 f, 99, 114 f
8) Sten Nadolny „Die Entdeckung der Langsamkeit“, München (1983) 30. A. 1994 „Serie Piper Band 700“
9) aaO, S. 209
10) aaO, S. 338
11) Barbara Tuchman „Die Torheit der Regierenden. Von Troja bis Vietnam“, Frankfurt/Main 1984, S. 11
12) „Fischer Weltalmanach 1987“, Frankfurt/Main 1986, Sp. 216-219, 528
13) André Glucksmann „Am Ende des Tunnels. Das falsche Denken ging dem katastrophalen Handeln voraus. Eine Bilanz des 20. Jahrhunderts“, Berlin 1991, S. 249, 259
14) Barbara Tuchman aaO, S. 473
15) Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?“, München 1992, S. 12 f, 161, 168 ff, 178; demgegenüber behauptet Jean-Maria Guéhenno, daß wir am Ende des institutionellen Zeitalters der Macht angekommen seien, heute gehe es um das Verhältnis des Menschen zur Welt, um Menschen, die imstande sind, die endliche Welt, die wieder unser gemeinsames Schicksal geworden ist, gedanklich zu fassen („Das Ende der Demokratie“, München 1994, S. 177ff)
16) Charles S. Peirce „Vorlesungen über Pragmatismus“, (1903) Hamburg 1991, S. 141
17) William James „Pragmatismus“ (1907), Hamburg 2. A. 1994, S. 86
18) vgl. Anm. 3; Funke, Ursula „Vom Stadtmarketing zur Stadtkonzeption“, Köln 1994, Heft 68 der Neuen Schriften des Deutschen Städtetages
19) Ernst Ulrich von Weizsäcker „Erdpolitik. Ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt“, Darmstadt 1990, S. 265-267; inzwischen haben Umweltqualitätsziele die Qualität von Entscheidungsgrundlagen für die Stadtplanung gewonnen, vgl. z. B. „Ökologisch nachhaltige Entwicklung vor Verdichtungsräumen“, Dortmund 1993, Bd. 76 der Schriften des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS -
20) Peter Ulrich „Tansformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft“, Bern und Stuttgart 1986, S. 60, 443-450,3; rev. A. erschien 1993; vgl. neuerdings Schefold, Bertram „Wirtschaftsstile“, Frankfurt/Main, 2 Bände 1994 und 1995, Fischer-Taschenbuch Wissenschaft 12243 u. 12505
21) Gerhard Schulze „Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart“, Frankfurt/Main 3. A. 1993, S. 46-69, 527-553; kritische Anmerkungen zu Schulze findet Peter Alheit („Zivile Kultur, Verlust und Wiederaneignung der Moderne“, Frankfurt/Main und New York 1994, Kapitel 3: Von der Arbeitsgesellschaft zur Erlebnisgesellschaft) und in „Erlebniskultur und neue kulturelle Milieus. Bewegungen im sozialen Raum moderner Gesellschaften“ („Kulturpolitische Mitteilungen“ Nr. 67 / IV / 94, S. 43), begrüßt jedoch ausdrücklich seine präzisen empirischen Beobachtungen; eine andere Veröffentlichung des vergangenen Jahres sollte vor Überinterpretation bewahrt werden (Georg Bollenbeck „Bildung und Kultur. Glanz und Elend eines deutschen Deutungsmusters“, Frankfurt/Main 1994, S. 424), weil sie mit Recht von der prägenden Kraft des Bildungsbürgertums im vergangenen Jahrhundert ausgehend das Instrument des „Deutungsmusters“ als ein Instrument kritischer Zeitanalyse entwickelt (vgl. auch Max Fuchs „Wozu Kulturpolitik? Ein Werkstattbericht“ in „Mitteilungen aus der kulturpolitischen Forschung“ 1/95). Für den Praktiker muß deutlich bleiben, daß sich hier ein Instrument neben anderen bietet und Bollenbeck selbst das Deutungsmuster des Bildungsbürgertums für ebenso abgelebt hält, wie dessen Trägerschicht. Für dieses Jahrhundert hat Albrecht Göschel noch den Gegenbeweis angetreten („Die Ungleichzeitigkeit in der Kultur. Wandel des Kulturbegriffs in vier Generationen“, Stuttgart 1991, S. 200, Bd. 84 der Schriften des Difu), wenn ihm auch entgegengehalten wird, daß er auf eine Intellektuellenschicht stützt und andere Bevölkerungsgruppen in seine Erhebung nicht einbezieht. Meine Anregung wäre, diese Ansätze im Blick zu behalten, ihre entscheidende Bedeutung für die Vergangenheit zu erkennen, sie aber eher ergänzend - gewißermaßen komplementär - für zukunftsorientierte Fragestellungen einzusetzen. Mit dieser Einschränkung folge ich auch gern den Vorschlägen von Fuchs und Liebald (vgl. den Werkstattbericht „Wozu Kultur“ in „Mitteilungen aus der kulturpolitischen Forschung“ 1/95). Die zentrale Bedeutung für meinen perspektivischen Analyseansatz hat diese Betrachtungsweise - wenigstens zur Zeit - nicht (vgl. auch Karl Heinz Götze „Die Wende gegen den Westen“ in „Die Zeit“ 40 vom 30.09.1994 mit einer Besprechung des Werks von Bollenbeck).
22) Erwin Chargaff „Geben Sie mir eine andere Zukunft“ in „Vor der Jahrtausendwende. Berichte zur Lage der Zukunft“, Frankfurt/Main, S. 234 „edition suhrkamp“, Bd. 1550
23) Diese Aussagen greifen zurück auf Helmut Böhme „Kulturstatistik - auf „neuen“ Wegen? Ein Tagungsrückblick“ in „Datenharmonisierung in der Kulturstatistik. Neue Modelle und Verfahrensweisen für vergleichende Analysen“, Bonn 1993, S. 80 f; darüber hinaus stütze ich mich auf Erik H. Erikson „Dimensionen einer neuen Identität“, Frankfurt/Main 1985 stw. 100, ders. „Identität und Lebenszyklus“, 1973 stw. 16; Beispiele für die jüngste Diskussion finden wir in Max Fuchs (Hrsg) „Kulturelle Identität“, Remscheid 1993 und bei Richard Münch „Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft“, Frankfurt/Main 1993, S. 15 - 104
24) Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinigten Deutschland“, München 1993, S. 33, auch sie befassen sich mit der deutschen Identität: S. 34 - 48
25) „Bericht der Bundesregierung zur Zukunftssicherung des Standortes Deutschland“ vom 03.09.1993; Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung (Hrsg) „Raumentwicklung. Politik für den Standort Deutschland. Dokumentation eines Kongresses am 30./31. März 1993 in Bonn“, Bonn 1993 - Materialien zur Raumentwicklung, Heft 47: Hier werden 5 Leitbilder behandelt, und zwar Siedlungsstruktur, Umwelt und Raumnutzung, Verkehr, Europa sowie Ordnung und Entwicklung.
26) Deutscher Städtetag „Wege zu einer menschlichen Stadt“, Köln 1973, S. 97 f - Heft 29 der Neuen Schriften des Deutschen Städtetages -
27) vgl. dazu Helmut Böhme „Stadtkultur und Weiterbildung I“, in „Stadtkultur und Weiterbildung“, Köln 1980, S. 8 - 10 mit Lit. - Dokumentation 8 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; jüngste Darstellungen bei Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München 1995, Stichworte Sozialisation, Enkulturation, Personalisa-tion, S. 326, 199, 271 - dtv, Taschenbuch Bd. 3357
28) Peter Ulrich, ,aaO, S. 321
29) Peter Ulrich, aaO; S. 474
30) Ernst Ulrich von Weizsäcker, aaO, S. 272; Guéhenno weist darauf hin, die Ökologiebewegung wolle im Gegensatz zu den Umweltschützern, die ihre Vorläufer waren, nicht den Menschen zum Maß aller Dinge machen und versuche, die Regeln einer Ordnung zu entziffern, die über uns hinausreicht („Das Ende der Demokratie“, aaO. S. 178)
31) vgl. Arnold Gehlen „Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt“ (1940), Frankfurt/Main 8. A. 1966, S. 337 f, 342 - 348, 393 - 397: Gehlens biologistische Sichtweise teile ich nicht, aber dies Element autonomer Selbstbestimmung mit dem Ziel des Be-greifens und Er-greifens ist mir wichtig.
32) Helmut Böhme „Stadtkultur und Weiterbildung I“, Köln 1980, S. 11 - Dokumentation 8 der Kulturpolitischen Gesellschaft
33) Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München Februar 1995, S. 74 f - dtv 3357 -
34) Schaub und Zenke, aaO, S. 372 f
35) vgl. Niclas Luhmann „Komplexität“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt Bd. 4, 1976, Sp. 939 - 941
36) Richard Sennett „Civitas. Die Großstadt und die Kultur des Unterschieds“ (1990), Frankfurt/Main 1994, S. 118 - Fischer Taschenbuch Wissenschaft 12 244 -
37) Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland. Zur politischen Kultur im vereinten Deutschland“, München 1993, S. 322, als Abschluß des Kapitels „Hinkender Sozialstaat“, S. 307
38) Joachim Becker „Der erschöpfte Sozialstaat. Neue Wege zur sozialen Gerechtigkeit“, Frankfurt/Main, 1994
39) vgl. Diether Döring u. a. (Hrsg) „Armut im Wohlstand“, Frankfurt/Main 1990 - es 15995 -)
40) Dennis Meadows u. a. „Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit“, Stuttgart 1973, Reinbek. 1973 - Rowohlts Taschenbuch 6825 -; „Global 2000. Der Bericht an den Präsidenten“, Frankfurt/Main 1980
41) Claus D. Kernig „Die Welt nach dem Jahr 2000 - das Ende der Urbanisierung“, Vortragsmanuskript des Deutschen Verbandes für Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung eV, Bonn o. J.
42) Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen - LDS - „Vorausberechnung der Bevölkerung in den kreisfreien Städten und Kreisen Nordrhein-Westfalens. Bevölkerungsprognose 1993 - 2010/2020“, Düsseldorf 1994, Heft 709 der „Beiträge zur Statistik des Landes Nordrhein-Westfalen“; Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung - BfLR - (Hrsg) „Perspektionen der künftigen Bevölkerungsentwicklung in Deutschland“, Teil 1: Fakten und Hypothesen, Teil 2: Regionale Bevölkerungsprognose 2000 der BfLR, Bonn 1992 - Hefte 9/10 1992 und 11/12 1992 der Informationen zur Raumordnung; insbesondere Bucher, Siedhoff und Stiens „Regionale Bevölkerungsentwicklung in Deutschland bis zum Jahre 2000“ Heft 11/12 1992, S. 827 ff, bes. S. 844 - 848; BfLR (Hrsg) „Entwicklungsperspektiven für Stadtregionen“, Bonn 1993, Heft 58 der „Materialien zur Raumentwicklung“; BfLR „Zukunftsperspektiven der Raum- und Siedlungsentwicklung“, Heft 12 1993 der „Informationen zur Raumentwicklung“, Hans-Peter Gatzweiler „Dezentrale Konzentration. Eine Strategie zur Bewältigung des demographisch bedingten Siedlungsdrucks in Agglomerationsräumen“ im Heft 7/8 1994 der „Informationen zur Raumentwicklung“, S. 489 - 501
43) Thomas Sieverts „Was wird aus der Stadt?“ in „Kulturgut Stadt. Überlegungen zur Zukunft der europäischen Stadt - Ein Cappenberger Gespräch -“, Köln 1994, S. 48 - 51
44) Gesetz über die Kulturräume in Sachsen vom 20.01.1994 - SächsGVB1, S. 175
45) vgl. Dietrich Henckel (Hrsg) „Arbeitszeit, Betriebszeit, ,Freizeit - Auswirkungen auf die Raumentwicklung. Grundlagen und Tendenzen“, Stuttgart 1988 - Band 80 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -; Dietrich Henckel u. a. „Produktionstechnologien und Raumentwicklung“, Stuttgart 1986 - Band 76 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -
46) Benjamin Franklin, 1706 - 1790, in „Ratschläge an einen jungen Kaufmann“, 1748
47) Ortega Gasset „Der Aufstand der Massen“ (1930), Reinbek 1956, S. 27, - rde 10 -
48) Helga Nowotny „Eigenzeit. Entstehung und Strukturierung eines Zeitgefühls“ (1989), Frankfurt/Main 1993, S. 37, 42 f
49) Dietrich Henckel (Hrsg) „Arbeitszeit, Betriebszeit und Freizeit - Auswirkungen auf die Raumentwicklung. Grundlagen und Tendenzen“, Stuttgart 1988 - Band 80 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik
50) Dietrich Henckel u. a. „Zeitstrukturen und Standtentwicklung“, Stuttgart 1989, S. 4, 249 ff - Band 81 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik - Difu -; „Handlungsfeld Freizeit II“ - Zeitpolitische Fragestellungen“, Dortmund 1987 - Heft 1 der Schriften des Instituts für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS
51) Felizitas Romeiß-Stracke und May-Britt Pürschel „Frauen und Zeitpolitik“, Dortmund 1988, S. 9 f - Heft 8 der Schriften des ILS -
52) Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft idFv. 07.02.1992 - BG Bl II, S. 1253, Art. 8 - 8e
53) Richard Münch „Das Projekt Europa. Zwischen Nationalstaat, regionaler Autonomie und Weltgesellschaft“, Frankfurt/Main 1993, S. 5 f, 15 - stw 1103 -
54) Programm der EU-Kommission „KALEIDOSKOP“ - Teilnahmebedingungen - (94/C227/11) - EG-Amtsblatt C227 v. 17.08.1994, S. 12 - 15
55) Richard Münch, ,aaO, S. 315, 317
56) Kurt Biedenkopf „Kultur für alle“ in „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Kultur für alle oder Träume von Spinnern“, Recklinghausen 1986, S. 19
57) Donella und Dennis Meadows, Jørgen Randers „Die neuen Grenzen des Wachstums. Die Lage der Menschheit. Bedrohung und Zukunftschancen“, Stuttgart 1992
58) vgl. Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen - ILS - (Hrsg) „Szenarien in der Stadtentwicklung - Zum Stand der Diskussion -“, herausgegeben vom Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen (ILS), Dortmund 1989
59) Dietrich Henckel u. a. „Produktionstechnologien und Raumentwicklung“, Stuttgart 1986, S. 19 - 23 - Band 76 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik - Difu -, vgl. auch Hartmut E. Arras und Ulrich Pfeiffer „Vergleichende Szenarien über die Entwicklung unterschiedlicher Städte vor dem Hintergrund verschiedener Blickansätze“ im ILS (Hrsg) „Szenarien in der Stadtentwicklung - Zum Stand der Diskussion -“, Dortmund 1989, S. 119 - 191
60) Aldous Huxley „Schöne neue Welt. Ein Roman der Zukunft“ und „Wiedersehen mit der Schönen neuen Welt. Essay“, München (1932 und 1959), 1992, S. 357 - Serie Piper 1640 -
61) Das Ziel einer globalen Informationsgesellschaft haben die Vertreter der sieben wirtschaftlich stärksten Industriestaaten (G 7-Koferenz) am 25.02.1995 verkündet („G 7: Regeln für globale Information“ und „Hoffnung auf neue Arbeitsplätze“ in „Kölner Stadt-Anzeiger“ 49 vom 27.02.1995, S.1 und S. 20). Doch läßt die Begründung wenig von der Berücksichtigung neuer Werte erkennen und setzt nach wie vor allein auf wirtschaftliches Wachstum. Trotz des massiven Einflusses des US-amerikanischen Vizepräsidenten Al Gore ist noch nicht zu erkennen, daß er mit dieser Zielformulierung seiner „Ökologie des Geistes“ einen Schritt näher zu kommen hofft (Al Gore „Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde“, Frankfurt/Main 1992, S. 243
62) Vernetzung ist ein bislang immer noch zu wenig erkannter Sachverhalt, obwohl z. B. Vester seit zwanzig Jahren auf deren Aktualität aufmerksam macht, vgl. Frederic Vester „Unsere Welt - ein vernetztes System“ (1978), München 1993, dtv. 30078, derselbe „Neuland des Denkens. Vom technokratischen zum kybernetischen Zeitalter“ (1980), dtv. 30068; „Ballungsgebiete in der Krise“ (1976) 5. A. 1994 - dtv. 30007 -
63) vgl. Stichwort „Struktur“ in „Brockhaus Ezykopädie“, Wiesbaden 17. A. Bd. 18, 1973, S. 246
64) Gerhard Schulze, Erlebnisgesellschaft, aaO S. 25; vgl auch Anm. 21
65) Gerhard Schulze,, aaO S. 25
66) vgl. Anm. 24 und Anm. 21
67) Einen Einblick in die kommunale Umfrageforschung bietet die jüngste Veröffentlichung des Difu zu diesem Thema „Lebensqualität und städtische Dienstleistungen aus Bürgersicht. Ergebnisse der Kommunalen Umfrageforschung aus 14 Städten“, Berlin 1994, Heft 6/94 der „Materialien“
68) vgl. Anm. 56
69) vgl. Olaf Schwencke und Norbert Sievers (Hrsg) „Kulturpolitik ist Gesellschaftspolitik. Gedenkschrift für Alfons Spielhoff“, Hagen 1988 mit Lit.-Nachw. - Dokumentation 30 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Norbert Sievers „Neue Kulturpolitik“, Hagen 1988; Dokumentationen 32 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Norbert Sievers und Bernd Wagner (Hrsg) „Blick zurück nach vorn. Zwanzig Jahre Neue Kulturpolitik“, Hagen 1994. - Edition Umbruch Band 5 -; Hajo Cornel und Volkhard Knigge (Hrsg) „Das neue Interesse an der Kultur“, Hagen 1988 - Dokumentation 34 der Kulturpolitischen Gesellschaft -; Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg) „Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992“, Hagen 1992 - Dokumentation 42 der Kulturpolitischen Gesellschaft -
70) vgl. Landeszentrale für politische Bildung Nordrhein-Westfalen (Hrsg) „Technik - Wirtschaft - Kultur - Kultur im technologischen, ökonomischen und sozialen Entwicklungsprozeß“, Münster 1988; Karla Fohrbeck und Andreas Wiesand „Von der Industriegesellschaft zur Kulturgesellschaft?“, München 1989 - Band 9 der Schriftenreihe des Bundeskanzleramtes -; Institut für Landes- und Stadtetnwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalens - ILS - (Hrsg) „Umbruch der Industriegesellschaft - Umbau zur Kulturgesellschaft“, Dortmund 1991
71) vgl. Josef Dolch „Lehrplan des Abendlandes“, Darmstadt 1982, § 36 S. 242 - 250, §§ 32 - 34, S. 336 ff; E. Lichtenstein „Bildung“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt, Bd. 1, 1971, Sp. 936 f und J. Debus „Bildungswesen“ aaO, Sp. 938 f; Horst Schaub und Karl G. Zenke „Wörterbuch zur Pädagogik“, München 1995. Stichworte „Bildung“, S. 74 f, „Bildungsinhalt“, S. 77, - dtv 3357 -; vgl. auch Frederic Vester „Lernen. Auf dem Weg einer biologischen Lernstrategie“ in „Neuland des Denkens“, München 8. A. 1993, S. 469 ff - dtv 30068
72) „Kulturlandschaft Stadt. Neue Urbanität und Kulturelle Bildung“, Hagen 1990, S. 150 - Dokumentation 35 der Kulturpolitischen Gesellschaft -
73) A. Reble „Kulturpädagogik“ in „Historisches Wörterbuch der Philosophie“, Darmstadt, Bd. 4, 1976, Sp. 1339 f
74) Max Fuchs (Hrsg) „Kulturelle Identität“, Remscheid 1993, S. 97
75) vgl. Anm. 17, William James
76) vgl. Frederic Vester „Systeme das Geheimnis der Vernetzung“ im „Neuland des Denkens“, München, aaO S. 17 ff,, S 484; John Briggs und F. David Peat „Die Entdeckung des Chaos“, München, 4 A. 1995, S. 271 ff - dtv 30349 -
77) vgl. „Unternehmen Kultur?“, herausgegeben von Kulturpolitische Gesellschaft u. a. Hagen 1994; Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung - KGSt - „Organisationsmodell der GK 5: Organisation des Schulverwaltungs-, Sport- und Kulturamts“, Köln 1994, Bericht 5/1994; KGSt „Die Museen. Besucherorientierung und Wirtschaftlichkeit“, Köln 1989, Gutachten
78) vgl. „Strategisches Management, Beitrag der Statistik zur Stadtsteuerung - Controlling und „Controlling in deutschen Kommunalverwaltungen: Umfrageergebnisse zum Implementationsstand von Organisations- und Informationssystemen“ in „Stadtforschung und Statistik“, Heft 1/1994, S. 12 - 26; Kulturpolitische Gesellschaft (Hrsg) „Unternehmen Kultur? Neue Strukturen in der Kommunalverwaltung“, Hannover und Hagen 1994
79) André Glucksmann, aaO, S. 15
80) Paul Kennedy „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“, Frankurt/Main 1993, S. 442
81) Francis Fukuyama „Das Ende der Geschichte. Wo stehen wir?“, München 1992, S. 444
82) vgl. vor allem die beiden Einführungswerke von John Briggs und F. David Peat „Die Entdeckung des Chaos. Eine Reise durch die Chaos-Theorie“, München, 4. A. 1995 - dtv 30349 - sowie von Gregor Morfill und Herbert Scheingraber „Chaos ist überall ... und es funktioniert. Eine neue Weltsicht“, Frankfurt/Main, Berlin (1991), 1993. Ullstein Buch 35343; darüberhinaus ist wegen seiner politischen Kapitel für uns wichtig Norbert Bolz „Chaos und Simulation“, München 1992, insbesondere „Politik als ob“, S. 108ff
83) „Erdpolitik. Ökologische Realpolitk an der Schwelle zum Jahrhundert der Ökologie“, Darmstadt 2. A. 1990, 4. A. 1994; „Wege zum Gleichgewicht. Ein Marshallplan für die Erde“, Frankfurt/Main 1992; „Kurswechsel. Globale unternehmerische Perspektiven für Entwicklung und Umwelt“, München 1992
84) vgl. Martin und Sylvia Greiffenhagen „Ein schwieriges Vaterland“, aaO S. 31, 323 ff
85) Dietrich Henckel u. a. „Entwicklungschancen deutscher Städte - Die Folgen der Vereinigung“, Stuttgart 1993, S. 17 f - Band 86 der Schriftenreihe des Deutschen Instituts für Urbanistik -
86) Jochen Dieckmann „Stadtpolitik im Umbruch - Wohin steuern unsere Städte?“ in „Stadtperspektiven. Difu-Symposium 1993“, Berlin 1994, ,S. 185 - 194 - Band 10 der Difu-Beiträge zur Stadtforschung -
87) vgl. Thomas Sieverts „Was wird aus der Stadt?“ in „Kulturgut Stadt“, Köln 1994, S. 52
88) vgl. Walter Siebel „Stadtkultur“ in „Das neue Interesse an der Kultur“, Hagen 1990, S. 133 - 146; Hermann Schwengel „Kulturregion und regionale Kulturidentität“ in „Regionale Identität und Kultur. Stärkung und Ausbau regionaler Identitäten. Perspektiven und Chancen einer Kulturpolitik nach 1992“, Hagen 1992, S. 45 - 54; Jiri Hruza „Die europäische Stadt als besonderes Kulturgut“ in „Kulturgut Stadt“, Köln 1994, S. 93
89) Jens S. Dangschat „Hausgemachte und importierte soziale Probleme in deutschen Großstädten“ in „Stadtperspektiven. Difu-Symposium 1993“, Berlin 1994, S. 81; bereits 1981 sprach Clemens Geißler von „solidarischer Daseinsvorsorge“ in „Urbanität durch Solidarität - zur Verantwortung für die Lebenskräfte der Stadt“, als Manuskript herausgegeben von der Frankfurter Aufbau AG für den Deutschen Verband für Wohnungswesen, Städtebau und Raumplanung e. V.-DV - Landesgruppe Hessen -. Frankfurt/Main 1981, S. 8; Peter Ulrich spricht von „solidarischer Unterstützung“ auf der Grundlage „emanzipatorischer Einkommenspolitik“ in „Transformation der ökonomischen Vernunft“, Bern, Stuttgart 1986, S. 474; Warnfried Dettling stellt in einem Beitrag zur Rolle Deutschlands und seine inneren Umbrüche fest, ,es gehe nicht nur um die Sanierung der Staatsfinanzen durch einen Umbau des Sozialstaats. „Es geht um die Wiedergewinnung des Sozialen in der Gesellschaft.“ in „Phantasie muß an die Macht“ in „Die Zeit“ 44 v. 29.10.1993; in der gleichen Diskussion erkennt Uwe Jean Heuser, „eine Gegenreaktion droht in Form einer schrittweisen Entsolidarisierung“ in „Soll-bruchstelle im Gemeinwesen“ in „Die Zeit“ 12 vom 18.03.1994
90) Petra Schmid-Urban „Soziale Konflikte in der Stadt“ in „Stadtperspektiven ....“, aaO, S. 86
91) vgl. Wolfgang Glatzer und Werner Hübinger „Lebenslagen und Armut“ in „Armut im Wohlstand“, Frankfurt/Main 1990, S. 31 - 55 es 1595 -
92) kritische Anmerkung dazu von Kleppe „Flüssiger und sicherer Stadtverkehr“ in „Erneuerung unserer Städte“, Köln 1957, S. 122; vgl. auch „Autofreies Leben. Konzept für die autofreie Stadt“. Dortmund 1992, Bd. 68 der ILS-Schriften
93) Werner Heinz „Stadtentwicklung und Strukturwandel. Einschätzungen kommunaler und außerkommunaler Entscheidungsträger“, Stuttgart 1990, S. 9, 275 - Band 82 der Schriften des Deutschen Instituts für Urbanistik -; zum Thema „Leitbild“ soll hier noch auf zwei Belege verwiesen werden, einmal auf den Roman von Italo Calvino „Die unsichtbaren Städte“ (1972; München 1985, dtv. 10413) mit einer Vielzahl fiktiver Städtebilder, die alle Faszetten der einen Stadt wiedergeben sollen und zum andern auf eine Veröffentlichung des Ministeriums für Stadtentwicklung und Vorkehr des Landes Nordrhein-Westfalen „Die Stadt als Lebensraum“ (Antwort der Landesregierung auf die Große Anfrage 26 der Fraktion der SPD. Düsseldorf 1994), in der die Stadt der neuen Beweglichkeit, die solidarische Stadt, ,die kulturelle Stadt und die Stadt der Kinder als Ziel der Landesregierung bezeichnet werden. Es ist zu hoffen, daß sich hier ein Bewußtseinswandel abzeichnet.
94) Dieter Sauberzweig „Ökonomie und Ökologie“ in „Stadtperspektiven ...“, aaO. Berlin 1994, S. 130
95) Martin Junkerheinrich „Privatisierung der kommunalen Infrastrukturfinanzierung“ in „Stadtperspektiven ...“, aaO, S. 155 - 184, eine umfassende Bestandsaufnahme enthält Michael Reidenbach u. a. „Der kommunale Investitionsbedarf in den neunziger Jahren“, Berlin 1992, S. 290 - Difu-Beiträge zur Stadtforschung Band 7
96) womit sie Naturgesetzen gerecht würden, vgl. Stephen W. Hawking „Einsteins Traum. Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit“, Reinbek 1993, ,S. 143 - 146, 156
97) vgl. auch Fritz Vorholz „Die Last der Hedonisten“ in „Die Zeit“ 30 vom 22.07.1994
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